Tennis:"Was hat Roger überhaupt noch zu verlieren?"

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Severin Lüthi, der Trainer von Roger Federer, blickt vor den ATP-Finals in London zurück auf seine Reise mit dem Rekordsieger. Und er verrät, wie sie weitergehen soll.

Von Simon Graf

Der Tennistrainer Severin Lüthi stieß im Sommer 2007 zu Roger Federer, als sich dieser von Tony Roche getrennt hatte. Anfangs war Lüthi noch vor allem Organisator, doch in den Jahren wurde er auch als Coach immer wichtiger für den Ausnahmespieler. Aktuell traniert er ihn mit dem ehemaligen Spieler Ivan Ljubicic. Lüthi begleitete Federer bei zehn seiner 20 Grand-Slam-Titel und führte ihn als Kapitän zum Davis-Cup-­Triumph 2014 mit Stan Wawrinka. Vor den ATP-Finals in London, die an diesem Sonntag unter anderem mit Federer und der deutschen Nummer eins Alexander Zverev beginnen, spricht Lüthi über die Chancen seines Schützlings.

SZ: Mit 37 ist Roger Federer zum 16. Mal beim ATP-Finale dabei. Haben Sie sich auch schon einmal beim Gedanken ertappt, es könnte das letzte Mal sein?

Severin Lüthi: Natürlich kann es mit 37 schnell zu Ende sein. Aber ich gehe nicht davon aus, dass es das letzte Mal ist. Sondern, dass er das nächste Jahr sicher noch weiterspielt. Und dann sollte das ATP-Finale wieder ein Thema sein. Aber wir reden eigentlich nie über den Rücktritt.

Dachten Sie, als Sie 2007 zu Federer stießen, dass die Reise mit ihm so lange gehen würde?

Nein, sicher nicht! Nie! Wenn man mir gesagt hätte, dass ich elf, ja bald zwölf Jahre später immer noch dabei sei und Roger immer noch so gut spiele, hätte ich das nie geglaubt. Obschon man bei ihm immer das Gefühl hatte, dass er unmögliche Dinge erreichen kann.

Gibt es im Rückblick einen emotionalen Höhepunkt für Sie?

Klar sind die Grand Slams ganz weit vorne. Und der Davis-Cup-Sieg war für mich natürlich wunderschön. Aber es geht immer weiter, man hat kaum Zeit zurückzublicken.

Sie sind nicht nur der Coach Federers, sondern auch sein Freund. Wie reagiert er, wenn Sie ihn kritisieren?

Eine der Stärken von Roger, ja von Topspielern allgemein ist: Sie wollen, dass man sie kritisiert. Weil sie immer besser werden wollen. Roger ist so. Stan (Wawrinka, zweiter Schweizer Top-Spieler) auch. Aber natürlich lassen sie sich nicht von jedem etwas sagen. Man müsste meinen, dass die Topspieler nur noch Ja-Sager um sich herum haben, weil sie so gut sind, es nur noch Details sind, die sie besser machen können. Aber so ist es eben nicht. Sie sind so gut, weil sie immer noch besser werden wollen und auch unangenehme Dinge annehmen. Und die Freundschaft zu Roger ist da kein Hindernis. Im Gegenteil.

Macht stets eine gute Figur, auch in langen Hosen: Roger Federer auf einer Rolltreppe der Londoner Tube auf dem Weg zu einem Fototermin für die ATP-Finals. (Foto: Clive Brunskill/Getty Images)

Wie hat sich Ihre Beziehung entwickelt mit den Jahren?

Es ist schon mehr los um Roger als früher. Wir verbringen weniger Zeit miteinander als damals, als wir phasenweise nur zu dritt unterwegs waren: er, Mirka (Feders Ehefrau, Anm. d. Red.) und ich. Jetzt sind noch vier Kinder dabei, Nannys. Und Mirka und er treffen gerne noch andere Familien mit Kindern. Früher gingen wir öfter zusammen zu abendessen. Aber für mich stimmt das so.

Wenn Sie die Saison 2018 in einem Wort erklären müssten. Was wäre es?

Super. Er gewann vier Turniere, ein Grand-Slam-Turnier, wurde nochmals die Nummer 1.

Aber teilen Sie den Eindruck nicht, dass Federer die Lockerheit von 2017 in diesem Jahr etwas verloren hat?

Als er 2017 nach Melbourne kam, hörte ich ihn erstmals sagen: Jetzt habe ich nichts zu verlieren. Ich kann völlig befreit aufspielen. Das gefiel mir. Und ohne diese Einstellung hätte er das Turnier nicht gewonnen. Aber das beizubehalten ist nicht so einfach. Weil er gleich so erfolgreich war, war er plötzlich wieder überall der Favorit. Wie fast immer in seiner Karriere.

