Tennis:Zeit für Gummibärchen

Lesezeit: 4 min

Hand auf Herz: Maria Scharapowa bei der Pressekonferenz im März 2016 in Los Angeles, bei der sie ihren positiven Dopingbefund erklärt. (Foto: Robyn Beck/AFP)

Maria Scharapowa kehrt zurück auf die große Tennis-Bühne. Ihr Auftritt bei den US Open könnte dennoch ein kurzer werden: Sie trifft direkt auf die Favoritin.

Von Jürgen Schmieder, New York

Können wir uns, bitte schön, bevor wir über Tennis reden, darauf einigen, dass andere Frauen dieses Kleid, das Maria Scharapowa am Montagabend bei ihrer Partie gegen Simona Halep tragen wird, nur dann anziehen würden, wenn sie ihren Partner zu einer aufregenden Nacht verführen möchten? Es ist ein knappes Kleidchen des Designers Riccardo Tisci, schwarz, hauteng, mit weißen Pünktchen auf dem Rock und feinem Spitzenmuster vom Bauchnabel aufwärts. Natürlich sieht Scharapowa fantastisch aus in diesem Outfit.

Das Kleid ist bedeutsam für die Beurteilung des Auftritts bei den US Open, weil bei Scharapowa immer auch wichtig ist, was sie trägt. Welchen Schläger sie schwingt. Welches Auto sie fährt. Welche Gummibärchen sie isst. Sie ist eine herausragende Tennisspielerin, gewiss, eine von nur zehn Spielerinnen, die jemals alle vier Grand-Slam-Turniere gewonnen haben. Im Alter von 17 Jahren siegte sie 2004 in Wimbledon, 2006 in New York, 2008 in Melbourne und 2012 und 2014 bei den French Open. Scharapowa, 30, ist aber auch eine Marke. Eine "Influencerin", wie es heutzutage so schrecklich heißt. Jemand, der aufgrund seines Verhaltens andere Menschen zum Kauf von Klamotten, Autos und Gummibärchen bewegen kann. Jahrelang war sie die bestbezahlte Sportlerin der Welt, obwohl sie noch nicht einmal die beste Tennisspielerin der Welt war.

Die Marke Scharapowa strahlt nicht mehr so glanzvoll, seit ihr bei den Australian Open 2016 die Einnahme des verbotenen Mittels Meldonium nachgewiesen wurde. Das in Lettland hergestellte Herzmedikament ist in Deutschland und den USA als Arzneimittel nicht zugelassen, seit dem 1. Januar 2016 stand es auf der Verbotsliste der Welt-Anti-Doping-Agentur (Wada). Die Russin beteuerte damals in einem Hotel in Los Angeles, die Liste mit den verbotenen Substanzen für das Jahr 2016 nicht gelesen zu haben: "Ich übernehme die volle Verantwortung, weil es mein Körper ist."

Das klang wie ein aufrichtiges Geständnis, auch wenn neben der Frage, warum eine gesunde Profisportlerin jahrelang ein Herzmittel zu sich nehmen musste, noch eine andere gestellt wurde: Wie kann eine Frau, die sich selbst als Perfektionistin bezeichnet, eine E-Mail des Tennisverbandes mit dem Hinweis auf eine Liste mit Dopingmitteln nicht lesen? Ihr Manager Max Eisenbud hatte drei Monate vor dem Geständnis bei einem Treffen mit der SZ gesagt: "Viele Sportler denken: Ich bin großartig, also wird mich schon jemand bezahlen. Maria hat verstanden, dass das Geld nur dann fließt, wenn alle glücklich sind."

Scharapowa wurde gesperrt, zunächst 24, dann 15 Monate. Das wiederum erzürnte die Verantwortlichen im Scharapowa-Influencer-Kosmos, der alles für eine möglichst kurze Sperre getan hatte: freiwillige Veröffentlichung der Ergebnisse, Verzicht auf die B-Probe, reumütiges Geständnis. Wer Scharapowas Einspruch beim Sportgerichtshof Cas gegen die Sperre liest, der erkennt: Die Täterin stilisierte sich plötzlich zum Opfer, schuld am Schlamassel waren die anderen. Die Wada etwa, die verbotene Mittel nicht hinreichend definiert habe. Oder der Tennisverband ITF, der die Athleten nicht ausreichend informiert habe. Selbst Eisenbud nahm ein bisschen Schuld auf sich und begründete seine Unachtsamkeit mit privaten Problemen. Scharapowa selbst sei höchstens geringfügig schuld, hieß es, eher sei alles ein Missverständnis.

