Tennis:Erbarmungsloser Teilzeitarbeiter

Lesezeit: 4 min

Als Roger Federer die Gegner auszugehen schienen, suchte er sich neue Herausforderungen - und fand sie nun, mit 35 Jahren, in der Statistik seines Sports.

Von Barbara Klimke, London

Der Mann von Welt trägt 2017 Pokal: Roger Federer wird beim traditionellen Champions Dinner in Wimbledon gefeiert. (Foto: Getty)

Die Frage, die sich nicht erst seit dem historischen Sieg in Wimbledon stellt, sondern seit Jahren auf jedem Court der Welt, heißt: Wie ist Roger Federer zu schlagen? "Keine Ahnung", sagte Mischa Zverev in der ersten Woche des Turniers, schüttelte den Kopf und lachte. Zverev ist 29 Jahre alt, ein Profi mit Routine und Erfahrung. Er dachte eine Weile nach, dann schlug er folgende Lösung vor: "Vielleicht könnte man es mal mit einem bösen Blick versuchen." Zwei Tage später, inzwischen hatte Federer auch seinen deutschen Gegner erwartet glatt besiegt, berichtete Zverev, wie der Schweizer Rekordsieger vor der Partie im Spieler-Café des All England Clubs an seinem Frühstückstisch vorbeigekommen sei, stehen blieb und Grimassen zog. "Böser Blick!", sagte Federer dazu. Er hatte von der Bemerkung gehört, und das lässt folgenden Schluss zu: Der Mann mit dem goldenen Arm hat alles, sogar Humor.

"Ich glaube, dass ich am besten spiele, wenn ich auf einer großen Bühne stehe."

Im Wimbledon hat Federer im Alter von 35 Jahren am Sonntag zum achten Mal den Goldpokal gewonnen, so oft wie kein Spieler vor ihm, weder in den letzten hundert Jahren, noch in den hundert Jahren zuvor. Auch diesmal hat nichts und niemand den Champion, den Ausnahmekönner, das "achte Weltwunder", wie der Guardian schrieb, stoppen können: nicht die Powerschläge des jungen Kanadiers Milos Raonic; nicht die clevere Taktik des Tschechen Tomas Berdych, der vornehmlich auf Federers Vorhand zielte; und schon gar nicht der beklagenswerte Kroate Marin Cilic im Finale. Cilic, ein Zweimetermann mit gewaltiger Reichweite und Kraft, verzweifelte derart an der Übermacht des Mannes, der ihm gegenüberstand - und an einer schmerzenden Blase am Fuß -, dass er beim Seitenwechsel mitten im zweiten Satz auf seinem weißen Stuhl die Fassung verlor und in Tränen ausbrach. Auch das kann Federer seinen Gegnern antun, bei allem Charme, aller Freundlichkeit, Verbindlichkeit und Bonhomie.

Mit derselben scheinbaren Leichtigkeit, mit der er seinen Kontrahenten auf dem Platz schlug (6:3, 6:1, 6:4), bewegte sich Federer durch das gesellschaftliche Protokoll. Er plauderte im Klubhaus ein Weilchen mit Herzogin Kate und ihrem Gatten, Prinz William. Und trat dann mit einer Ruhe und selbstverständlichen Gelassenheit auf die Terrasse, um den unter ihm versammelten Menschenmassen zuzuwinken, die an Auftritte der Royals auf dem Balkon des Buckingham-Palastes erinnerten. Mit diesem achten Sieg (nach 2003 - 2007, 2009 und 2012) ist er endgültig in die Sport-Aristokratie aufgenommen. Aber niemand gewinnt 19 Grand-Slam-Titel, zwei davon in diesem Jahr im Alter von 35 Jahren, allein durch Höflichkeit, Eleganz und überbordendes Talent. Tennis ist heute mehr denn je ein Sport, bei dem sich die Kombattanten Bälle mit der Aufschlaggeschwindigkeit von weit mehr als 200 km/h um die Ohren hauen. Und Federers Spiel ist, sofern man seinen Kollegen vertraut, in den vergangenen Monaten noch besser geworden.

Auf die Frage, wie viel Erbarmungslosigkeit in ihm steckt, auch sich selbst gegenüber, hat er nach dem Sieg interessante Einsichten zu seiner Motivation gegeben. Er habe Jahrzehnte lang "sehr hart, sehr gut und sehr clever" trainiert, sagte er, und ein Vorteil sei, dass er immer noch auf denselben Trainer vertraut, Severin Lüthi. Zudem liebe er große Arenen und große Gegner. "Ich bin immer ein Spieler für die Centre Courts gewesen, ich glaube, dass ich am besten spiele, wenn ich auf einer großen Bühne stehe." Seine Präzision lasse nach, wenn eine seiner Partien zur Abwechslung auf Court Nr. 18 angesetzt würde.

Vor allem benötigt ein Jahrhundertspieler neue Ziele, wenn er schon als Kind von Basel nach Wimbledon reiste, wo er das Junioren-Turnier gewann. 102 Profi-Matches hat Federer allein auf den Rasenteppichen der Anlage im Süden Londons bestritten. Von den weltweit eroberten 92 Titeln und Trophäen seiner Karriere ganz zu schweigen. Und so erging es ihm wie manchem seiner Vorgänger: Als ihm die Gegner auszugehen schienen, suchte er sich neue Herausforderungen - und fand sie in der Statistik seines Sports. Im Grunde hat Federer am Sonntag nichts anderes versucht, als im Finale die Rivalen der Vergangenheit zu bezwingen: den Amerikaner Pete Sampras und den Briten William Renshaw, die mit jeweils sieben Wimbledon-Titeln in den Klub-Annalen stehen. Der eine, Sampras, siegte im letzten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts (1993 - 1995 sowie 1997 - 2000), der andere, Renshaw, im 19. Jahrhundert (zwischen 1881 und 1889). Es ist keine Unterstellung anzunehmen, dass der Mann, der als Größter seines Sports gilt, sich nicht nur an der Gegenwart, sondern an der Vergangenheit messen will. "Ich habe nie gesagt, dass mich Rekorde nicht interessieren", stellte er nach dem historischen Erfolg vor der internationalen Presse richtig: "Ich habe immer gesagt, dass ich das als große Motivation verstehe." In Wimbledon hatte er nach 2012 vier vergebliche Anläufe unternommen, um an Sampras und Renshaw vorbeizukommen.

So hat er nun, im Alter von 35 Jahren, alles noch einmal diesem einen Ziel untergeordnet und die vernünftigste Entscheidung seiner Karriere getroffen. Statt sich wie die Kollegen durch die Sandplatzsaison zu quälen, über Ascheplätze zu rutschen und die Sehnen zu dehnen, machte er eine Pause und bereitete sich auf die Rasen-Duelle vor: "Ziel war es, eine Fitness zu erreichen, die garantierte, dass ich sieben Fünfsatz-Matches überstehe." Kurios genug: Er kam stets in drei Sätzen klar. Er hatte seine Lehre gezogen aus dem vergangenen Jahr, als er nach einer Meniskusoperation im Februar 2016 - der ersten seiner langen Laufbahn - zu früh auf die Tennisplätze zurückgekommen war. Auch damals zwang er sich anschließend zu einer längeren Pause und ließ sogar Olympia aus - nur um im Januar bei den Australian Open zu triumphieren. Es ist nicht übertrieben zu sagen, dass er sich in der Form seines Lebens befindet: "Ich liebe die großen Bühnen, ich habe nichts gegen Training, ich reise noch immer gern. Und weil ich weniger spiele, habe ich das Gefühl, mehr Zeit zu haben", fasste er zusammen: "Ich komme mir fast wie ein Teilzeitarbeiter vor."

Es scheint also so zu sein, dass die Frage auch künftig im Raum stehen wird: Wie ist Roger Federer zu schlagen?

© SZ vom 18.07.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: