Am Dienstagmorgen hat Anna-Lena Friedsam auf dem kleinen Centre Court der Tennisanlage von Nürnberg die Rumänin Irina-Camelia Begu in drei Sätzen (4:6, 6:3, 6:3) bezwungen. Als nächstes wird ihr dort die DTB-Kollegin Andrea Petkovic im Achtelfinale begegnen. Aber es gibt eine Rivalin, auf die Anna-Lena Friedsam, 25, noch neugieriger ist, der sie wirklich gern einmal leibhaftig auf der anderen Seite des Netzes gegenüberstehen würde, und diese Konkurrentin, gleich groß, gleich alt und mit einer ebenso wuchtigen Vorhand gesegnet, heißt: Anna-Lena Friedsam. "Gegen mich selbst würde ich gern mal spielen", sagte sie am Abend vor ihrem Aufaktmatch beim zweitgrößten deutschen WTA-Turnier mit einem Lachen: "Dann wüsste ich, wie sich das anfühlt." Bei einem solchen irrealen Spiegelduell ginge es ihr nicht einmal so sehr darum, die eigenen kleinen Schwächen auszuloten, im Gegenteil: "Man würde dann auch sehen, wie stark man ist."
Wie stark die Prominenz im Profitennis ist, das weiß sie ohnehin. Mit den meisten hat sie sich schon auf allen möglichen Belägen Duelle geliefert. Auch mit Serena Williams, der 15-maligen Grand-Slam-Siegerin, der sie 2015 auf Sand bei den French Open in Paris einen Satz abjagte. Wenige Monate später schlug sich die Hochbegabte aus Neuwied auf den Hartplätzen der Australian Open 2016 sogar bis ins Achtelfinale durch. Dass das Echo auf diese frühen Erfolge anschließend verhallte, lag nicht daran, dass ihr Technik oder Talent abhanden gekommen wären. Vielmehr zog sie sich einen Sehnenanriss in der Schulter des Schlagarms zu, die sich nach der Operation noch einmal so stark entzündete, dass ein zweiter Eingriff nötig wurde.
Erst im März dieses Jahres ist sie auf die Profi-Tournee zurückgekehrt, begleitet von einem erleichterten Stoßseufzer von Barbara Rittner, der Frauen-Verantwortlichen im Deutschen Tennis Bund (DTB), die derzeit in ein gähnendes Loch in Anna-Lena Friedsams Altersklasse im Tennis starrt: "Wir brauchen sie", sagt Rittner, "denn da ist eine Lücke entstanden."
Schon bei ihrem dritten Turnier in diesem Jahr im April in Stuttgart hat Anna-Lena Friedsam ihre eigenen Hoffnungen übertroffen: Sie qualifizierte sich nicht nur fürs Hauptfeld des 800 000-Dollar-Turniers, wo sie der Weltranglistenvierten, Kiki Bertens aus den Niederlanden, unterlag. Sie gewann auch ihren ersten Titel in der Doppelkonkurrenz der WTA, an der Seite von Mona Barthel, der Kollegin aus dem Fedcup-Team. "Damit hatten wir beide nicht gerechnet", sagte sie. Erneut hat sich Rittner, Head of Women's Tennis im DTB, in ihren Erwartungen in Anna-Lena Friedsam bestätigt gesehen.
Denn dass der Flug der Bälle im deutschen Tennis über kurz oder lang auf eine Zeitenwende zusteuern muss, war jüngst bei der Fedcup-Relegation offensichtlich: Das Durchschnittsalter im Quartett der besten DTB-Spielerinnen mit Julia Görges (Nummer 18 der Weltrangliste), Andrea Petkovic (Nummer 69), Mona Barthel (Nummer 84) und Doppel-Spezialistin Anna-Lena-Grönefeld lag bei über 30 Jahren. Auch die Wimbledonsiegerin Angelique Kerber (Nummer 5), damals nicht mit von der Partie, ist schon 31. Und niemand hat sich bisher in den Vordergrund gedrängt, der dieser Ü30-Gemeinschaft vom Sockel zu stürzen gedenkt. "Wir hatten eine vielversprechende Generation", sagt Ritter: "Aber die ist aus unterschiedlichen Gründen fast weggebrochen." Da sei Carina Witthöft, 24, aus Hamburg zu nennen, die eine Turnierpause eingelegt habe; Antonia Lottner, 22, aus Kaiserswerth, die "noch nicht richtig durchgestartet" sei, auch wenn Rittner ihr das "stark zutraut". Annika Beck, 25, aus Gießen schließlich hat die Profikarriere beendet und studiert Zahnmedizin. Weshalb der Verband jetzt sehr intensiv mit der Generation dahinter trainiere, mit den 15- bis 17-Jährigen, wie DTB-Frauen-Chefin Rittner sagt. "Aber sie sind jung und brauchen noch einige Jahre in der Entwicklung."
Von einer verlorenen Generation zu sprechen, ist aber falsch, seit Anna-Lena Friedsam nun sogar bewiesen hat, dass sie Titel gewinnen kann. "Sie ist eines unserer brillantesten Talente", sagt Andrea Petkovic. Es ist fast schon ein Zukunfts-Duell, das sich da nun im Nürnberger Achtelfinale anbahnt.