Trabrennen:Arme Ritter

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Mit gelassenem Blick lenkt Michael Schmid Italiano KP am Favoriten Bayard vorbei ins Ziel. (Foto: Karl Fabris/fotofinish.de)

Zum ersten Mal seit Beginn der Pandemie findet an der Trabrennbahn in Daglfing ein großer Renntag vor mehreren hundert Besuchern statt. Der Große Preis von Bayern endet mit einer Überraschung.

Von Andreas Liebmann

Plötzlich wurde der Mann mit dem Goldhelm nervös. Blickte hektisch über die rechte Schulter, begann mit der Peitsche zu fuchteln, sich einzuspreizen - und merkte, dass er machtlos war. Die Stimme aus den Rennbahnlautsprechern wurde dröhnend laut, einige Zuschauer johlten auf, die am Wettschalter offenbar richtig getippt hatten. Der Große Preis von Bayern war entschieden.

Eigentlich war am Sonntag alles sehr vorhersehbar gewesen, die Favoritenrolle beim mit 15 000 Euro dotierten Hauptrennen auf der Daglfinger Trabrennbahn klar vergeben: an den vierjährigen Hengst Bayard, der zuletzt bei neun seiner zehn Starts gewonnen hatte; und damit auch an dessen Fahrer Robbin Bot, dessen goldglänzender Helm in Wirklichkeit ein bronzener war, die Auszeichnung für den drittbesten Berufsfahrer der Vorsaison hinter Michael Niemczyk und Rudi Haller. Die funkelnde Optik jedenfalls passte, als sich die Gespanne vor Rennbeginn dem Publikum präsentierten, während aus den Boxen Trompetenmusik schepperte wie beim Einmarsch römischer Gladiatoren. Bayard ist ein häufiger Städte- und Personenname, unter anderem aber gab es den Chevalier de Bayard, Frankreichs letzten Ritter, den "Ritter ohne Furcht und Tadel", wie er genannt wurde. Ein paar Meter hatten die Favoriten gebraucht, um sich an die Spitze zu setzen, Mitte Gegengeraden, von da an aber fuhren sie siegesgewiss - wenn auch nur mit einem Vorsprung, der es dem Verfolger River Flow jederzeit ermöglicht hätte, ein bisschen am Bronzelack herumzuknabbern.

Zwei hochdotierte Rennen vor 700 Zuschauern - "ein Anfang", sagt der Rennsekretär

Zwei hochdotierte Rennen fanden am Sonntag in Daglfing statt, das erste über 10 000 Euro hatte Lola Vici mit Dennis Stangenberg gewonnen. Es war der dritte Teil der Daglfinger Dreijährigen-Offensive, der Generalprobe für das Deutsche Traber-Derby. 700 Zuschauer waren zugelassen, fast so viele dürften dann auch gekommen sein. "Ein Anfang", sagte Rennsekretär Sascha Multerer zufrieden. Es war ja der erste richtig große Renntag mit Publikum seit Pandemiebeginn. Die meisten saßen unter einem großen Zeltdach an Biertischen, bisweilen richteten sie kritische Blicke zum grauen Wolkenhimmel. Falls es regnen sollte, erklärte Johann Sporer, der Vizepräsident des Münchner Trabrenn- und Zuchtvereins (MTZV), wäre das ein Problem, "wir dürfen die Tribünen nicht öffnen" - Teil des Hygienekonzepts. Just mit dem Start der Dreijährigen setzte ein erster Regenschutt ein, der aber schnell wieder endete.

Als bei Robbin Bot der Puls stieg, war es für ihn bereits zu spät. Mit Michael Schmid im Sulky hatte Italiano KP weit außen gewaltig Tempo aufgenommen und war nicht mehr aufzuhalten. "Ich glaube, dass er nicht mich als Gegner gesehen hatte", erklärte Schmid später, Bot hatte den von Thorsten Tietz gelenkten River Flow im Blick, den er mit verhaltener Fahrweise stets unter Kontrolle hatte. Mit dem starken Finish von Italiano KP konnte er nicht rechnen, auch Schmid selbst fand die letzten 500 Meter "imponierend", nicht einmal die Besitzer hätten mit einem Sieg geliebäugelt. Für Bayards niederbayerischen Züchter Hermann Lehner wäre dieser Erfolg ein kleines Trostpflaster gewesen, nachdem er seinen aussichtsreichen Kandidaten Staccato gerade erst vom Traberderby zurückziehen musste. Doch nun flog eben Schmid mit Italiano KP förmlich an seinem Bayard vorbei und blickte dabei äußerst gelassen.

Es dauerte eine Weile, ehe Schmid später bei den Stallungen zu sprechen war. Erst hüpfte er von einem Sulky zum nächsten, von Omega Man zu Rhett Butler, dann stand er in einem heftigen Platzregen, der doch noch das meiste Publikum vertrieb, und als er sein Tagwerk mit Fan d'Arifant im elften Rennen vollendet hatte, "nass bis auf die Unterhose", wie er sagte, da begann die Schlammschicht in seinem Gesicht bis hinauf zum Nasenflügel bereits zu verkrusten. "Zum Glück war es beim Großen Preis noch trocken", sagte er, es tut gut, wieder Zuschauer zu haben. Selbst unter der Schlammhülle blickte er so lässig wie zuvor bei der Zieleinfahrt. Ganz normaler Trabrennalltag.

Michael Schmid wird ein ausgezeichnetes Gespür für Pferde nachgesagt - obwohl er nicht reiten kann

Unter den Pferdesportfans war an diesem Tag auch der Moderne Fünfkampf von Tokio ein Thema. Die Bilder, die um die Welt gingen von der überforderten Annika Schleu auf einem sich verweigernden Pferd, die schadeten "dem ganzen Pferdesport, auch uns", da war sich die MTZV-Präsidentin Angelika Gramüller mit ihrem Vize Sporer einig. Mindestens dieses Losverfahren gehöre abgeschafft. Michael Schmid, der gebürtige Straubinger, ist diesbezüglich ein nahezu perfekter Kronzeuge - und gleichzeitig ein völlig ungeeigneter. Denn Reiten kann der 54-Jährige nicht, wie er lachend bestätigt. Einmal habe er es probiert, vermutlich sei der Sattel noch nicht richtig befestigt gewesen, jedenfalls sei er zur einen Seite rauf und zur anderen runter - und das war es bis heute.

Als so genannter Catchdriver, wie man Berufsfahrer nennt, die keine eigenen Traber trainieren, bekommt er seine Pferde natürlich nicht zugelost. Er wird angefragt, wie im Falle von Italiano KP von dessen befreundetem Trainer Rudi Haller, der im selben Rennen Jack Scott fuhr. Trotzdem ist es Teil seines Jobs, sich binnen Minuten auf neue Pferde einzustellen, sie zu lesen und zu interpretieren. Sieben waren es am Sonntag, mit zweien gewann er. Er tue sich schwer, die Szenen in Tokio zu bewerten, vermutlich seien auch die Pferde dort unter Stress gewesen, sagte er. Der Umgang mit diesem Pferd sei jedenfalls ein Unding gewesen. Er denke schon, dass Fahrer wie er sich gut in Tiere einfühlen könnten. "Wir verfolgen unseren Sport ja überall auf der Welt. Selbst wenn ich ein Pferd noch nicht gefahren bin, habe ich seine Rennen gesehen und kann es ein bisschen einschätzen." Dann fahre er es ein, tausche sich mit Trainern oder Besitzern aus. Schmid wird ein ausgezeichnetes Gespür nachgesagt, nicht durch Zufall ist er schon seit den Neunzigern erfolgreich. Mit 16 zog er nach Gelsenkirchen. Seinem Hochdeutsch hört man die niederbayerische Herkunft nicht mehr an. Er hat eine Festanstellung in der Nähe von Hamburg, somit konnte ihm die lange Corona-Pause weniger anhaben als dem Sport an sich, der natürlich finanziell am fehlenden Bahnpublikum litt.

Italiano KP jedenfalls kannte er schon. Vor einigen Monaten hat er ihn in Österreich zum ersten Mal gefahren und im Blick behalten. Einiges Rennpech habe der Hengst gehabt, am Sonntag aber sei alles optimal für ihn gelaufen. "Er war jetzt mal dran", sagte Schmid lapidar. Vielleicht hatte er das ja sogar schon beim Einfahren gespürt.

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