Tischtennis:Gescheitert am Monster

Lesezeit: 3 min

Sammlung abermals erweitert: Timo Boll, 37, hat nach seinem EM-Finaleinzug in Alicante die nächste Medaille sicher. (Foto: Abel F. Ros/dpa)

Die deutschen Spieler hadern trotz sieben Medaillen bei den Europameisterschaften mit ihrer Ausbeute.

Von Ulrich Hartmann, Alicante/Düsseldorf

Dreieinhalb Wochen nur noch, dann sollen die deutschen Tischtennis-Größen Timo Boll und Dimitrij Ovtcharov das Publikum im Disneyland Paris verzaubern. In der Event-Arena des Freizeitparks wird Mitte Oktober der World Cup ausgetragen, das bestbesetzte Turnier nach Olympia und Weltmeisterschaft. Doch es bleibt abzuwarten, ob Boll und Ovtcharov dann mit der Strahlkraft von Micky Maus und Cinderella oder den chinesischen Topstars mithalten können, denn im Gegensatz zu den Disney-Ikonen sind die beiden Athleten durchaus verwundbar. Während Ovtcharov am Wochenende bei der Europameisterschaft in Alicante bereits im Achtelfinale ausgeschieden ist, weil sein Trainingsrückstand nach einer schmerzhaften Oberschenkelhals-Entzündung zu groß war, hat sich der unermüdliche Boll trotz einer wochenlangen Sommerpause wegen Nackenbeschwerden etwas überraschend wieder bis ins Endspiel vorgekämpft - und dieses sogar gewonnen. Die europäische Bühne ist im Tischtennis allerdings deutlich kleiner als die Weltbühne, das muss man wissen, um diesen neuerlichen Titel richtig einzuordnen. Dennoch: Der 37-Jährige Boll machte in seinen sechs Einzeln im Laufe des viertägigen Wettbewerbs körperliche Defizite beeindruckend durch mentale und spieltaktische Stärke wett. Im Endspiel am Sonntagabend bekam er es in Alicante mit dem rumänischen Überraschungsfinalisten Ovidiu Ionescu zu tun. Eineinhalb Sätze lang hatte Boll zu Beginn Probleme mit dem energetischen Spiel des 29-Jährigen, der in der Bundesliga für den Post SV Mühlhausen spielt und nicht gerade zu den Topstars der Liga zählt. Aber es war bei Boll wie so oft in jüngster Zeit: Er biss sich in das Spiel hinein und rang Ionescu nieder. Boll - die Nummer vier der Weltrangliste - gewann am Ende in 4:1 Sätzen gegen Ionescu, die Nummer 59. Für den Topspieler von Borussia Düsseldorf war es der siebte Einzel-Europameistertitel - angesichts der sommerlichen Nackenprobleme war es zudem einer der unerwarteteren. Im Halbfinale am Sonntagmittag hatte Boll mit viel mehr Mühe seinen Mannschaftskollegen Patrick Franziska besiegt, obwohl er bereits 1:3 nach Sätzen sowie im siebten Durchgang mit 3:7 Punkten zurückgelegen hatte. Doch am Ende machte Boll acht Punkte in Serie und zog ins Endspiel ein. Für Franziska bedeutete diese Halbfinal-Niederlage die dritte Bronzemedaille binnen 48 Stunden. Am Freitag hatte er im Mixed mit der deutschen Spitzenspielerin Petrissa Solja das Halbfinale verloren, am Samstag im Männerdoppel mit dem Dänen Jonathan Groth - und nun auch am Sonntag gegen Boll. Sieben Medaillen (drei Mal Gold, vier Mal Bronze) hat der Deutsche Tischtennis-Bund in Alicante gewonnen, das ist die beste EM-Ausbeute seit 56 Jahren, aber nicht nur Franziska hätte sich im einen oder anderen Fall über den Einzug ins Endspiel gefreut. Mit dem Dänen Groth war er Titelverteidiger im Männerdoppel gewesen, was diese Halbfinal-Niederlage ähnlich schmerzhaft machte wie jene gegen Boll. Auch die deutschen Frauen hatten sich mehr erhofft, nachdem sie mit vier Spielerinnen das Achtelfinale sowie mit dreien das Viertelfinale erreicht hatten. In der Runde der letzten Acht scheiterten sie jedoch allesamt: die gebürtige Chinesin Han Ying, die Pfälzerin Petrissa Solja und die Hessin Sabine Winter.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: