Tennis:Im Dampfkochtopf

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Ein nationaler Auftrag: Argentinien erwartet gegen die ohne Nadal antretenden Spanier endlich den ersten Davis-Cup-Triumph.

Peter Burghardt

Das Ungetüm traf am Mittwoch ein, schwer bewacht. Die Spezialeinheit Halcãn, Falke, schleppte den Davis Cup ins Tennisstadion von Mar del Plata am argentinischen Atlantik, beschützt von einem Hubschrauber und Polizisten mit kugelsicheren Westen und Maschinengewehren. Da steht der 108 Jahre alte Pokal mit seinem angeblichen Wert von 1,5 Millionen Dollar nun und durfte bei Auslosung und Training von den Spielern bewundert werden und von 3000 Schulkindern. Die Spanier kennen ihn schon, sie stemmten das Ding 2000 und 2004 als Sieger - die Argentinier sahen bisher bloß zu. Sie verloren ihre Finals 1981 und 2006. Das soll sich ändern in der Mehrzweckhalle, die wie so vieles in dieser Republik den patriotischen Titel Islas Malvinas trägt. Der Krieg um das Archipel, in Großbritannien Falklands genannt, wurde 1982 zwar zum Desaster, aber das hielt die Gastgeber nicht davon ab, die gleichnamige Arena für diese Schlacht auszuwählen.

Objekt der Begierde: der Davis Cup. Argentinien hat ihn nochn nie gewonnen. (Foto: Foto: AFP)

Es geht ja um einen nationalen Auftrag. Und im Endspiel noch dazu gegen die Madre Patria, das einstige Mutterland Spanien, deren Einwohner am Rio de la Plata "Gallegos" gerufen werden, Galicier. Unterbrochen wurde die Aufregung zuletzt bloß durch das Debüt von Diego Maradona als Fußballnationaltrainer. Ansonsten ist das Duell um die dreistöckige Trophäe Argentiniens Sportereignis des Jahres, weshalb die riesige Provinz Buenos Aires, an deren Ufern das Ferienbad Mar del Plata liegt, neun Millionen Dollar dafür ausgibt und auf reichen Ertrag hofft. Der berühmteste Gast allerdings sagte ab. Rafael Nadal verzichtet wegen seiner Sehnenentzündung am Knie nach dem Masters in Shanghai auch auf diesen Höhepunkt, obwohl sein rechter Bizeps mit der geballten Faust und dem gelben Schweißband am Handgelenk immer noch das Veranstaltungsplakat ziert.

Das ist einerseits schlecht, weil es das hoch gejazzte Match entwertet. Wobei selbst dem spanischen Teamchef Emilio Sánchez das Thema Nadal mittlerweile auf die Nerven geht. "Wenn bei Real Madrid van Nistelrooy ausfällt, dann spricht man von dem, der ihn ersetzt, und ob er Tore schießt", sprach Sánchez, der statt des Wunderknaben aus Mallorca Feliciano Lãpez aufbietet. Andererseits erhöht die Absenz der Weltranglisten-Eins die Aussichten der Hausherren. Nach Nadals Aufgabe drehten sich die Prognosen in den Wettbüros und unter Sportfreunden von 66 Prozent für einen dritten Sieg Spaniens auf 75 Prozent für einen ersten Sieg Argentiniens. "Ohne arrogant sein zu wollen, Argentinien ist großer Favorit", verkündete Franco Davín, Trainer von Martín del Potro, Argentiniens neuem Spitzenspieler. "Del Potro und David Nalbandián können jeden schlagen, auf jedem Boden", in diesem Fall blauem Hartplatz, glaubt Guillermo Coria, ehemals Nummer drei der Welt. "Ich finde nicht viele Schwächen in diesem Team."

Seit den Zeiten von Guillermo Vilas und José Luis Clerq hatte Argentinien kein so gutes Duo mehr. David Nalbandián, 26, ist schon länger bekannt mit acht Einzeltiteln, Halbfinal- oder Finalteilnahmen bei allen Grand Slams und als Davis-Cup-Finalist 2006 in Moskau. Er ist weiterhin der Anführer der Equipe, ihr erfahrenster und konstantester Profi. Allein ihm zuliebe hätten viele die Spanier lieber in seiner Heimat Cãrdoba empfangen. Aber in der globalen Rangliste zog Juan Martín del Potro, gerade 20 geworden, in diesem Jahr an ihm vorbei. Der Schlaks aus Tandíl ist einer der Aufsteiger der Saison, Neunter in ATP-Ranking und ATP-Race, Nalbandián belegt Platz elf. Del Potro gewann in Juli und August nacheinander in Stuttgart, Kitzbühel, Los Angeles und Washington, 23 Spiele in Folge, ehe bei den New York Open im Viertelfinale gegen David Murray Feierabend war. Beim Masters in Shanghai unterlag er Novak Djokovic und Nikolaj Dawidenko und flog heim. Am Freitag spielt Nalbandián das erste Einzel gegen David Ferrer (ATP-Nummer 12) und Del Potro das zweite gegen Lãpez (Nr. 31). Die fünf Spiele, findet Nalbandián, "sind die wichtigsten in der Geschichte des argentinischen Tennis".

Entsprechend wird es zugehen im Polideportivo Islas Malvinas, wie beim Fußball. 9800 Zuschauer drin, 20 000 vor der Leinwand am Strand, es ist Sommer in Südamerika. Deutsche werden sich an das Tohuwabohu bei der DTB-Niederlage 1990 in Buenos Aires erinnern, damals spielte Argentiniens heutiger Teamchef Alberto Mancini mit. "Einen Dampfkochtopf" erwartet David Ferrer. Wenn es zu schlimm werde, solle sich das Team zurückziehen, riet Patient Nadal aus Spanien. Aber das, beruhigte der meist gut gelaunte Feliciano Lãpez, habe Rafa sicher nicht so gemeint.

© SZ vom 21.11.2008 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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