Tischtennis:Komplizierte Statik ohne Susi

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Starke Abschiedsgala: Die langjährige Leistungsträgerin Sabine Winter wird kommende Saison zum Aufsteiger Schwabhausen zurückkehren. Für Kolbermoor gewann sie am Sonntag noch einmal beide Einzel. (Foto: imago/Revierfoto)

Kolbermoors Frauen verlieren das Finale um die deutsche Meisterschaft gegen Berlin - und vermissen Liu Jia.

Von Andreas Liebmann

Ob sie nur bluffen wollte? Wenige Meter hinter Trainerin Irina Palina saß am vergangenen Freitag in der Sporthalle in Kolbermoor die eine Hälfte des Berliner Prunkstücks - und weinte. Nina Mittelham, 22, eins der größten deutschen Talente im Frauentischtennis, blickte verzweifelt auf ihr Knie, das zwischen blauen und schwarzen Tapes hervorschaute. Die Tränen rollten der aktuellen deutschen Einzelmeisterin über die Wangen. Kurz zuvor hatte sie ihr zweites Einzel im Hinspiel des Playoff-Finales um die deutsche Mannschaftsmeisterschaft absagen müssen, kampflos, die Schmerzen waren zu stark. Der Titelverteidiger SV-DJK Kolbermoor hatte das genutzt, um sich in ein 5:5-Unentschieden zu retten. Doch nun sagte Palina, angesprochen auf Mittelhams Einsatzchancen fürs Rückspiel am Sonntag, schulterzuckend: "Wir spielen mit derselben Mannschaft."

Nein, Palina bluffte nicht. Zwei Tage später war der TTC Berlin deutscher Meister, durch einen 6:3-Heimsieg, zu dem Mittelham drei Punkte beitrug. Sie gewann ihr Doppel und beide Einzel. "Nach meiner Erfahrung gewinnt man die Meisterschaft hinten", hatte Kolbermoors Nationalspielerin Kristin Lang am Freitag noch gesagt, und das hintere Paarkreuz mit Mittelham an Position drei und der Schwedin Matilda Ekholm ist nun mal das Prunkstück des ehemaligen Seriensiegers Berlin - Ekholm, nur die Nummer vier wohlgemerkt, steht an Position 28 der Weltrangliste.

Kristin Lang weiß natürlich sehr genau, worüber sie da sprach. 2014 und 2015 hat sie zweimal den nationalen Titel mit Berlin geholt, damals hieß sie noch Silbereisen; 2018 war es ihr dann mit Kolbermoor gelungen, den fünften Berliner Titel in Serie zu verhindern. Im hinteren Paarkreuz gewann Kolbermoor am Freitag drei von vier Spielen, eines davon kampflos. Am Sonntag in Berlin gewannen die Gäste aus Oberbayern dort dann kein einziges Match.

Die Österreicherin chinesischer Herkunft hatte diesmal keine Zeit

Es stellte sich nämlich heraus, dass am Freitag auch Kolbermoors Trainer Michael Fuchs weder geblufft noch geflunkert hatte. Ein Unentschieden sei schon okay, resümierte er, dennoch trauerte er der Siegchance nach, schließlich hatte sein Team zwei der drei Fünfsatzspiele verloren. Andererseits wusste Fuchs nur zu gut, dass mit den beiden entscheidenden Siegen der 40-jährigen Abwehrspielerin Svetlana Ganina keinesfalls zu rechnen gewesen war. Gegen Mittelham hatte sie im fünften Satz bei 6:10 vier Matchbälle abgewehrt, stoisch ausgenutzt, dass die junge Gegnerin nicht so leichtfüßig sein konnte wie sonst, und beim Gesamtstand von 4:5 verblüffte sie gegen Ekholm dann alle Anwesenden. Denn die routinierte Schwedin, die eigentlich gut gegen Abwehrspielerinnen klarkommt, wirkte zwei Sätze lang konzeptlos, verunsichert, und unterlag in 1:3 Sätzen. "Ich glaube, sie hat sich zu viel Druck gemacht", vermutete Trainerin Palina. Doch nun druckste ihr Pendant Fuchs eben so ein bisschen herum. Er wisse noch gar nicht genau, in welcher Formation man eigentlich zum Rückspiel antreten könne, sagte er und lächelte verlegen. Es gebe da nämlich gewisse private Termine.

