Timo Werner:Auf Müllers Laufwegen

Lesezeit: 3 min

Beschatten hilft nichts: Timo Werner, Leipzigs dreifacher Torschütze, findet auch mit Gegnern im Nacken eine Lücke. (Foto: Kai Pfaffenbach/dpa)

Der Torjäger von RB Leipzig fügt seinem Spiel immer mehr neue Facetten hinzu. Gegen Mainz zeigt er neben Toren auch unvorhersehbare Läufe.

Von Frank Hellmann, Mainz

Florian Müller, dem bedauernswerten Ersatztorwart des FSV Mainz 05, war nicht daran gelegen, sich am frühen Sonntagabend mit irgendwelchen Floskeln aus einem Geisterspiel zu retten, das ihn eher an ein Gruselkabinett erinnerte. "Ehrlich gesagt, können wir uns bei Leipzig bedanken, dass sie so viele Chancen nicht reingemacht haben, sonst wäre es ohne Probleme zweistellig ausgegangen", meinte der Schlussmann in entwaffnender Ehrlichkeit. Tatsächlich war der 5:0-Sieg der Leipziger im ungleichen Duell am Mainzer Europakreisel eher noch zu niedrig als zu hoch ausgefallen. Die Wiederholung der 8:0-Lehrstunde aus der Hinrunde wäre aus Sicht der Sachsen leicht möglich gewesen. Angst und Schrecken verbreitete bei den Rheinhessen vor allem Torjäger Timo Werner, der erneut einen Dreierpack gegen Mainz erzielte (11./58./75.).

"Wenn wir das so beibehalten, kann die Saison gut enden", fand der 24-jährige Werner, der eingedenk seiner 24 Saisontore das Limit für seinen Klub offenbar nicht auf Tabellenplatz drei sieht. Seine 32 Scorerpunkte nach 27 Spieltagen bedeuten eine neue Bundesliga-Bestmarke. Während die Mainzer nun an diesem Mittwoch (20.30 Uhr) mit Unbehagen in der Alten Försterei bei Union Berlin antreten werden, empfangen die Leipziger mit viel Selbstbewusstsein Hertha BSC (18.30 Uhr). Drei Punkte und weitere Tore hat Werner flugs angekündigt. Als "sehr spielfreudig, sehr mutig und sehr lebendig" beschrieb Trainer Julian Nagelsmann seine unter Dauerstrom stehende Offensive.

Werner dient dort als eine Art Umspannwerk. Der Irrwisch gab nur nominell die zweite Spitze neben seinem Lieblingspartner Yussuf Poulsen, der sein 250. Pflichtspiel im Leipziger Dress mit einem Treffer und zwei Torvorlagen krönte, wegen einer Bänderverletzung nun aber bis auf Weiteres ausfällt. In Wahrheit mimte der vom FC Bayern verschmähte Werner eine Thomas-Müller-Kopie, als er mit nicht vorhersehbaren Laufwegen Verwirrung stiftete. Besonders effektiv war sein Wirken, wenn er sich auf den Posten als hängende Spitze begab, zumal er deutliche Fortschritte bei der Ballbehauptung verzeichnet.

Der Mainzer Trainer Achim Beierlorzer, der als Fußballlehrer in verschiedenen Rollen bei RB engagiert war - unter anderem als Assistent von Ralf Rangnick in der Aufstiegssaison - ist mit der Spielphilosophie von Leipzig bestens vertraut. Er fand an diesem Tag aber trotzdem keine taktischen Mittel gegen den mobilen Werner. Dass Beierlorzer zwischenzeitlich den einen Innenverteidiger (Jeremiah St. Juste) ins Mittelfeld zog und den anderen (Jeffrey Bruma) auswechselte, sorgte für Freiräume, in die sich Werner schlich, um mit Übersicht seine Tore zu erzielen.

Bei jedem seiner Erfolge jubelte Werner angemessen zurückhaltend. Ihm reichte der ausgestreckte Ellbogen. Seine Belohnung seien Tore, sagte Werner später artig, ehe er mit einem verschmitzten Grinsen preisgab: "Ein paar Süßigkeiten sind schon drin." Er hat erkennbar Geschmack daran gefunden, seinem Spiel neue Facetten hinzuzufügen. Der Werner, der allein mit langem Anlauf trifft, ist Geschichte. Für einen Spieler mit seinen Anlagen, der vielleicht bald zum FC Liverpool wechseln will, reicht es nicht, allein auf torbringende Sprints in die Tiefe zu setzen. Werner hat das unter Nagelsmann verstanden.

"Das ist bei ihm ein Entwicklungsschritt. Er hat gut aufgedreht auf der neuen Position", lobte der Trainer. Interessant, dass vor allem Torwart Peter Gulacsi wiederholt Werner über das ganze Feld ermahnte, die Spannung zu halten. ("Mach weiter, Timo!") Dass der Torjäger generell das große Geschrei auf dem Platz nicht mag, ist allseits bekannt, seit er sich im September 2017 in einem Champions-League-Gruppenspiel bei Besiktas Istanbul in einem infernalischen Getöse die Ohren zuhielt und früh vom Feld ging. Dass der Pegel nun um mehrere Dezibel heruntergedimmt ist, kommt ihm wohl gelegen.

RB Leipzig kommunizierte die Lärmempfindlichkeit damals so ungern wie nun offenbar eine zurückliegende Corona-Erkrankung von Mittelfeldspieler Marcel Sabitzer. Mehrere Medien berichteten, dass der österreichische Nationalspieler vom Gesundheitsamt vor knapp vier Wochen in zweiwöchige Quarantäne geschickt wurde, ebenso ein Physiotherapeut. Beide RB-Angestellte waren wohl symptomfrei. Nagelsmann wollte dazu nichts sagen. So wortkarg gab er sich sonst nur bei der Frage, ob Werner angesichts der für ihn nun günstigen Rahmenbedingungen den Wettstreit mit Bayern-Stürmer Robert Lewandowski (27 Saisontore) um die Torjägerkanone gewinnen kann. "Das müssen Sie Timo fragen", sagte er: "Ich will da keinen Druck aufbauen."

© SZ vom 26.05.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: