Tennis:Guter Ärger

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Ärgert sich immer noch, wenn's nicht läuft, aber inzwischen gelassener - meistens: Nick Kyrgios. (Foto: Julian Finney/AFP)

Youngster Nick Kyrgios, der sich jahrelang selbst im Weg stand, scheint seinen Beruf endlich ernster zu nehmen. In Miami bringt er Roger Federer in einer fulminanten Partie an den Rand einer Niederlage.

Von Max Ferstl, Miami/München

Als alles vorbei ist, muss die Wut doch raus: Nick Kyrgios feuert seinen Tennisschläger auf den Boden. Ein Geräusch, als würde ein Ast brechen, und der Schläger ist Schrott. Kyrgios' Schlägerfirma bittet seit dieser Saison Spieler zur Kasse, die sich an ihren Produkten vergehen. Als Halbfinalist beim Masters-Turnier in Miami hat Kyrgios über 280 000 US-Dollar verdient. Die Strafe dürfte ihm also egal sein. Doch was ihn wirklich fuchst, ist diese verflixte Niederlage gegen Roger Federer. 6:7 (9), 7:6 (9), 6:7 (5). Knapper geht es nicht, und viel länger wohl auch nicht: Über drei Stunden hatten sich beide Kontrahenten beharkt. Nach dem Matchball tut Kyrgios also das Normalste der Welt: Er ärgert sich, weil er verloren hat.

Andererseits ist Kyrgios, 21, alles andere als ein normaler Tennisspieler. Der Australier hat in der Vergangenheit stets erklärt, dass es ihm der Sport im Grunde egal ist: "Ich mag Tennis nicht." Statt zu trainieren, spiele er lieber Basketball. Oder Pokémon Go, das Smartphone-Spiel, bei dem man durch die Gegend läuft und virtuelle Wesen einfängt. Doch mit Talenten ist es wie mit Verwandten: man kann sie sich nicht aussuchen. Und Kyrgios' größte Begabung besteht nun mal darin, Tennis zu spielen.

Der Australier polarisiert wie kein anderer in der Weltspitze

An diesem Widerspruch arbeiten sich die Deuter der Tenniswelt ab, seit 2014 der damals 19-Jährige mit wilden Mustern im Haar ins Viertelfinale von Wimbledon stürmte. Und dabei einen verdutzten Rafael Nadal mit krachenden Aufschlägen und spektakulären Punkten überrumpelte. Kyrgios kann an einem guten Tag die Besten der Welt schlagen. Das Problem: An einem schlechten kann er gegen so ziemlich jeden verlieren. "Er ist ein blaues Auge für den Sport", sagte John McEnroe im Januar: "Ich glaube, er ist der talentierteste Typ der Welt. Er könnte der Beste sein, aber mental ist er die Nummer 200." Gerade hatte ein lustloser Kyrgios in der zweiten Runde der Australian Open gegen den durchschnittlich begabten, aber ehrgeizigen Andreas Seppi verloren. Kyrgios erklärte, er hätte Knieprobleme gehabt - "zu viel Basketball in der Vorbereitung".

Kyrgios hat in dieser Manier stets große Reibungsflächen angeboten. 2015 in Montréal teilte er seinem Gegner Stanislas Wawrinka auf dem Platz mit, was sein Kumpel Thanasi Kokkinakis mit dessen Freundin angestellt habe. Er musste 10 000 Dollar Strafe zahlen. Vergangenen Oktober schlurfte er beim Masters in Shanghai so lustlos über den Platz, dass ihn die ATP für unsportliches Verhalten sechs Wochen sperrte. Kyrgios gab sich reumütig, er versprach, sich in sportpsychologische Behandlung zu begeben. Es scheint eine gute Idee gewesen zu sein.

In dieser Saison wirkt Kyrgios ausgeglichener. Er lässt sich nicht mehr durch jede Kleinigkeit aus der Konzentration werfen und reiht konstant starke Ergebnisse aneinander. Das Halbfinale von Miami war bereits das dritte in diesem Jahr. In Acapulco und Indian Wells hat er in zwei aufeinanderfolgenden Turnieren Novak Djokovic bezwungen. Nun drängte er Roger Federer, den dominierenden Spieler des Jahres, an den Rand der Niederlage - und ärgert sich plötzlich, wenn er eine Partie verliert. Die Weltrangliste führt ihn auf Rang 16. Im "Race to London", das anders als die Weltrangliste nur die Punkte der aktuellen Saison zählt, liegt Kyrgios ab Montag auf Position zehn.

Federer erkennt Parallelen zu seinen Anfängen

"Ich glaube, er ist bereits etablierter, als ich es zu dem Zeitpunkt war", sagte Federer vor kurzem. Auch der Schweizer brauchte zu Beginn seiner Karriere eine Weile, ehe er die Szene beherrschte. Es gebe da durchaus Parallelen, findet Federer: "Nick und ich haben eine Menge Optionen. Es ist schwer, die richtige auszuwählen." Heißt: Es ist strategisch einfacher, wie Rafael Nadal mit der Vorhand stur die Rückhand seines Gegners zu bearbeiten als sich entscheiden zu müssen, ob man den Punkt mit einem Stopp, Volley oder doch lieber einer krachenden Rückhand beenden möchte. "Das braucht ein bisschen mehr Zeit, vor allem mental", findet Federer.

Der Schweizer wird am Sonntag im Finale seinem ewigen Rivalen Nadal gegenüberstehen, das Duell zweier Veteranen, die in dieser Saison eine bemerkenswerte Renaissance erfahren. Doch die Jungen kommen näher, angeführt von Nick Kyrgios. Im Viertelfinale besiegte Kyrgios den deutschen Alexander Zverev, 19. Ein großer Kampf zwischen zwei Spielern, die sich gegenseitig zur Höchstleistung trieben. Kyrgios schlug 16 Asse und spielte Passierschläge durch die Beine. Das Publikum tobte.

Doch seine stärkste Szene hatte Kyrgios Mitte des ersten Satzes: Zverev schlug eine Rückhand dicht an die Grundlinie, der Ball wurde ausgegeben. Kyrgios, den viele für einen unverschämten Rüpel halten, empfahl seinem Gegner sofort, die Entscheidung per Videobeweis überprüfen zu lassen. Der Ball war auf der Linie. Kyrgios sagte: "Ich würde das gerne in den sozialen Medien sehen." Dort, wo sich sonst oft kübelweise Häme über ihn ergoss. Zverev bedankte sich mit einem nach oben gereckten Daumen, der gängigen Geste für: Respekt.

© SZ vom 02.04.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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