Tennis in Melbourne:Flirt mit der Geschichte

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Roger Federer erreicht bei den Australian Open sein 30. Grand-Slam-Finale und strebt den 20. großen Titel an. In seinem Weg steht der formstarke Marin Cilic, mit dem ihn eine kuriose Anekdote verbindet.

Von Gerald Kleffmann, Melbourne

Letzte Frage, Jim Courier ließ Roger Federer nicht einfach so gehen. Was der Schweizer von Marin Cilic halte. Courier war Tennisprofi, der Amerikaner gewann 1992 und 1993 die Australian Open. Er machte den Sprung in den Yarra River zum Kult. Aber seine Bestimmung hat er offenbar als Interviewer gefunden. Er macht das so humorvoll und informationshungrig, dass seine Gespräche oft besser sind als die Matches, die er abmoderiert. "Er lässt dich stets gut aussehen", hatte Federer vor zwei Tagen betont. Er führe keinen Spieler vor. Über Mode hatten die beiden sich in den zwei Turnierwochen schon verquatscht, übers Tanzen und Feiern mit Mirka, Federers Frau. Meist geht es eher am Rande um Tennis. Doch jetzt fiel dem Schweizer, nachdem er Cilic' Schlaghärte und sein nettes Wesen gelobt hatte, wieder eine Episode ein: die von den Malediven.

"Das war wirklich komisch", erzählte Federer. Er sei mit der Familie in den Urlaub gereist, weit weg, auf eine der Inseln im Indischen Ozean eben. Da tauchte unerwartet Cilic auf. Am Ende landeten beide auf dem Tennisplatz, trainierten. Später, auf der Pressekonferenz, präzisierte Federer seine Geschichte vom November: "Keine Coaches, nichts, nur wir zwei auf dem Court, Bälle schlagend. Das war nett."

Am kommenden Sonntag wird das freilich anders werden. Dann sind sie nicht mehr alleine. 15 000 Menschen werden in der Rod Laver Arena zusehen. Und Millionen weltweit an den Fernsehern. Federer und Cilic, der 36-Jährige aus Basel und der 29-Jährige aus Medjugorje, zwei, die sich schätzen, treffen sich um 9.30 Uhr MEZ zum Männer-Finale der Australian Open. Diesmal wird es nicht so "laid back" wie auf den Malediven, so entspannt, wie Federer es damals empfunden hatte. Cilic will im Finale dieser Australian Open seine zweite Grand-Slam-Trophäe. Federer seinen 20. Titel. Man muss kein Tennis-Experte sein, um zu ahnen, welche Erfolgsstory die außergewöhnlichere wäre.

"Ich bin froh, im Endspiel zu sein", sagte Federer am Freitagabend, nur wäre es ihm lieber gewesen, "nicht auf diese Art". Während Cilic am Donnerstag in einem einseitigen Match gegen den Briten Kyle Edmund ungefährdet reüssiert und seine starke Leistung von der Runde zuvor bestätigt hatte, als er 2:0 im fünften Satz geführt hatte, ehe Rafael Nadal aufgab, musste Federer am Freitag nicht bis zum Ende arbeiten. Beim Stand von 6:1, 5:2, 30:30 gab Hyeon Chung auf, der mit Siegen über Alexander Zverev und Novak Djokovic sowie dem Erreichen des ersten Halbfinales eines Südkoreaners einen "Traumlauf" hingelegt hatte, wie dessen Trainer Neville Godwin (Südafrika) selbst überrascht sagte. Blutige Blasen waren es, die Chung stoppten, den 21 Jahren alten Dauerläufer. Und natürlich war das zumindest ein eigenwilliger Zufall, diese Art der Verletzung. Als Federer im vergangenen Sommer in Wimbledon triumphierte, hatte im Finale sein dortiger Gegner zwar durchgespielt, aber keine Chance. Wegen Blasen. Der Gegner war: Marin Cilic.

Feiner Unterschied: Marin Cilic (links) strebt seinen zweiten großen Titel an, Roger Federer seinen 20. (Foto: Scott Barbour/Getty Images, Peter Parks/AFP)

Federer hätte die Bedeutung seines nun bevorstehenden siebten Australian-Open- und 30. Grand-Slam-Finales herunterspielen können, um den Druck beim Flirt mit der Tennishistorie nicht noch weiter zu verstärken. Aber ihn zeichnet aus, dass er vor Realitäten nicht ausweicht. "Eine unvorstellbare Zahl" sei diese 20, gab er zu. Sein Ziel vor etwas mehr als einem Jahr sei es ja gewesen, wenigstens noch ein Major zu holen, ehe er sich in die Tennisrente verabschiedet. Da stand er bei 17 Grand-Slam-Trophäen und musste bereits seit fünf Jahren, seit dem bis dato letzten Sieg in Wimbledon (2012), die Frage über sich ergehen lassen, ob er die 18 je schaffe. Rückblickend wirkt das wie eine aberwitzige Frage.

Nach sechs Monaten verletzungsbedingter Auszeit kehrte Federer nämlich Anfang 2017 in Melbourne zurück, rang in einem spektakulären Fünfsatz-Krimi Nadal nieder, holte die 18. Und im Sommer in Wimbledon die 19. Nun enteilt er allen, nur Nadal liegt mit 16 Grand Slams halbwegs in Reichweite zu ihm. "20 Mal wäre speziell", gab Federer zu, der vorab gewusst hatte, dass Chung mit Problemen am Fuß in diese Partie gestartet war. Er hat das dennoch ausgeblendet und stur seinem Federer-Tennis vertraut, das partout nicht an Niveau verliert, weiterhin nicht. Im August wird er übrigens 37. Der Mann aus Basel ist ein Phänomen.

Natürlich wird er gegen Cilic der Favorit sein, von neun Duellen hat er acht gewonnen. Bestechend ist, wie er seine eigenen Aufschlagspiele immer wieder "verteidigt", wie er es nennt, um dann beim Service des Gegners auf das eine, meistens ausreichende Break pro Satz zu lauern. "Die Dinge passen schon, wenn ich bisher keinen Satz verloren habe und im Finale bin", sagte Federer. Er ist beschwerdefrei, die Vorhand ein Beschleuniger wie ein Rennwagen, jederzeit kann er das Tempo mit ihr anziehen. Chung wirkte manchmal, als stehe er einem Spieler im Zeitraffer gegenüber. Manches war zu schnell für den Brillenträger, der zum Tennis gekommen war, weil ihm das ein Augenarzt aufgrund der Sehschwäche als Sport empfohlen habe.

Chancenlos ist Cilic indes nicht, auch wenn er immer noch gerne übersehen wird. Dabei ist er einer der Wenigen in der Spitze, so wie Stan Wawrinka, der nicht zu den Big Four gehört - also zur prägenden Gruppe aus Federer, Nadal, Novak Djokovic und Andy Murray -, und der doch "in großen Momenten, wenn sie sich ergeben, dieses hohe Level erreichen kann", wie Federer berichtete. 2014 triumphierte Cilic bei den US Open, im Halbfinale hatte er Federer vorgeführt, ehe er Kei Nishikori dominierte; damals hatten viele den Japaner vorne gesehen. "Ich hoffe, ich kann seinen Aufschlag lesen", sagte nun der Titelverteidiger. Cilic beeindruckt mit seiner Wucht in der Spieleröffnung, auch der Return ist zu einer Waffe des 1,98 Meter großen Hünen geworden. Er steht jetzt näher an der Grundlinie, stresst die Gegner mit Aggressivität. Nadal sah, ehe er aufgab, tatsächlich einige Male ratlos aus.

Geholfen hat Cilic in diesen Tagen auch ein früherer Trainer, der Australier Bob Brett, der ihn 2011 ins Halbfinale von Melbourne geführt hatte. Die zwei haben oft miteinander geredet. "Ich fühle mich wirklich gut mit meinem Spiel", sagte Cilic selbstbewusst, "ich hoffe, ich kann meine Energie auf dem Platz umsetzen."

© SZ vom 27.01.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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