Aus Reue wurde Wut, doch so eine Charaktereigenschaft passt nicht zu einer Influencerin. Scharapowa verhielt sich still während der Sperre, sie spielte Beach-Tennis am Strand von Los Angeles oder vermarktete ihre Gummibärchen. Sie lächelte freundlich und sagte: nichts. Die meisten Sponsoren blieben ihr treu, trotz der Sperre verdiente sie 2016 satte 21,9 Millionen Dollar und war damit nach Serena Williams noch immer die Sportlerin mit den zweithöchsten Einnahmen weltweit.

Manager Eisenbud bastelte derweil an einer glorreichen Rückkehr für seine Klientin, er gehört als Vizepräsident der Vermarktungsagentur IMG ohnehin zu den mächtigsten, am besten vernetzten Figuren im Weltsport. Es funktionierte nur alles nicht so wie geplant: Scharapowa wurde nicht wie ein Opfer behandelt, sondern wie eine Täterin, ihre Wildcards bei Turnieren wurden eher naserümpfend denn begeistert registriert.

Die French Open hatten argumentiert, dass es keine Freikarten für ein Comeback nach einer Dopingsperre geben dürfe. Den Verantwortlichen von Wimbledon ersparte Scharapowa eine Entscheidung, als sie wegen Hüftbeschwerden absagte. Aufgrund von Verletzungen hat sie seit ihrer Rückkehr im April lediglich zehn Partien absolviert, keine davon bei einem Grand-Slam-Turnier. Die US Open sollen nun die Bühne für das grandiose Comeback sein, und welche Geschichte lieben die Amerikaner mehr als die, in der ein gefallener Held reumütig zurückkehrt und obsiegt?

Sie wollen einem ja dauernd was verkaufen bei den US Open. Wer in diesen Tagen über die Anlage spazierte, stellte verblüfft fest, dass zahlreiche Firmennamen nicht nur über den Geschäften, in Logen oder auf Sponsorenwänden neben den Plätzen zu sehen sind, sondern auch im Influencer-Portfolio der Marke Scharapowa. Es sieht so aus, als hätten einflussreiche Leute dem amerikanischen Tennisverband mitgeteilt, dass es eine wunderbare Idee wäre, Scharapowa eine Wildcard für dieses Turnier zu geben. Die offizielle Begründung dann: Tradition. Sie haben immer wieder Wildcards an frühere Champions vergeben, warum also nicht an Scharapowa?

Eisenbud und Scharapowa wollen sich nicht äußern vor der Auftaktpartie - und wer sich mit anderen Spielerinnen unterhält, merkt schnell, dass denen das Thema entweder unangenehm ist oder gewaltig auf die Nerven geht. Es sind Sätze zu hören wie: "Ich habe da keine Meinung." Oder: "Das ist nicht meine Entscheidung." Es gibt vielleicht ein Augenrollen oder den mit abfälligem Lächeln verbundenen Hinweis, dass Scharapowa in der ersten Runde gegen Simona Halep antreten muss.

Halep ist eine Turnier-Favoritin, nach den US Open könnte sie die Spitze der Rangliste übernehmen. Sie hat in sechs Partien nie gegen Scharapowa gewonnen, doch die letzte liegt drei Jahre zurück. "Ich bin jetzt eine andere Spielerin", sagt Halep: "Ich habe einige enge Partien absolviert und nun Erfahrung darin." Das Duell findet am Montagabend statt. Im Arthur Ashe Stadium. Zur besten Sendezeit. Natürlich. Es ist durchaus möglich, dass diese Vorstellung, so nennt Scharapowa ihre Partien, die einzige ist, bei der sie dieses tolle Kleidchen präsentieren darf.

© SZ vom 28.08.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: