Torlinientechnik:Premiere fürs Falkenauge

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Der Moment, der die Einführung der Technik beschleunigte: Dante (links) klärt im Pokal-Finale 2014 hinter der Linie, doch Dortmund bekommt kein Tor. (Foto: firo Sportphoto)

Beim Pokalfinale zwischen Borussia Dortmund und dem VfL Wolfsburg wird erstmals im deutschen Profifußball die Torlinientechnik eingesetzt - ein Jahr nach einer gravierenden Fehlentscheidung.

Von JAVIER CÁCERES, Berlin

Zur Überwindung altmodischer Zustände bedarf es mitunter größerer Katastrophen, der Fußball unterscheidet sich da nicht von anderen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens. Und so ging auch der für deutsche Verhältnisse revolutionären Neuerung namens "Torlinientechnik", die in dieser Woche im Berliner Olympiastadion offiziell vorgestellt wurde, eine Art Katastrophe voraus, sie spielte sich im DFB-Pokalfinale 2014 ab.

Zur Erinnerung: Der Schiedsrichter hatte damals beim Stand von 0:0 einem Kopfballtreffer des Dortmunder Mats Hummels die Anerkennung versagt, auf TV-Bildern war freilich schon klar zu erkennen, was später auch durch einschlägige Computerprogramme rasch zu belegen war: Der Ball war von Bayern-Verteidiger Dante ins Feld zurückbefördert worden, als er sich schon 0,4 Meter hinter der Linie befand. "Wäre das nicht passiert - ich weiß nicht, ob wir heute die Torlinientechnik in Deutschland hätten, das Thema war ja schon durch", sagt Dirk Broichhausen, Geschäftsführer der Firma GoalControl - sie zählt zu den weltweit vier Unternehmen, deren Torlinientechnik vom Weltverband Fifa zertifiziert worden ist. Just die umstrittenen Finalsieger von 2014, die Münchner Bayern, sorgten dann für eine neuerliche Abstimmung, die 15:3 pro Technik ausging - und damit mittelbar dafür, dass mit dem DFB-Pokalfinale am Samstag zwischen Borussia Dortmund und dem VfL Wolfsburg erstmals ein Profispiel auf deutschem Boden stattfindet, bei dem auf Torlinientechnik zurückgriffen wegen kann; sie stammt allerdings nicht von GoalControl aus Würselen, die bei der WM 2014 in Brasilien zum Zuge kam, sondern von der britischen Sony-Tochter "Hawk-Eye" (Falkenauge).

Die Bundesliga-Schiedsrichter sollen am Samstag eine erste Schulung erhalten

"Wichtig ist, dass überhaupt auf ein System zurückgegriffen werden kann, egal wie es heißt", sagt der Lutz-Michael Fröhlich, Leiter der "Abteilung Schiedsrichter" beim DFB. Am Samstag wird Fröhlich in Berlin alle Bundesliga-Referees um sich versammeln, für eine erste, kleine Unterweisung zum Thema "Torlinientechnik". Präzisere Schulungen werden folgen.

Dass die Briten ausgerechnet die Ausschreibung der DFL gewinnen und damit den deutschen Heimatmarkt von GoalControl erobern konnten, hat die Würselener gewurmt. "Nach der WM war das ein Rückschlag, mit dem wir nicht gerechnet haben, das gebe ich offen zu", sagt Broichhausen. Die Niederlage war umso schmerzhafter, als sie in eine Zeit fiel, in der ein Bieterwettbewerb einsetzte, der 2014 gar nicht absehbar war. "Es war überhaupt nicht klar, ob es einen Markt geben würde", sagt Broichhausen. In den Verbänden sitzen ja genug renitente Funktionäre, die sich wehren, die Kontrolle über Entscheidungen von Menschen an nicht beeinflussbare Maschinen zu übertragen. Außerdem war es nicht die einzige Niederlage für GoalControl. Vor der DFL hatte sich schon die britische Premier League für Hawk-Eye entschieden, Italien und die Niederlande zogen nach. Erst jetzt konnte GoalControl in Frankreich "einen strategisch wichtigen Erfolg" einfahren, wie Broichhausen sagt.

Um die Torlinientechnik ist inzwischen ein harter Bieterwettbewerb entbrannt

Strategisch bedeutend ist der Sieg für seine Firma auch deshalb, weil sich mit der Ligue1 die Liga jenes Landes für GoalControl entschied, das 2016 auch das EM-Turnier des Europaverbandes Uefa ausrichten wird. Bislang hat sich die Uefa noch nicht dazu durchringen können, in ihren Wettbewerben Torlinientechnik einzusetzen. Aber kann man sich nach der Entscheidung der französischen Liga überhaupt noch sträuben, die Torlinientechnik auch 2016 einzusetzen, wenn das Überwachungssystem aus 14 Kameras, einem Datennetz, Glasfaserkabeln sowie zwei Rechnern längst installiert ist? Warum sollte die Uefa ein System abschalten, das Installationskosten im niedrigen zweistelligen Millionen-Euro-Bereich verursacht? Und wenn das System tatsächlich bei der EM zum Einsatz kommen sollte: Warum sollte die Uefa dann darauf verzichten, ihre Champions League weiterhin ohne Torlinientechnik auszutragen? Vor diesem Hintergrund versteht man besser, wenn Broichhausen sagt: "Wir sind wieder da!"

Zumal: Schlechter als das ebenfalls kamerabasierte Hawk-Eye ist GoalControl nach menschlichem Ermessen nicht. In England wurde das Hawk-Eye in den vergangenen zwei Spielzeiten insgesamt 30 Mal herangezogen, die Zufriedenheit liege bei 100 Prozent, sagt eine Premier- League-Sprecherin. GoalControl wiederum kann auf eine erfolgreiche WM in Brasilien verweisen - und auf ein Zertifikat der staatlichen Wirtschaftsförderungsgesellschaft NRW.Invest, das die Würselener als genaueste Torlinientechnik der Welt rühmt. Damit lässt sich jetzt erst recht wuchern, da der Kampf um Claims weltweit tobt - und die beiden nicht kamerabasierten Anbieter wohl verdrängt werden.

Denn die Torlinientechnik, die mit Chips im Ball und/oder Magnetfeldern operiert, die dann Funksignale senden, mag noch so genau sein - es ist offenbar umständlicher, sie innerhalb einer Sekunde auf Großbild-Leinwände in den Stadien zu projizieren oder TV-Sendern und Sponsoren zur Verarbeitung weiterzuleiten. "Nicht kamerabasierte Lösungen sind weg, darauf lege ich mich fest", sagt Broichhausen, der nun - da mit England, Deutschland, Frankreich und Italien vier der größten Ligen der Welt bereits ihren Torlinientechnik-Partner erkoren haben - gebannt auf die iberische Halbinsel schaut.

In Portugal hat GoalControl bereits einen Fuß in der Tür, am 7. Juni findet dort mit Hilfe deutscher Technik das Pokalfinale zwischen Benfica und Madeira statt. Bleibt noch Spaniens prominente erste Liga. Sie hat bereits Gespräche mit Anbietern geführt, aber noch keinen Abschluss erzielt. Vermutlich aus einem einfachen Grund: "Dort fehlt noch ein signifikanter Zwischenfall", sagt Broichhausen und führt aus, wie so ein Zwischenfall idealerweise aussehen müsste: "Ein Geistertor beim clásico zwischen Real Madrid und dem FC Barcelona, das wär's."

© SZ vom 28.05.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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