Tischtennis:Mit Grimassen wie Jim Carrey

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Zum ersten Mal in der Vereinshistorie gewinnt der SV-DJK Kolbermoor den deutschen Mannschaftsmeistertitel bei den Frauen - auch weil die Spielerinnen über ihre Grenzen gegangen sind.

Von Matthias Schmid

Auch als die Woge der Begeisterung und Glückseligkeit dicht hinter ihr vorbeischwappte, blieb Kristin Lang unbeirrt stehen. Die Tischtennisspielerin des SV-DJK Kolbermoor lächelte nur, als sie bemerkte, wie Sabine Winter so schräg in ihrem Rücken grimassierte und herumhüpfte wie einst der US-Schauspieler Jim Carrey in der abgefahrenen Komödie "Dumm und Dümmer". Lang antwortete auf die Frage, ob sie sich nun auch zu ihren ausgelassenen Teamkolleginnen gesellen würde, nur: "Ich muss jetzt ins Hotel, wo meine Tochter auf mich wartet."

Im Halbfinale beendete das Team aus Kolbermoor die Hegemonie des TTC Berlin eastside

Für Lang, einst Europameisterin im Doppel und mit der deutschen Nationalmannschaft, haben sich die Prioritäten in ihrem Leben längst verschoben. Sie ist nun im Hauptberuf Mama, die nebenbei auf hohem Niveau Tischtennis spielt. Aber auch sie war natürlich erfreut über den 6:1-Sieg im dritten und entscheidenden Playoff-Finalspiel am Samstagabend bei der TTG Bingen/Münster-Sarmsheim, der Kolbermoor (Landkreis Rosenheim) den ersten deutschen Mannschaftsmeistertitel in der Vereinshistorie bescherte. "Wir sind dafür teilweise über unsere Grenzen gegangen", sagte Lang. Für die 33-Jährige galt das ganz besonders. Sie war in der Rückrunde nur fünf Wochen nach der Geburt ihrer Tochter an die Platte zurückgekehrt, um ihrer Mannschaft in der Bundesliga helfen zu können. Am Samstag war es Lang, die im Endspiel in der Grundschulhalle "Am Mäuseturm" für das "erste überraschende Break sorgte", wie es Kolbermoors Abteilungsleiter Michael Fuchs ausdrückte. Sie besiegte Bingens Spitzenspielerin Ding Yaping in vier Sätzen, nachdem sie ihr in den beiden vorangegangenen Finalspielen jedes Mal unterlegen war. 5:5 hatten die beiden ersten Partien zwischen Kolbermoor und dem Hauptrundensieger Bingen geendet, sodass eine dritte Begegnung über den Titel entscheiden musste.

Die Höhe des Ergebnisses erstaunte anschließend alle Beteiligten, weil zunächst auch ein drittes 5:5 möglich schien. Svetlana Ganina musste bei einem 0:2-Satzrückstand erst zwei Matchbälle abwehren, um letztlich die Partie doch noch zu ihren Gunsten zu entscheiden. "Wir waren am Ende aber nicht nur das glücklichere, sondern auch das heißere Team", fand Fuchs. Nicht nur Lang, sondern auch ihre Mitspielerinnen wussten, dass die Chance, den Wanderpokal in ihren Besitz zu holen, so schnell nicht mehr kommen würde. Es war im Frauentischtennis längst eine Art Naturgesetz geworden, dass die Spielerinnen des TTC Berlin eastside am Ende die Trophäe in die Höhe halten dürfen. Viermal hatte sich der Pokalsieger in den vergangen vier Jahren zum Meister gekürt, dazu zweimal die Champions League gewonnen. Dass Kolbermoor die Berliner Hegemonie im Halbfinale beendet und das Endspiel gewonnen hat, ist quasi so selten wie eine totale Sommerfinsternis. In Kolbermoor wissen sie aber genau, dass die Spielzeit des Dauersiegers von Verletzungen, Schwangerschaften und atmosphärischen Störungen geprägt war. "Die Berliner", sagt Michael Fuchs, "werden in der nächsten Saison wieder der große Favorit sein, weil sie sich mit drei starken Spielerinnen verstärken werden."

Kostspielig und unkalkulierbar: Auf einen Start in der Champions League verzichtet der SV-DJK

Den entscheidenden sechsten Punkt in Bingen hatte Liu Jia geholt. Die frühere Weltranglistenneunte aus Österreich hatte in ihrer ersten Saison für Kolbermoor großen Anteil am Titel, die 36-Jährige hatte alle mitgerissen mit ihrem offenen und selbstbewussten Naturell und hatte bei jeder Gelegenheit betont, dass der deutsche Meister nur Kolbermoor heißen kann. "Susi", wie sie von allen gerufen wird, wird auch in der neuen Saison wieder im Trikot von Kolbermoor auflaufen. Genauso wie Lang, Winter, Ganina und Katharina Michajlova, die alle im Endspiel gepunktet haben. "Wir haben super miteinander harmoniert und uns gegenseitig angestachelt", schwärmt Liu Jia vom Teamgeist. Auf einen Start in der Champions League wird der Klub allerdings verzichten. Zu kostspielig, zu unkalkulierbar, wie Abteilungsleiter Fuchs hervorhebt. "Wir müssen erst einmal darüber beraten, ob das für uns möglich ist in der Zukunft, weil wir einerseits auf Linz oder Bad Driburg treffen, aber andererseits genauso gut zweimal nach Sibirien fliegen könnten."

Kristin Lang konnte am Samstagabend dann doch noch gemütlich mit der Mannschaft etwas essen gehen. Ihr Mann, ein früherer Bundesligaspieler, passte solange auf ihre Tochter auf. Am Sonntag musste Jochen Lang aber dann selber an die Platte: bei den deutschen Mannschaftsmeisterschaften der Senioren.

© SZ vom 04.06.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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