Tennis:Kalte Hände und Gänsehaut

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Wild entschlossen: Julia Görges während ihres Matches gegen Elina Svitolina in Stuttgart. (Foto: Simon Hofmann/Getty Images)

Angelique Kerber zeigt beim Fed Cup eine rundum überzeugende Leistung. Aber für die größere Überraschung bei der 2:0-Führung gegen die Ukraine sorgt Julia Görges - trotz ihrer inneren Unruhe.

Von Philipp Schneider, Stuttgart

Schon um kurz nach halb fünf am Samstag biegt eine gut gelaunte Bundestrainerin Barbara Rittner mit ihrer Spitzenspielerin Angelique Kerber um die Ecke im kleinen Medienzentrum. Hinter ihnen, auf der anderen Seite der Glasscheibe, scheinen zu diesem Zeitpunkt noch die Deckenstrahler auf den roten Sand in der Stuttgarter Tennisarena. Aber im Prinzip hätte man sie schon ausschalten können. Dieser Tennistag war ja erstaunlich früh zu Ende gegangen, vor allem war er aus Sicht der deutschen Tennisfrauen überaus erfreulich verlaufen. "Wir sind jetzt erst mal erleichtert, dass wir 2:0 führen", sagt Rittner, vergisst dann aber nicht, noch schnell die im Fed Cup sicher angemessen Warnung nachzuschieben, dass der sportlichen Situation in dieser Abstiegs-Relegation gegen die Ukraine angesichts von noch drei am Sonntag zu vergebenen Punkten nicht mit Leichtsinn zu begegnen sei. Und neben Rittner lächelt Kerber, dann sagt sie: "Für mein erstes Match auf Sand in dieser Saison war es sehr gut."

Das war es in der Tat. Und alles andere als selbstverständlich vor dem Hintergrund, dass der auf den Hartplätzen dieser Welt ausgetragene erste Teil der Saison für die Weltranglistenerste ohne Turniersieg zu Ende gegangen war. Beim 6:1, 6:4 gegen Lesia Zurenko zeigte Kerber all das, was ihr Spiel an guten Tagen schillern lässt. Sie agierte mutig, nahm die Bälle aggressiv an der Grundlinie in Empfang, vor allem war sie von Beginn an hoch konzentriert. "Ich hatte vielleicht nicht den besten Start in die Saison, aber ich genieße es, wieder zu spielen", sagt Kerber. Es sei sogar so: "Das Tennis war nie weg." Eine große Hilfe gegen Zurenko sei gewesen, dass sie "mit einem 1:0 im Hinterkopf" auf den Platz gehen durfte.

Mit selbstbewusster Geisteshaltung

Für dieses gute Gefühl, die überraschende Führung, hatte zuvor Julia Görges gesorgt, bei ihrem 4:6, 6:1, 6:4 gegen die Weltranglisten-13. Jelena Switolina. Es war ein Match mit so viel Brüchen und Wendungen, dass die Zusammenfassung des allseits beliebten Hallensprechers Hans-Jürgen Pohmann - selbst ein ehemaliger Davis-Cup-Spieler - etwas zu kurz griff, als er Görges anschließend zu einem nahezu fehlerfreien Spiel gratulierte, in dem sie offenbar kaum nervös gewesen sei. Görges rang nach Worten, sie wusste ja selbst am besten, wie eng dieses Match gegen die zähe Ukrainerin mit der knüppelharten Rückhand in Wahrheit gewesen war. "Manchmal trügt der Schein", antwortete Görges vorzüglich diplomatisch. "Ich war sehr nervös, hatte kalte Hände und Gänsehaut. Ich habe versucht, dass ich nach außen ruhig wirke. Innerlich war ich es aber nicht." Da staunte der Interviewer. Und das Stuttgarter Publikum lachte mit Görges, die ja soeben den Tag gerettet hatte.

In vielen Tennismatches gibt es einen Punkt, an dem das Pendel genauso gut in die andere Richtung hätte schlagen können. Bei Görges und Switolina war es das achte Spiel des dritten Satzes. 4:3 führte die Deutsche, im Spiel zuvor hatte sie der Ukrainerin ihren Aufschlag abgenommen. Nun musste sie nur noch servieren, das Match einfach zu Ende bringen. Doch die Dinge zu Ende zu bringen, ist allerdings nicht immer die Stärke von Görges. Und in diesem achten Match des dritten Satzes zeigte sie noch mal die ganze Bandbreite ihres Spiels, im Positiven wie im Negativen. Drei Breakbälle wehrte Görges ab, ehe sie ihren vierten Spielball verwandelte. Sie spielte mutige Winkel, scheuchte die Ukrainerin über das Feld, um es für ihre Vorhandschläge zu öffnen, sie stürmte vor ans Netz, setzte einen Flugball gekonnt cross ins gegnerische Halbfeld. Doch dann unterliefen ihr auf der Vorhandseite auch wieder unpräzise Schläge, derentwegen man sie mancherorts "Streujule" nennt.

Aber so ist eben ihr Spiel, es changiert irgendwo zwischen Genialität und Ungenauigkeit. Am Ende unterliefen Görges 46 unerzwungene Fehler, was nicht wenig ist für ein Dreisatzmatch, doch demgegenüber standen auch 29 Winner, also direkte Punktgewinne. "Mein Spiel ist es, aggressiv zu spielen, das Match in die Hand zu nehmen. Ich will nicht abhängig sein von meinem Gegner", sagte Görges. "Da gehören Fehler dazu, aber ich weiß auch, wie viel Qualität ich auf den Platz bringen kann." Und mit dieser selbstbewussten Geisteshaltung überwand sie am Samstag alle Härten des Schicksals, die sich vor ihr türmten.

Nach einem Sturz auf den Kopf kurz benebelt

Im ersten Satz schrie ein Baby mitten hinein in Görges Konzentrationsphase bei zweitem Aufschlag und Breakball gegen sich. Nicht gerade der günstigste Moment. Görges servierte ins Netz, kurz darauf verschwanden Mutter und Baby, und 15 Minuten später war auch der Satz futsch. Ob sie das Baby gehört habe? "Ich glaube, das hat die ganze Halle gehört", klagte Görges. Auch ein Ausrutscher mit anschließender Behandlungspause brachte sie nicht aus dem Rhythmus: Zu Beginn des dritten Satzes verlor sie kurzzeitig die Balance, fiel hin und stieß sich bei der Abrollbewegung den Kopf am Boden. Switolina habe ihr "auf den Körper serviert, ich wollte ausweichen", daraufhin habe sie die Kontrolle verloren. Sie sei, sagte Görges, "einige Minuten lang etwas benebelt" gewesen.

Und jetzt? Sieht es erstaunlich gut aus für die deutschen Tennisfrauen. Ein Punkt fehlt noch, dann wäre der Abstieg aus der Weltgruppe abgewendet. Am Sonntag (11 Uhr) treffen zunächst die Spitzenspielerinnen aufeinander, Kerber spielt gegen Switolina. Die 22-Jährige aus Odessa hat sich zu einer Art Expertin für Kerber entwickelt. Auf dem Weg zu ihrem bisher größten Turniersieg in Dubai im Februar gewann sie im Halbfinale gegen die Deutsche, es war schon ihr dritter Sieg nacheinander innerhalb eines halben Jahres gegen die Weltranglistenerste. In Stuttgart sagte Switolina: "Angelique liegt mir, aber warum ich so gut gegen sie spiele, bleibt mein Geheimnis." Wenigstens bis Sonntagmittag.

© SZ vom 23.04.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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