Trauer um Patrick Sercu:Boss auf der Bahn

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„Er hatte den Speed, ich die Ausdauer“: Eddy Merckx (rechts) mit Patrick Sercu bei einem Bahnrad-Rennen in Köln. (Foto: imago)

Sein Reich war das Holz-Oval: Der belgische Radprofi Patrick Sercu wurde Olympiasieger und gewann 88 Sechstagerennen. Nun ist er 74-jährig gestorben.

Von Johannes Knuth

Wo Eddy Merckx war, war früher nicht viel Platz für andere, zumindest nicht ganz oben. "Gewinnen", hat der Belgier einmal gesagt, sei für ihn die Essenz des Sports, und dieser Berufung ging er mit einer Vehemenz nach, als werde er im Sattel zu einem Biest, angetrieben von einem unersättlichen Durst nach Erfolg; als sei jedes Rennen sein letztes. Merckx gewann während seiner Karriere mehr als 500 Radrennen, er siegte bei monumentalen Rundfahrten, bei den großen Eintagesklassikern, siebenmal allein bei Mailand - San Remo, er stellte auf der Bahn einen Stundenweltrekord auf. Wobei ihm auf letzterem Terrain ein anderer Belgier meist über war, wie Merckx jetzt bekräftigte: Patrick Sercu sei im Oval "definitiv der Bessere von uns gewesen", jener Landsmann, der in der Szene ehrfürchtig als Sechstages-Kaiser angeredet wurde. Wahlweise auch einfach nur als der "Boss".

Die Überfigur, die Merckx in den 60er und 70er Jahren auf der Straße war, war Patrick Sercu durchaus im Velodrome: Dort stellte er alles in den Dienst des Erfolgs, dort gewann er die meisten seiner 1206 (!) Rennen. Er wurde 1964 in Tokio Olympiasieger im Ein-Kilometer-Zeitfahren, dazu kamen drei WM-Titel. Er brachte seine Sprintkraft auch auf der Straße ein, triumphierte bei 13 Giro-Etappen; sechsmal reüssierte er bei der Tour de France, wo er 1974 das Trikot des besten Sprinters erwarb. Aber sein Hegemoniereich, das blieb die Bahn, vor allem die flirrenden Sechstagerennen, von denen er 88 gewann. 15 davon übrigens zusammen mit Merckx. "Patrick hatte den Speed, ich hatte die Ausdauer", erinnerte sich Merckx am Wochenende beim belgischen TV-Sender Sporza: "Wir waren erst Rivalen, dann wurden wir Teamkollegen und Freunde. Ich verbinde wunderbare Erinnerungen mit ihm." Und damit war er durchaus nicht allein.

Sercu - pechschwarze Haare, kräftige Nase, buschige Augenbrauen, die ihm wie ein V auf die Stirn gepinselt waren -, zählte in den 60er und 70er Jahren zum Adel der belgischen Radschule - auch wenn die Schatten seiner Landsmänner lang waren. Es war ja die große Epoche der Belgier, von Merckx natürlich, von Roger de Vlaeminck, Hermann Van Springel, Rick Van Looy. Über manche Abgründe wusste das Publikum noch wenig oder wollte es vielleicht auch nicht so genau wissen (zum Beispiel als Merckx beim Giro 1969 positiv getestet wurde). Sercu arbeitete nach seinem Karriere-Ende 1983 unter anderem als Sportdirektor bei diversen Sechstagerennen, auch in Bremen, einem der wenigen Sammelpunkte, die sich in Deutschland gehalten haben. Er trat dort so auf wie während seiner Zeit auf der Bahn: "Er war ehrlich, kam direkt zur Sache, suchte immer nach einem Kompromiss", sagte Merckx.

Am vergangenen Freitag ist Patrick Sercu nach längerer Krankheit im Alter von 74 Jahren verstorben.

© SZ vom 23.04.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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