Timo Werner:Des isch oiner von ons!

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Und Kopfball kann er auch: Mittelstürmer Timo Werner (links) erzielt sein zweites Tor gegen die abenteuerlich abwehrschwachen Norweger. (Foto: Sebastian Widmann/Bongarts/Getty Images)

Bei der Nationalmannschaft wurde Timo Werner stets ausgepfiffen. Gegen Norwegen wird er vom Publikum gefeiert.

Von Christof Kneer, Stuttgart

So eine Mannschaft kann etwas ungemein Praktisches sein. Sie kann Schutz und Geborgenheit spenden, im Zweifel kann man sich auch wunderbar in ihr verstecken. Um 20.05 Uhr betrat Timo Werner jedenfalls den Rasen der Stuttgarter Arena, aber man musste schon sehr genau hinschauen, um ihn zu erkennen. Er hatte sich ein paar breitschultrige Bodyguards ausgesucht für seine Rückkehr in ein Stadion, das er besser kennt, als ihm in diesem Moment vielleicht lieb war. Emre Can lief neben ihm, ein großer Mensch, hinter dem auch zwei Werners Platz finden würden. Auch Sami Khedira war in seiner Nähe, ebenfalls ein geeigneter Schattenspender. Man konnte also gar nicht herausfinden, wie das Stuttgarter Publikum den verlorenen Sohn empfangen würde. Um Timo Werner auszupfeifen, hätten sie ihn erst mal finden müssen.

Was Timo Werner dem VfB getan hat, ist ein gute Frage, aber er hat ja auch dem Rest von Deutschland nichts getan, außer dass Deutschland jetzt nicht mehr so süffig über seine Stürmersorgen jammern darf. Denn: Timo Werner, geboren in Stuttgart-Bad Cannstatt, ist Deutschlands neuer Mittelstürmer. Erst unterstrich das Joachim Löw mit der erneuten Berufung für die Startelf - und dann Werner selbst mit einer Leistung, die alle Stürmerdebatten mit spektakulärer Selbstverständlichkeit beendete. Dabei hatte es zuletzt zum schlechten Ton in Zuschauerkreisen gehört, diesen Werner auszupfeifen. Er hat einmal eine Schwalbe gemacht, aber dasselbe Verbrechen hat am vergangenen Wochenende auch der Hamburger Papadopoulos begangen, ohne dass ihm der Prozess gemacht worden wäre.

Aber Werner wird nun mal von RB Leipzig bezahlt, was für Traditionalisten ebenso als Sündenfall gilt wie für Fans des sehr traditionsbewussten VfB Stuttgart von 1893, den der junge Stürmer nach dem Abstieg aus der ersten Liga verlassen hatte. "Legitim" nannte Bundestrainer Joachim Löw diesen Wechsel in der Pressekonferenz vor dem Spiel; er sah sich ebenso genötigt, für Werner zu werben wie Teammanager Oliver Bierhoff Tage zuvor.

Talent? Werner spielt wie ein gestandener Stürmer

In der 17. Minute sprintete Timo Werner zurück in die eigene Hälfte, um in der Nähe den Seitenauslinie dem Norweger Haitam Aleesami den Ball abzuknöpfen. Es gab keine Pfiffe, sondern: Applaus. Und dann tönte es aus der Cannstatter Kurve, also von da, wo sonst die Hardcore-VfB-Fans setzen: "Timo Werner!" Der DFB-Propagandaabteilung ist grundsätzlich eine Menge zuzutrauen, aber in diesem Fall war sie unschuldig. Es war kein Tonband, das eingespielt wurde. Es war ein Live-Gesang.

Vier Minuten später schoss Timo Werner das 3:0 für Deutschland. Die Menschen riefen: "Timo Werner!". Ein paar Minuten später schoss Timo Werner kein Tor, er war nicht mal am Ball. Die Menschen riefen: "Timo Werner!" Und sie riefen es natürlich auch in der 40. Minute, als Timo Werner das 4:0 schoss, das er nebenbei auch noch selbst vorbereitet hatte. "Ich freue mich, dass ich auch in der Nationalmannschaft in dieser Häufigkeit treffe. Es ist klasse, wie mich die Fans unterstützt haben. Dass es in meiner Heimat war, freut mich umso mehr", sagte Werner später. "Ich habe nicht gedacht, dass es so für mich ausgeht."

In Stuttgart kam am Montagabend ein Länderspiel zur Aufführung, aber es war auch eine politische Veranstaltung. "Lasst uns ein klares Zeichen setzen, dass wir sowas wie in Prag nicht wollen", sagte der Stadionsprecher vor dem Spiel, das nach den nationalistischen Parolen deutscher Hooligans vor vier Tagen unter dem Motto "Nicht mit uns!" stand. Offenbar standen die Menschen im Stadion noch so unter dem Eindruck der Bilder und Töne aus Prag, dass ihnen umso dringender nach umfassender Harmonie zumute war. Der Friede von Cannstatt schloss dann selbstverständlich auch den eingeborenen Fußballspieler Timo Werner ein, der in Prag ebenfalls "auf oberpeinliche Weise" (Löw) verunglimpft worden war.

In den Anfangsminuten war es eher noch dem bedingungslosen Friedenswillen des Publikums zu verdanken, dass Werner in den Genuss eines freundlichen Empfangs kam; aber das änderte sich mit jeder Spielminute, die dieser kolossale Kerl da unten sprintete, kombinierte und traf. Irgendwann mischte sich sogar ein bisschen Schwabenstolz in den Applaus: Mensch, der Timo, der Kerle, des isch oiner von ons!

Wahrscheinlich wird es am Ende ausgerechnet jenes Spiel in Stuttgart gewesen sein, das Werner wieder zu dem machte, was er ist: ein herausragendes Sturmtalent, das gerade sehr erfolgreich dabei ist, den zweiten Teil des Wortes abzulegen. Talent? So wie Timo Werner spielt ein gestandener Stürmer.

Nach 55 Minuten pfiffen die Fans dann plötzlich doch, als Timo Werner am Ball war. Aber sie pfiffen natürlich nur, weil der litauische Schiedsrichter Gediminas Mazeika ihren neuen Liebling im Abseits gesehen hatte. Und sie bejubelten Timo Werner, als er ging, um dem ebenfalls bejubelten Mario Gomez Platz zu machen. Der schoss auch noch ein Tor und isch in der Seele der Schwaben natürlich au einer von ons.

© SZ vom 05.09.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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