Tennis:Machtkampf vor den Kulissen

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Auf dem Platz hat Novak Djokovic in zwei Partien kaum schwitzen müssen. Erst danach gerät er zusehends in Bedrängnis. (Foto: Clive Brunskill/Getty Images)

Abseits der weißen Linien ist Novak Djokovic' Stellung mächtig ins Wanken geraten.

Von Barbara Klimke, London

Auf dem Platz regiert Novak Djokovic derzeit souverän. Ohne Satzverlust schwingt er sich durchs Turnier, in der zweiten Runde hat er mit langen Rückhandschlägen den US-Amerikaner Denis Kudla vom Platz getrieben, 6:3, 6:2, 6:2. Wenn überhaupt etwas seine Seelenruhe störte in diesem Match, dann nur ein Einwand des Unparteiischen, der sich an der Schirmmütze des Serben störte. Die Etikettenwächter im Schiedsrichter-Büro wurden zu Rate gezogen, ob der dunkle Saum von Djokovics Kappe mit der strikten Bekleidungsvorschrift im All England Club zu vereinbaren sei, die nur weißes Outfit erlaubt. Mütze genehmigt, hieß es schließlich: So liegt Titelverteidiger Djokovic weiter auf Kurs, zum fünften Mal in Wimbledon zu gewinnen, was ihn auf eine Stufe mit Björn Borg heben würde.

Abseits der weißen Linien, die sein Leben als Spitzensportler ordnen, ist Djokovic' Stellung zuletzt aber mächtig ins Wanken geraten. Das wurde auf der Pressekonferenz nach dem Match am Mittwochabend deutlich, als Djokovic mehr in Bedrängnis geriet als durch alle Ballwechsel in den beiden Stunden zuvor: "Es gibt keinen Grund, mich anzugreifen", teilte er mit, als er in ein heftiges Wortgefecht mit Journalisten geriet.

Denn Djokovic ist nicht nur aktiver Tennisprofi und dazu einer der besten der Geschichte mit bisher 15 Grand-Slam-Siegen. Er amtiert seit 2016 auch als Präsident des Spielerrats der Männer-Profivereinigung ATP, einem Gremium mit zwölf Mitgliedern. Und in dieser Funktion als oberster Spielerfunktionär wird ihm vorgeworfen, zu lange auf den falschen Verbündeten gesetzt zu haben, auf Justin Gimelstob.

In der ATP, dessen oberste Führungsetage der Vorstand, das "Board of Directors" bildet, schwelt seit Monaten ein Machtkampf, in dem es nicht nur um Positionen, sondern auch um Prestige, Einfluss und letztlich um die Geldverteilung im boomenden Tennisgeschäft geht. Im März hat der Vorstand entschieden, den Vertrag mit dem erfolgreichen Geschäftsführer, dem Briten Chris Kermode, nicht zu verlängern. Als Drahtzieher im Hintergrund galt Djokovic: Es heißt, dass er eigene Pläne mit dem Ex-Profi Gimelstob, 42, verfolge, einem US-Amerikaner, der lange Jahre als einer von drei Spielervertretern im höchsten Gremium der Direktoren saß.

Aus diesem Amt hat sich Gimelstob im Mai nun zurückziehen müssen, als Vorwürfe wegen schwerer Körperverletzung gegen ihn nicht mehr zu ignorieren waren. Ein Gericht in Los Angeles hat Gimelstob im April unter anderem zu drei Jahren auf Bewährung und sechzig Tagen gemeinnütziger Arbeit verurteilt, weil er am Halloween-Tag 2018 einen Nachbarn verprügelt hatte. Er soll den Bekannten seiner Ex-Frau zu Boden malträtiert haben, in Beisein der damals schwangeren Frau und vor den Augen eines zweijährigen Kindes. Die Frage ist nun, warum Djokovic offenbar unbeirrbar weiter an Gimelstob festhält.

Erst zu Beginn dieser Woche hatte der Weltranglistenerste erklärt, dass er weiter Kontakt zu Gimelstob hält: "Ich bin ihm freundschaftlich verbunden", sagte er. Der ehemalige ATP-Direktor habe ihn "beraten", als er kürzlich in London war. Sie hätten sich kurz getroffen und ständen auch sonst in telefonischer Verbindung.

Als Djokovic nun am Mittwoch bei der Pressekonferenz gefragt wurde, warum er weiter zu einem früheren Funktionär halte, von dem sich die Tenniskollegen inzwischen weitgehend distanzierten, kam es zu interessanten Einblicken: "Ist seine Schuld bewiesen?", fragte Djokovic zurück. Als ihm erklärt wurde, dass Gimelstob bei der Verhandlung auf "No Contest" plädiert habe, worauf der Richter habe erkennen lassen, dass er dies als Schuldanerkennung werte, musste Djokovic zugeben, dass er die Gerichtsakten nicht kennt: "Ich habe sie nicht gelesen. Ich habe mit Justin gesprochen", sagte er: "Er hat mir erklärt, dass der Prozess noch immer läuft. Offenbar kenne ich nur seine Seite."

Immerhin versprach Djokovic in seiner Funktion als Chef des Spielerrats, sich nun die Aussageprotokolle der Opfer vorzunehmen. Sollte Gimelstob ein kriminelles Delikt begangen haben, dann ändere das selbstverständlich dessen Zukunft im Sport. "Wenn nicht", sagte Djokovic, "dann ist er von großem Wert für unseren Sport und unsere Spieler. Das ist er immer gewesen: Er hat die Spieler zehn Jahre lang wortgewaltig vertreten."

Dass Djokovic weiter an seinem Funktionärs-Freund festhielt, ihm möglicherweise sogar die Tür zur Rückkehr in die Tennisorganisation ATP offenhalten wollte, erklärt auch, weshalb es vor einer Woche in Wimbledon zu einem Eklat im Spielerrat gekommen ist. Gewählt wurde der Nachfolger von Gimelstob im Vorstand, der Amerikaner Weller Evans übernimmt das Amt nun vorerst bis zum Jahresende. Aber im Verlauf der siebenstündigen Sitzung traten vier Ratsmitglieder zurück: die Spieler Sergeij Stachowski (Ukraine), Robin Haase (Niederlande), Jamie Murray (Großbritannien) sowie der Trainer Daniel Vallverdu.

Schon im Mai hatte der Schweizer Profi Stan Wawrinka in einem öffentlichen Brief in der britischen Zeitung The Times Bezug auf das Chaos in der Dachorganisation genommen und auf einen "besorgniserregenden Verfall der moralischen Werte" hingewiesen. Hintergrund sind wohl auch die Verteilungskämpfe um die hohen Gewinne im Tennis: Vor allem die Spieler auf den hinteren Plätzen der Weltrangliste fühlen sich unterbezahlt. Roger Federer, bis 2014 Präsident des Spielerrats, hat sich in dieser Woche aus der Kontroverse herausgehalten. "Ich bin nicht in der Stimmung, jetzt über Politisches zu sprechen", sagte er. Und wer Nachfolger des geschassten ATP-Chefs Kermode wird, ist noch nicht entschieden. Für Djokovic wird die Angelegenheit über Wimbledon hinaus wohl eine Weile weitergehen.

© SZ vom 05.07.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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