Was Fuchs befürchtete, trat tatsächlich ein. Der unverschiebbare private Termin betraf Liu Jia, die Österreicherin chinesischer Herkunft, Spitzname Susi. Die unangefochtene Nummer eins des SV-DJK Kolbermoor also, die bislang nur in den entscheidenden Partien zum Pokalsieg (im Finale gegen Berlin) und in den Bundesliga-Playoffs aufgeboten worden war - sie fehlte nun ausgerechnet im letzten und wichtigsten Duell der Saison in Berlin.

Sobald die 37-Jährige für Kolbermoor zum Einsatz kommt, verändert das die gesamte Statik des Teams, sie ist gewissermaßen ein doppelter Trumpf. Einerseits kann die fünfmalige Olympiateilnehmerin jeden in der Liga schlagen, andererseits rutscht durch ihr Mitwirken die Nationalspielerin Sabine Winter auf Position drei zurück, dorthin also, wo die Berlinerinnen sonst die Ausgeglichenheit ihres Kaders ausspielen. Genau das allerdings half am Freitag nichts. Erst verlor Winter gegen Ekholm, was angesichts der Weltrangliste (Winter steht auf 67) keine Sensation war; und dann auch Liu, die in einem atemberaubenden Schlagabtausch mit Shan Xiaona rasch und deutlich mit 2:0 Sätzen vorne lag (11:3, 11:3), danach aber den Faden verlor und obendrein im fünften Durchgang bei 10:7-Führung drei Matchbälle vergab.

Es war dann mehr als ein Achtungserfolg, dass auch das Rückspiel trotz Lius Fehlen knapp wurde. Das war vor allem Lang und Winter zu verdanken. 2016 waren sie Doppel-Europameister, am Sonntag verloren sie ihr zweites Doppel der Finalserie. Beide sind Schulterpatientinnen, Lang vorübergehend, nachdem sie sich Tage zuvor beim Kinderturnen mit ihrer Tochter an der Kapsel verletzt hatte ("eine doofe Bewegung"), Winter schon seit langem, weshalb sie immer wieder mal verunsichert wirkt und in dieser Saison lange nicht so souverän in der Liga agierte wie in früheren Jahren. Doch am Sonntag setzte sie sich sowohl gegen Shan als auch Georgina Pota durch; auch Lang, am Freitag noch sieglos, bezwang Shan. Nur hinten gewann Kolbermoor diesmal - nichts. Ganina unterlag jenen zwei Gegnerinnen, gegen die sie zwei Tage zuvor überrascht hatte.

Für die langjährige Leistungsträgerin Sabine Winter, die nun zum Aufsteiger Schwabhausen zurückkehren wird, war es eine starke Abschiedsgala. Auch für Ersatzspielerin Katharina Michajlova war es der letzte Auftritt. Für die neue Saison hat Kolbermoor die Abwehrspezialistin Ding Yaping verpflichtet, Lily Zhang von der TTG Bingen, die mit 22 für die USA schon an zwei Olympischen Spielen teilgenommen hat, außerdem das 16-jährige deutsche Toptalent Anastasia Bondareva. Natürlich sei er enttäuscht nach der Niederlage, sagte Trainer Fuchs noch, aber mit dem Meistertitel aus dem Vorjahr und dem aktuellen Pokalsieg hätten sie schon viel erreicht. Der neue Kader, dem Liu, Lang und Ganina erhalten bleiben, werde ausgeglichener und breiter als der bisherige. Was gut ist, wenn die wichtigen Spiele hinten gewonnen werden.

© SZ vom 21.05.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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