War da jüngst Paris-Bercy, wo er spontan antrat, eine gute Abwechslung?

Absolut. Er hatte Basel gewonnen, für London spielte es keine Rolle, wie er in Paris abschneiden würde. Er hatte nichts zu verlieren. Aber manchmal frage ich mich: Was hat er überhaupt noch zu verlieren? Selbst wenn er kein Match mehr gewinnt, hat er trotzdem eine unglaubliche Karriere gehabt. Was er alles erreicht hat, kann ihm niemand mehr wegnehmen.

Am Freitag sagte Federer, weil er so wenig spiele, fühle er sich noch mehr unter Druck. Da spiele er primär, um nicht zu verlieren, und nicht, um zu gewinnen.

Das kann ich nachvollziehen. Es ist ein schmaler Grat zwischen dem Perfektionismus und der Lockerheit, die es eben auch braucht. Wenn du alles immer perfekt machen willst, kann das auch kontraproduktiv sein. Wenn du dir sagst: Beim Return muss ich einmal mit Slice spielen, einmal mit Topspin, einmal Chip and Charge, einmal umlaufen, dann wird es dir irgendwann zu viel. Ein wichtiger Faktor ist für mich das Selbstvertrauen: In den Phasen, in denen du Selbstvertrauen hast, machst du automatisch das Richtige.

Severin Lüthi (links) am Samstag, einen Tag vor dem Start der ATP Finals in London, im Gespräch mit Roger Federer. (Foto: Clive Brunskill/Getty Images)

Anders gefragt: Sollte er 2019 wieder öfter spielen?

Das werden wir am Ende der Saison sicher genau analysieren. 2017 klappte es mit der langen Pause vor der Rasensaison. Eine Option wäre sicher, dass er wieder auf Sand spielt, damit diese Pause nicht mehr so lang wird. Wenn man ein bisschen älter ist, will man den Motor auch nicht komplett ausschalten. Wir sind ständig daran, Anpassungen zu machen. Was vor fünf Jahren richtig war, ist heute nicht mehr richtig. Und was heute stimmt, stimmt vielleicht in drei Monaten nicht mehr. Beispielsweise haben wir das Training angepasst. Roger trainiert heute nicht mehr fünf Tage am Stück, sondern vielleicht drei, und dann hat er einen Tag Pause.

Vor Basel sprach Federer erstmals darüber, dass er im Sommer Probleme mit der Schlaghand gehabt habe. Wie sehr hat ihn das beeinträchtigt? Und wie passierte das?

Es passierte in Stuttgart bei einem Schlag im Training. Wie gravierend es war, ist schwer abzuschätzen. Roger ist keiner, der so etwas als Ausrede braucht. Deshalb sagte er es erst im Nachhinein. Sicher halfen diese Probleme nicht. Es war zeitweise schwierig mit der Vorhand. Aber er ist einer, der sich gut einreden kann, es sei nicht so schlimm. Zum Glück ist es vorbei.

Stimmt der Eindruck, dass der beste Djokovic für Federer momentan schwieriger ist als der beste Nadal?

Wann spielte er letztmals gegen Nadal?

In Shanghai 2017.

Eben. Es ändert sich immer wieder. Am Anfang dachte ich, Djokovic könne Nadal nicht schlagen. Dann drehte es, da dachte ich, umgekehrt sei es nicht mehr möglich. Klar, Djokovic ist wieder die Nummer 1, er hat seit Sommer ausgezeichnet gespielt. Moment ist er für jeden schwer zu schlagen. Er ist sehr solide, komplett, in der Defensive sehr stark. Aber er hat nichts Aussergewöhnliches, das ihn für Roger unschlagbar macht. Wenn Roger sehr gut spielt, kann er ihn schlagen.

Was erwarten Sie in London von Federer?

Es ist etwas drin für ihn. Nach ein, zwei Spielen wissen wir, wo er steht. Der Start ist wichtig, dass er gegen Nishikori gewinnt.

Und nach dem ATP-Finale setzen Sie Ihre Flugmeilen ein, um in den Urlaub zu fliegen?

(lacht) Genau. Am Mittwoch nach dem ATP-Finale. Aber gebucht habe ich noch nicht. Dass wir zu zweit sind, Ivan Ljubicic und ich, erlaubt es mir, ab und zu ein Turnier auszulassen. Aber es gab schon intensive Phasen. Der Amerika-Trip war sehr lang, mit Cincinnati, den US Open und danach gleich dem Davis-Cup. Nach dem Uralub steht das Training in Dubai an, dann komme ich nochmals für 14 Tage zurück in die Schweiz, bevor es nach Australien geht. So kann ich Weihnachten in der Schweiz feiern.

© SZ vom 11.11.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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