Tennis:Görges' Genugtuung

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Fokussiert wie selten: Julia Görges sicherte mit ihren Siegen gegen Jelena Switolina und Lesia Zurenko zwei der drei Punkte der deutschen Mannschaft (Foto: imago/Hartenfelser)

Die Nummer zwei des deutschen Frauen-Tennis rettet ihr Fed-Cup-Team gegen die Ukraine fast im Alleingang vor dem Abstieg. Beim anschließenden WTA-Turnier an gleicher Stelle fehlt sie aber - weil sie keine Wildcard erhielt.

Von Philipp Schneider, Stuttgart

Noch einmal machte sich Julia Görges an der Grundlinie bereit, ein letztes Aufschlagspiel. Wenn es gut laufen sollte, hieß das: vier Pünktchen, die noch fehlten. In der Spielerbox standen ihre Kolleginnen auf, sie klatschten im Takt, den die Zuschauer in der Stuttgarter Halle vorgaben. Was sollte jetzt noch schiefgehen?

Um es kurz zu machen: Es genügte. Aber ehe Görges fast im Alleingang das deutsche Fed-Cup-Team vor dem Abstieg retten sollte und am Sonntag den entscheidenden dritten Punkt in der Relegation gegen die Ukraine sicherte, packte sie noch einmal ein bisschen Spannung in das letzte Aufschlagspiel an diesem an Spannung plötzlich doch nicht so armen Sonntag in Stuttgart. Nach 30:0 hieß es 30:30, auf ihren ersten Matchball folgte ein Doppelfehler. Dann befreite Görges sich selbst und ihr ganzes Team mit einem so wunderbaren wie harten Vorhandcross ins Feld: 6:4, 6:4 hieß es nun gegen Lesia Zurenko, am Ende eines Matches wie eine Achterbahnfahrt, in dem Görges in beiden Sätzen mit einem Break hinten gelegen hatte. Sie ließ den Schläger fallen in den Sand, dann stiegen Tränen in ihre Augen.

"Das war eine tolle Teamleistung", sagte Görges, die zwei der drei Punkte zu dieser Teamleistung beigesteuert hatte. Und die nun trotzdem nicht am WTA-Turnier in der kommenden Woche an gleicher Stätte teilnehmen darf, obwohl sie dort 2011 gewann. Weil ihre Weltranglistenposition nicht gut genug ist, und sie auch keine Wildcard erhalten hat im Gegensatz zu Laura Siegemund, der Britin Johanna Konta und der Dopingsünderin Maria Scharapowa, die dort ihr Comeback geben darf.

Dem Vernehmen nach hatte sich Görges Hoffnung auf eine Startberechtigung gemacht, die ihr aber nicht zugeteilt werden konnte, weil auch Konta eine erhielt. Das komplizierte WTA-Reglement sieht vor, dass zwei der insgesamt vier Wildcards nur an Top-20-Spielerinnen wie Konta vergeben werden dürfen. Turnierdirektor Markus Günthardt hätte deren Anfrage allerdings ablehnen können. Hätte Konta nun keine Wildcard erhalten, wäre Siegemund ins Hauptfeld nachgerückt und ihre Wildcard frei geworden für Görges. Noch in ihrer Siegesrede auf dem Platz gedachte Görges den Spielerinnen, die antreten dürfen beim Porsche Grand Prix. Angesprochen darauf, dass sie keine Wildcard hat, sagte sie auf der Pressekonferenz: "Ich möchte mich zu diesem Thema gar nicht äußern. Aber ich denke, dass die zwei Punkte am Wochenende genug gesagt haben."

Genug gesagt hatte zumindest aus ihrer Sicht in diesem Moment auch Angelique Kerber, der ja als Noch-Weltranglistenersten und zweimaliger Grand-Slam-Siegerin eigentlich die Rolle zugedacht gewesen war, nach der komfortablen 2:0-Führung am Samstag den fehlenden dritten Punkt beizusteuern. Doch dann verlor sie schon zum vierten Mal in diesem Jahr und erstmals auf Sand gegen Jelena Switolina. Mit 4:6, 2:6 nach 79 Minuten. Kerber unterlag nicht nur gegen ihre Angstgegnerin, sie unterlag ihrer Angst. Und das Kuriose war: Das hatte sie schon vor der Partie geahnt.

"Ich versuche gerade, mein Tennis weiterzuentwickeln", hatte Kerber am Samstag nach dem lockeren 6:1, 6:4 gegen Lesia Zurenko angekündigt: "Ich will wieder aggressiver spielen." Das aggressive, mutige Spiel war es gewesen, das sie an die Spitze der Weltrangliste geführt hatte. Die einst so sture Konterspielerin Kerber hatte sich im Vorjahr gewandelt und ihr Tennis mit offensiven Gewinnschlägen angereichert. Auch am Sonntag gegen Switolina zeigte sie diese Ansätze. Aber diesmal übersteuerte sie, hyperventilierte im Flutlicht, immer wieder klatschte ihre Vorhand viel zu flach ins Netz. "Ich habe mein Spiel nicht durchgezogen", sagte Kerber.

Diesmal lag es nicht einmal so sehr an ihrem ersten Aufschlag, den John McEnroe als einer Weltbesten nicht würdig bezeichnet hatte. Kerber hatte vor allem eine schlechte Quote nach ihrem zweiten Service, auf den sich Switolina stürzte wie der Habicht auf die Feldmaus. Im zweiten Anlauf machte Kerber nur 30 Prozent der Punkte. Weil Switolina dagegenhielt mit einigen "unbelievable shots", wie sie später fröhlich flötete: "Ich war das ganze Match über eigentlich sehr, sehr ruhig." Ganz anders also als Kerber, der Teamchefin Barbara Rittner "fehlende Sicherheit" attestierte: "Da fehlt diese Ruhe und Zuversicht. Angie hat so ein bisschen den Kopf verloren."

Was bleibt nun von diesem Wochenende, an dem die deutschen Tennisfrauen den ersten Abstieg seit 2012 verhindert haben? Für Julia Görges, die am Samstag auch Switolina in drei Sätzen niedergerungen hatte, die Genugtuung, dass "die Mannschaft absolut die Qualität hat für die Weltgruppe", was sie allerdings, ganz bescheiden, nicht allein an sich festmachen wollte. Für Kerber bleibt die Erkenntnis, dass sie die mühevolle Suche nach ihrem alten Tennis noch nicht zum Abschluss gebracht hat. Als Rückschlag empfinde sie ihren Auftritt nicht, sagte sie. Im Gegenteil: "Ich denke, die Woche hat mich weitergebracht. Für mich ist es wichtig, dass ich wieder Spaß habe, und der Spaß ist wieder da."

Nur spielte sich dieser Spaß am Sonntag in Stuttgart zumindest für die Zuschauer im Verborgenen ab.

© SZ vom 24.04.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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