Träger des Gelben Trikots:Jantes Gesetz

Lesezeit: 2 min

Die Dänen sind uneins in ihrer Haltung zu Radprofi Michael Rasmussen, dem unter Dopingverdacht stehenden Führenden der Tour de France. Eine Siegesfeier ist nicht geplant.

Gunnar Herrmann

Es ist nicht sicher, wie seine Landleute reagieren werden, sollte Michael Rasmussen am Ende als Sieger der Tour de France durch Paris radeln. Die Dänen schwanken noch in der Bewertung ihres neuen Sportidols. Einerseits haben sie einen ausgeprägten Nationalstolz, und deshalb wäre ein dänischer Sieg beim bekanntesten Radrennen der Welt Grund für ein großes Jubelfest. Dänen mögen Helden.

Ein neuer Riis? Michael Rasmussen, Träger des Gelben Trikots. (Foto: Foto: AFP)

Andererseits gibt es eine Sache, die sie mindestens ebenso gerne mögen: gefallene Helden. Und wegen seiner Doping-Affäre und dem Ausschluss aus dem Nationalteam würde Rasmussen sich für diese Rolle auch gut eigenen. Die dänischen Medien halten sich beide Optionen offen. Ihre Berichterstattung ist bislang recht zurückhaltend - Sieges-Euphorie blieb ebenso aus wie harsche Kritik an Rasmussens Vergehen.

Die Nachricht, dass Rasmussen wegen versäumter Doping-Kontrollen vom nationalen Radsportverband aus dem Nationalteam ausgeschlossen wird und damit weder bei der WM in Stuttgart noch vermutlich bei den Olympischen Spielen in Peking teilnehmen darf, sorgte für Diskussionen in Dänemark. Früher hätte man die verpassten Tests wohl als Formfehler betrachtet und nicht weiter beachtet - schließlich ist Rasmussen nicht des Dopings überführt worden.

Sensible Dänen

Aber die Dänen sind inzwischen sehr sensibel, wenn es um verbotene Medizin im Spitzensport geht. Zu frisch ist die Erinnerung an den Radprofi Bjarne Riis, der sich erst vor einigen Wochen zu früheren Doping-Sünden bekannte und damit für einen großen Skandal sorgte. Jetzt ist die Angst groß, dass sich die Enttäuschung wiederholen könnte.

Das ist der wohl wichtigste Grund, weshalb viele Dänen Distanz zu ihrem neuen Helden in Gelb halten. Dennoch verfolgen sie interessiert Rasmussens Leistungen, den sie wegen seiner dürren Figur "Kylling" nennen - zu Deutsch: Hähnchen. Die Einschaltquoten der TV-Übertragungen sind gut. Und als die Zeitung Ekstra Bladet ihre Leser aufforderte, der Redaktion Kommentare und Fragen an den neuen Radsporthelden zu schicken, kamen erwartungsgemäß viele Einsendungen. Aber Euphorie und Siegestaumel fehlten.

Lars Werge, Sportchef des Ekstra Bladet, resümierte in einem Kommentar, es sei zwar in den meisten Briefen ,,großer Stolz'' über die Leistungen des Radrennfahrers zu spüren. Und viele Leser wollten ,,unglaubliche gerne an Rasmussen glauben''. Werge lässt allerdings offen, ob sie dem Radprofi wirklich vertrauen können.

Kritik gibt es auch am dänischen Radsportverband, der den Doping-Verdacht geschürt hatte. ,,Das ist Jantes Gesetz in Reinform'', kommentiert ein Leser die Affäre auf der Webseite der Zeitung Politiken. Jante ist ein fiktives Dorf aus einem Roman, dessen Einwohner Engstirnigkeit und kleinstädtische Provinzialität verkörpern. Jantes Gesetz ist jedem Skandinavier ein Begriff, es lautet verkürzt: ,,Du sollst bloß nicht glauben, dass du was besseres bist als wir.''

Ein pressescheuer Eigenbrötler

Wer Jantes Gesetz in den Doping-Vorwürfen gegen Rasmussen zu erkennen glaubt, meint damit: Der Radprofi ist Opfer kleingeistiger Mitbürger geworden, die ihn beneiden und in die Schranken weisen wollen. Der 33-Jährige gilt als pressescheuer Eigenbrötler. Dass er sich als Sohn eines völlig platten Landes gerade auf Bergstrecken spezialisiert hat, ist seltsam. Manche Dänen glauben, dass Rasmussen von Medien und Radsportverband nur schlecht behandelt wird, weil er solch ein Sonderling ist.

Vor allem der Verband, so der Tenor vieler Leserbriefe und Internetkommentare, sei mit seinen Verdächtigungen zu weit gegangen. Dass Michael Rasmussen wegen Versäumnissen bei den Dopingkontrollen nicht mit zur WM noch zu den Olympischen Spielen mitgenommen wird, war schon vor mehr als einem Monat beschlossen worden. Dass die Entscheidung erst Wochen später, genau während der Tour, veröffentlicht wurde, empfinden viele Dänen als gezielte Gemeinheit. Ob sie deshalb aber Sympathien für Rasmussen empfinden, wird sich noch zeigen. Eine Siegesfeier haben weder die Hauptstadt Kopenhagen noch Rasmussens Heimatgemeinde Tølløse geplant.

© SZ vom 25.7.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: