Tischtennis:Nach 40 Minuten ist der Traum vorbei

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Viele Tische, wenig Zuschauer, kaltes Licht: Die Exoten müssen sich in einer Nebenhalle erst für das Hauptfeld der Tischtennis-WM qualifizieren. (Foto: Rolf Vennenbernd/dpa)

Nicht einmal die UNO hat so viele Mitglieder wie der Tischtennis-Weltverband: Bald sind es 226.

Von Ulrich Hartmann, Düsseldorf

Vor drei Wochen war Thomas Weikert an der Westküste Afrikas. Den Präsidenten des Tischtennis-Weltverbandes ITTF hatte es in historischer Mission nach Guinea-Bissau verschlagen. In einer alten Turnhalle, in der Jugendliche auf bunt angestrichenen Holztischen vergnügt Tischtennis spielten, vollendete der Anwalt aus der hessischen Stadt Limburg die globale Vision seines Verbandes: Auf der ganzen Welt soll Tischtennis gespielt werden. Nimmt man die Mitgliedschaft möglichst vieler Nationalverbände zum Maßstab, dann haben Weikert und die ITTF ihr Ziel erreicht. Beim Kongress am Rande der Weltmeisterschaften in Düsseldorf wird Guinea-Bissau an diesem Mittwoch als 226. Land aufgenommen. Keine andere Sportorganisation der Welt hat derart viele Mitgliedsverbände. Der Fußballverband Fifa kommt auf 211.

In dieser Woche kommen Eritrea, die Kapverden, die Bahamas sowie Guinea-Bissau dazu

Vor zwei Jahren hat die ITTF den winzigen afrikanischen Inselstaat Sao Tomé und Príncipe sowie Südsudan aufgenommen. In dieser Woche kommen Eritrea, die Kapverden, die Bahamas sowie Guinea-Bissau dazu. Jeder Verband erhält 30 000 US-Dollar Starthilfe. Bei der WM mit 617 Athleten aus 108 Ländern sind erstmals Teilnehmer aus Oman, Tahiti und den palästinensischen Autonomiegebieten dabei. Auf politische Befindlichkeiten wird bei der Auslosung laut Weikert keine Rücksicht genommen. Da kann auch mal ein Israeli gegen einen Palästinenser gelost werden. "Man spürt die Befindlichkeiten aber", gibt Weikert zu, "da kommt es bei bestimmten Duellen vor, dass ein Spieler nicht antritt."

Auch vor diesem Hintergrund sieht sich der Tischtennisverband ein bisschen als Weltverbesserer. Weikert ist nicht naiv, "ich weiß, dass wir die Probleme dieser Welt durch Tischtennis nicht lösen". Aber man will helfen, die Situation in benachteiligten Ländern zu verbessern. Im erdbebengeplagten Nepal wurde eine Halle gebaut, in der ein Tischtennisprojekt für Behinderte realisiert wird. In Kolumbien, Burundi und Kongo wurden Projekte angestoßen, die mehr der Sozial- und Entwicklungshilfe dienen als dem Sport. "Das Wichtigste ist, in solchen Ländern überhaupt etwas zu tun", sagt Weikert. Er will sich an diesem Mittwoch als ITTF-Präsident wiederwählen lassen.

Der Verband hat eine aktive Entwicklungsabteilung, gibt viel Geld aus und ist mehr als der Fußball oder das Internationale Olympische Komitee bereit, kleinste Nationalverbände anzuerkennen. Während die UNO 193 Mitgliedsstaaten hat und Deutschland diplomatische Beziehungen zu 195 Ländern unterhält, ist die ITTF stolz auf ihre 226 Mitgliedsverbände. Allein Großbritannien ist mit sieben Nationalverbänden vertreten.

Einige der Neuaufnahmen waren zu Beginn der WM in der Nebenhalle am Start. Dort standen 32 Rolltische, an denen die Exoten ihre Qualifikationsspiele für 64 freie Plätze der an diesem Mittwoch beginnenden Hauptrunde austrugen. Zum Beispiel Hugo Gendron: Der 18-Jährige vom WM-Debütanten Tahiti hätte in seinen beiden Matches allzu gerne einen Satz gewonnen, verlor aber, "sehr nervös", gegen einen Pakistaner und einen Belgier jeweils 0:4. Gendron ist auf Tahiti geboren und studiert in Poitiers, Frankreich. Er spielt seit vier Jahren Tischtennis. Da ist ihm Husam Doufesh, 21, voraus. Der Palästinenser aus Hebron spielt seit zehn Jahren. In der Stadt im Westjordanland haben die Menschen existenzielle Probleme, aber Doufesh kommt aus einer Tischtennisfamilie. Sie haben alle gespielt - also spielt er auch. Doufesh spricht kein Englisch, in Düsseldorf suchte er den Tisch mit der Nummer 32, spielte sich kurz warm, verlor 2:4 gegen einen ihm unbekannten Kontrahenten aus Sri Lanka, gratulierte höflich und zog sich dann mehrere Minibecher aus einem Wasserautomaten an der Hallenwand.

Auch Amar Malla wirkte ein bisschen verloren nach seiner schnellen Niederlage gegen einen Schotten. Malla ist 27 Jahre alt, arbeitet in Kathmandu in einem Hotel und studiert Hotelmanagement. Er versucht jeden Tag zu trainieren, aber das gelingt nicht immer. In Nepal ist Tischtennis nicht gerade verbreitet, aber schon Mallas Brüder haben gespielt, deshalb hatten sie eine Platte im Haus. Malla spielt seit 20 Jahren, wirkte in Düsseldorf aber ernüchtert. So kann sich eine WM auch anfühlen: viele Tische in der Nebenhalle, wenig Zuschauer, kaltes Neonlicht. So ein WM-Traum kann nach 40 Minuten vorbei sein. Die Stars spielen von Mittwoch an vor 8000 Zuschauern in der Haupthalle.

Dass ein Omaner, ein Tahitianer, ein Palästinenser oder ein Nepalese die Hauptrunde erreichen, war sowieso nicht zu erwarten gewesen. Zu eklatant sind beim Tischtennis die Unterschiede zwischen Hobby- und Profispielern. Trotzdem sind alle stolz, ihr Land zu repräsentieren; das will die ITTF ihren Mitgliedern auch ermöglichen. Dass Tischtennis im Gegensatz zu komplexeren und aufwendigeren Sportarten überall möglich ist, erleichtert das. "Einen Tisch, ein Netz, einen Ball, zwei Schläger", sagt Weikert, "mehr braucht man nicht."

© SZ vom 31.05.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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