Timo Hildebrand:Er und nur er!

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Der Verein steht wegen, nicht trotz ihm oben: Timo Hildebrand und der VfB Stuttgart - zwei Parteien, die sich nicht mehr gegeneinander wehren können.

Christof Kneer

Auch an diesem Wochenende hat es in der Bundesliga wieder ein paar Fußballer gegeben, die ganz sicher gehen wollten. Sie wollten sichergehen, dass auch jeder merkt, dass sie gerade ein Tor geschossen haben, weshalb sie wild auf ihren Rücken deuteten, dorthin, wo ihr Name steht. Seht her, ich und nur ich habe dieses Tor geschossen, soll das heißen, und so raste Mario Gomez nach dem 3:2 in Bochum also mit gezücktem Finger auf den Stuttgarter Fanblock zu. Gomez wollte auch ganz sicher gehen - aber zur allgemeinen Überraschung zeigte er nicht auf sich selbst. Seht her, er und nur er hat diesen Ball gehalten, sagte Gomez' Finger, und dann sprach der Stürmer ins erste Mikrofon, das er finden konnte: "Dem Timo haben wir es zu verdanken, dass wir jetzt ganz oben stehen."

Stuttgart deutet auf Timo Hildebrand, das ist durchaus eine neue Nachricht. Vor einem halben Jahr haben sie eher im übertragenen Sinne auf ihn gezeigt, und das war weniger liebevoll gemeint. Seht her, er und nur er pokert, hieß das, und jetzt sind wir mal gespannt, ob er wieder keinen Verein findet. Vor einem halben Jahr hatte Hildebrand öffentlich gemacht, dass er sich nach acht Jahren vom VfB verabschieden möchte, aber so recht hat ihm das keiner geglaubt. Vor zwei Jahren hatte er ja schon mal seinen Abschied angekündigt, um dann doch wieder reumütig in Stuttgart unterzukriechen. Verpokert habe er sich, hieß es, angestachelt vom umstrittenen Agenten Dusan Bukovac, der den Kosenamen "Der Vampir aus Lissabon" führt. Hildebrand besteht bis heute darauf, dass er damals sehr wohl hätte ins Ausland wechseln können, er habe nur zu lange gezögert.

"Diese Geschichte war Timos erste Imagedelle", sagt sein Medienberater Volker Dietrich, "die Leute in Stuttgart und auch beim VfB wollten nicht begreifen, dass der liebe Timo kein Lehrling mehr ist, sondern ein erwachsener Profi." In Stuttgart und beim VfB wiederum sehen sie es eher so, dass der liebe Timo von seinem Management abgeschirmt und ferngesteuert wird. Seitdem gilt der nachdenkliche, durchaus mit Selbstironie begabte Torwart zu Unrecht als Abzocker; aber richtig ist auch, dass er es den Kritikern mit seiner Verschlossenheit manchmal schwer gemacht hat.

Man muss diese Vorgeschichte mit all ihren gegenseitigen Missverständnissen kennen, um jene kuriose Saison zu begreifen, die Hildebrand nun womöglich zu einem triumphalen Ende führt. Wohin er geht, hat er zwar immer noch nicht verraten, noch immer gilt der FC Valencia als erste Adresse, aber im Moment interessiert das niemanden in Stuttgart. Im Moment sprechen alle von dieser unwirklichen Parade, die er in jener 89. Minute in Bochum aufführte; er wischte Dabrowskis Schuss aus kürzester Distanz noch aus dem Eck, und anschließend gebärdete er sich, als habe er zu viele DVDs mit Oliver Kahn gesehen. Er brüllte und ballte die Fäuste, und das Schicksal war mindestens so beeindruckt wie damals, als Kahn es immer wieder in seine Gewalt brachte. Für einen Moment war Hildebrand der Vollkommenheit nahe: Er spielte modern wie Jens Lehmann, riss aber mit wie Oliver Kahn.

Im Winter isoliert

Wenn der VfB Stuttgart am Samstag also deutscher Meister wird (woran in der Branche nicht mehr viele zweifeln), dann wird es das auch wegen, nicht trotz Hildebrand. "Timo wird einen riesigen Anteil am Titel haben", findet Eike Immel, der im Tor stand, als der VfB im Jahr 1992 zum bisher letzten Mal Meister wurde. "Es ist sensationell, wie er aus dem Leistungsloch rausgekommen ist", sagt Immel und meint nicht nur Paraden wie jene in Bochum. "Solche Aktionen sieht jeder, aber mindestens genauso wichtig sind Paraden beim Stand von 0:0 in der 14. oder 24. Minute, an die sich die Öffentlichkeit gar nicht mehr erinnert. Solche Paraden hat er einige gehabt, und eine Mannschaft merkt natürlich, wenn ein Torwart sie andauernd im Spiel hält."

Es gehört zum Charme dieser Stuttgarter Meistergeschichte, dass sich hier zwei Parteien einfach nicht mehr gegeneinander wehren können. Noch im Winter galt Hildebrand im Kader als eher isoliert; er hatte eine schwache Vorrunde hinter sich, und schon im Jahr zuvor hatte es den Mitspielern nicht gefallen, dass der Torwart gern über die Leistung der Elf grummelte, sich selbst aber bei der Kritik vergaß. In dieser Rückrunde aber hält Hildebrand so phantastisch, dass das Team gar nicht anders kann, als ihn freudig wieder einzugemeinden - und in diesem von sich selbst begeisterten Team wiederum hat sich ein Mannschaftsreflex verselbständigt, der auch Hildebrand mitreißt. Er kann gar nicht mehr anders, als phantastisch zu halten. "Es heißt immer, dass Timo seit seiner Wechselankündigung befreiter spiele, aber das ist Quatsch", sagt Berater Dietrich. "Die Wahrheit ist: Er hatte in der Vorrunde Rückenprobleme, und er hat sie nicht einfach wegspritzen lassen wie viele das tun. Er hat den Rücken professionell stabilisiert, und das hat eben gedauert."

Im Sommer geht er also, und er hinterlässt eine Mannschaft, die eine große Vergangenheit vor sich hat. "Klar reden wir manchmal drüber, ob er den Abschied schon bereut", sagt Dietrich, aber es gebe doch nichts Schöneres, "als sich mit einem, vielleicht zwei Titeln zu verabschieden". Ob sein Nachfolger, der Nürnberger Raphael Schäfer, das genauso sieht, ist nicht bekannt.

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