Tour de France:Das muss ja ein Fest werden!

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Mehr als eine Million Menschen drängten sich entlang der dekorativen Prolog-Strecke, der Jubel war groß - in London beginnt eine schizophrene Tour de France.

Thomas Becker, London

Teamchef Holczer sollte Recht behalten. Am Tag 1 vor dem Rennen hatte der konsequente Dopingbekämpfer gesagt: "Das Schizophrene wird sein, dass die Tour beklatscht werden wird wie nie." Als sich pünktlich mit dem Glockenschlag von Whitehall um drei Uhr Enrico Degano auf den Weg entlang der Parliament Street machte und die 94.Tour de France begonnen hatte, da war der Jubel groß - natürlich.

Tour de France: Start in London. (Foto: Foto: dpa)

Mehr als eine Million Menschen drängten sich entlang der dekorativen Prolog-Strecke, keine Spur von britschem Wetter. Picnic-Time in den Parks der Stadt und all die bösen Buben waren ja vorher aussortiert worden, nicht wahr? Das muss ja ein Fest werden! 1994 war die Tour zuletzt zu Gast in Großbritannien: Dover - Brighton - Portsmouth hießen die Stationen. Nun also London, die Olympiastadt von 2012. Mehr als 200 Städte hatten sich um den Tour-Start beworben und wenn man Londons Bürgermeister Ken Livingstone glaubt, dann fiel die Entscheidung pro London, weil die Stadt die Tour wollte, um die Umwelt zu fördern und nicht den Tourismus - wie alle anderen.

Fahrradfahren ist in Englands größter Stadt in etwa so beliebt wie Joggen in Kairo. Der Londoner Bradley Wiggins, der im Hyde Park das Radfahren lernte und nun einer von fünf britischen Tourteilnehmern ist, sagte, englische Autofahrer seien nicht dazu bereit, die Straße mit Radfahrern zu teilen. Als Bahnfahrer war er sehr erfolgreich: Weltmeister und Olympiasieger. Er wurde von der Queen für seine drei Olympiamedaillen in Athen 2004 ausgezeichnet. Aber Straßenrennen? Vor zwei Jahren wurde die englische Rennserie von einem 45-Jährigen dominiert. Traurig, traurig.

Bürgermeister Livingstone arbeitet an diesem Imageproblem. Lässt das Radnetz ausbauen. Fordert auf, das Auto stehen zu lassen, um den Schadstoffausstoß zu reduzieren. Was könnte da motivierender wirken als die weltbesten Radprofis aus nächster Nähe zu bestaunen? Möglich ist allerdings auch, dass die Briten den Zuschlag erhielten, weil Livingstone den langjährigen Tourchef Lebanc zu seinen Freunden zählt...

Den Fans war es letztlich egal. Vor unzähligen Großleinwänden sammelten sich Tausende. Im James Park in unmittelbarer Nachbarschaft zur Ziellinie auf der Mall waren alle Liegestühle belegt, die Picnic-Körbe ausgepackt, sogar ein paar Boulekugeln flogen über den Rasen. Am Straßenrand: Knoblauch-Baguette aus Froonkraisch. Blauhemdige französische Flics und britische Bobbies mit quietschgelben Jacken hatten alle Hände voll zu tun, um die Massen zwischen Piccadilly Circus und Hyde Park zu kontrollieren. Jedoch: Von Terrorangst war am zweiten Jahrestag der Anschläge von London nichts zu spüren.

Auf der anderen Seite gab es aber auch tapfere Tour-Verweigerer: keine 20 Meter vom Startpodest südlich des Trafalgar Square unter dem strengen Blick Nelsons herrschte am hellen Nachmittag im Clarence Pub schon Hochbetrieb - ganz ohne Tour de France. Für die Zeitungen war sowieso anderes wichtiger: Lewis Hamilton in seinem ersten Heim-Grand-Prix in Silverstone. "Go Lew!" forderte die "Sun", die immerhin schon auf Seite drei über Radfahren berichtete - allerdings unter dem Titel "David Bikeham": eine Bildergeschichte vom Radelurlaub des Kickers in der Provence. Zur Tour hießen die Überschrift "Tour de Farce" und "The silly season". Ganz anders die Französische "L'equipe", die nicht mehr verlangte als "God save Le Tour!"

Das böse D-Thema wurde in der mehr als dreistündigen TV-Übertragung nicht ein einziges Mal auch nur ansatzweise gestreift. Wie Holczer sagte: schizophren.

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