Torsten Frings:Klinsmanns Kegelbruder

Lesezeit: 4 min

Für immer zentral: Torsten Frings, Deutschlands neuer Führungsjubler, will endlich nicht mehr vielseitig sein.

Christof Kneer

Vielleicht sind es die Haare. Torsten Frings sitzt dort oben auf dem Pressepodium, und immer wieder fasst er sich mit den Händen in das, was möglicherweise eine Frisur sein soll.

Wie ein weitgereister südamerikanischer Haudegen: Torsten Frings. (Foto: Foto: AFP)

Er sieht ja neuerdings aus wie ein argentinischer Innenverteidiger, vielleicht hat die Welt deshalb so viel Respekt vor ihm. Im DFB-Medienzentrum haben sie eine Leinwand aufgebaut, die die Gesichter der Spieler auf Kinomaße vergrößert, und derart an die Wand geworfen, wirkt Frings erst recht wie ein weitgereister südamerikanischer Haudegen.

Man könnte sich gut vorstellen, dass jetzt die achtziger Jahre sind und dass der Argentinier Frings ein paar Jahre bei Sampdoria Genua verbracht hat und jetzt vielleicht für Atletico Madrid spielt. Seine Gegenspieler fürchten ihn, weil er pro Saison 14 gelbe und drei rote Karten sammelt, und bei Weltmeisterschaften spielt er immer gegen Völler und Rossi und Butragueno.

Torsten Frings sieht zurzeit so aus, dass die Welt ihn sich merken kann. Vermutlich wäre aber auch ein Kurzhaarfrings nicht unentdeckt geblieben, zu auffällig verrichtet der Bremer gerade seine unauffällige Arbeit.

Er steht dort, wo der Fußball am wenigsten glänzt und am meisten schwitzt, im defensiven Mittelfeld, und ein bisschen gemein war es schon, dass ihm gegen Argentinien der festliche Showdown versagt blieb. Hätte Cambiasso nicht treffen können im Elfmeterschießen?

"Noch nie verschossen"

Dann wäre Frings als letzter Deutscher zum Punkt marschiert, das ist ein langer Weg, und die Kameras hätten sich heranzoomen können an sein Südamerikanergesicht, und dann hätte Frings natürlich so verwandelt, wie er gespielt hat, ohne Wackler, ohne Schnörkel.

"Ich hatte ein gutes Gefühl, und ich habe in der Nationalmannschaft ja noch nie einen Elfmeter verschossen", sagte der Leinwand-Frings am nächsten Tag großformatig in der Pressekonferenz.

Die Wahrheit ist das nicht, aber wen kümmert das im Moment? Es hat einmal ein Freundschaftsspiel im November 2002 gegeben, Deutschland spielte in Bosnien, in der 35. Minute gab es Elfmeter.

Deutschland hatte nur die 1b-Elf am Start, also versuchte sich Frings, und sein Ball rauschte so steil hinein in den Abendhimmel, dass die Gesundheit des Flutlichts ernsthaft gefährdet war. Er hat durchaus schon mal einen Elfmeter verschossen, aber die Kunst der Verdrängung beherrschen sie zurzeit perfekt im deutschen Team.

So verdrängen sie seit Turnierbeginn ziemlich erfolgreich die Erkenntnis, dass sie eigentlich gar nicht Weltmeister werden können, und genauso verdrängt Frings, dass er eigentlich gar nicht ist, was er da spielt.

Torsten Frings ist ein etwas schwerfüßiger Dynamiker, der von der Halbposition aus die Angriffe anschiebt, wie man im Fußball sagt. Das jedenfalls war der Frings von vor der WM; der Frings während der WM ist fast eine moderne Nummer sechs, das hätte man vorher auch nicht gedacht.

Auch Michael Ballack hätte das nicht gedacht, er hat das ja recht offen artikuliert in der WM-Vorbereitung, aber nach dem Argentinien-Spiel hätte er dem Kollegen am liebsten seinen Man-of-the-match-Becher aufgedrängt.

"Torsten war überragend", sagte Ballack. Frings hat den hochgelobten Argentinier Riquelme überwacht, dabei seine Zone nicht vergessen, und nach 119 Minuten stand er noch genauso autoritär im Raum wie nach neunzehn.

Noch mal ein Solo

Nach 118 Minuten, als die Kollegen schon dem Elfmeterschießen entgegentaumelten, hatte er noch mal ein Solo durchs Mittelfeld gestartet, drei Argentinier auf sich gezogen und sich vom vierten foulen lassen.

"Für mich ist Torsten sogar eine der auffälligsten Figuren des Turniers", sagt sein Bremer Trainer Thomas Schaaf. Natürlich ist Schaaf nicht neutral, aber Schaaf darf das, er hat sich ja wieder mal verdient gemacht ums Land.

Er hat nicht nur Klose aufgepäppelt und Borowski ausgebildet, er hat auch diesen Frings erfunden. Als Schaaf 1999 in Bremen übernahm, fand er in seinem Kader einen jungen Kerl, den die Vorgängertrainer zwischen Sturm, rechts Mitte und rechts hinten hin und her geschoben hatten.

Schaaf hat diesen Frings auch erst in die Viererkette gesteckt, aber bald kam ihm die rettende Idee: Er schickte ihn ins zentrale Mittelfeld - "das ist die Position, die seinen Fähigkeiten am meisten entspricht", sagt Schaaf.

In Bremen besetzt er ihn ein bisschen anders, dort spielt Frings auf der rechten Halbposition, "aber das sind nur Nuancen", sagt Schaaf. "Bei uns hat er mehr Freiheiten, wir machen uns seine offensiven Qualitäten mehr zunutze."

Nur so gut wie das System

In Bremen wacht der stille Frank Baumann auf der Sechserposition, der aber passt nicht zu Klinsmanns Go-for-Gold-Strategie, weshalb Frings fürs Land eine Position weiter nach hinten rutscht. Die Personalie Frings zeigt aber auch, dass ein Spieler immer nur so gut sein kann wie das System, in dem er spielt.

"Torsten wird in der Nationalelf jetzt besser unterstützt", sagt Schaaf. Nun, da auch Michael Ballack zur Verdichtung des Mittelfeldloches eingeteilt ist, kann Frings wieder Frings sein. "Zuvor hat er ja manchmal allein gegen vier Mann gespielt", sagt Schaaf. "Vier Mann kann auch ein Torsten Frings nicht stoppen."

Für Frings hat sich die WM jetzt schon gelohnt, egal, wie das mit Deutschland weiter geht. Selbst im Zeitalter der Champions League sind solche Turniere immer noch die entscheidenden Karrieremacher, und in seinem Fall darf Frings hoffen, dass dieses Turnier auch ein Positionsmacher ist.

Er war zentraler Mittelfeldspieler beim Sieg gegen Argentinien, und vermutlich wird er jetzt nie mehr woanders spielen. Die Tragik seiner Karriere war bisher ja, dass ihn alle immer an seine gute WM 2002 erinnern, da war er ein Jüngling und froh, Rechtsverteidiger zu sein. Jetzt ist er kein Jüngling mehr, er will jetzt nicht mehr vielseitig sein.

Torsten Frings, 29, ist auf einem guten Weg, nach dem Sieg gegen Argentinien hat er schon mal die Jubelchoreographie verantworten dürfen. Er hat eine imaginäre Bowlingkugel geworfen, und die Kollegen haben sich getroffen zu Boden gestürzt.

Was für ein Aufstieg in der Hierarchie: Torsten Frings ist jetzt der Führungsbowler.

© SZ vom 3.7.2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: