Tennis:Eine Schicht aus Schweiß und Sand

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Nach brillantem Beginn muss sich Roger Federer im Finale von Paris dem Titelverteidiger Rafael Nadal geschlagen geben.

Claudio Catuogno

Anfang des dritten Satzes hat Roger Federer aufgehört, daran zu glauben. Man sah das an der Art, wie er über den Platz schlich. Mit hängenden Schultern, müdem Blick, ohne die Körperspannung, aus der er sonst all die Kraft generiert, die sein Tennisspiel so mühelos erscheinen lässt.

Rafael Nadal auf dem mühsamen Weg zur Titelverteidigung (Foto: Foto: Reuters)

Man sah es auch an der Art, wie er vor dem Aufschlag den Ball auf dem Sand tippte, immer eine Spur heftiger als sonst, als brodle tief in ihm drin eine Stinkwut auf die gelbe Filzkugel, die er doch sonst wie mit einer Fernsteuerung über der Platz zaubern kann. Nun gehorchte sie ihm nicht mehr. Das unterschied den Roger Federer ab Anfang des dritten Satzes von jenem zuvor, der seit 15 Tagen in dem tiefen Bewusstsein in Paris aufgetreten war, auch auf Sand der beste Tennisspieler der Welt zu sein.

Der eine Federer hatte den ersten Satz im Finale von Roland Garros gegen Rafael Nadal noch 6:1 für sich entschieden, dann ist er irgendwo verloren gegangen. Der andere Federer musste hilflos zusehen, wie Rafael Nadal zum zweiten Mal hintereinander die French Open gewann, 1:6, 6:1, 6:4, 7:6 (4).

Nach drei Stunden und zwei Minuten Spielzeit in der schwülen Hitze von Paris ließ sich Rafael Nadal rücklings in den Sand fallen. Das hatte er schon im letzten Jahr getan, aber diesmal wälzte er sich auch noch erschöpft von rechts nach links, so dass danach sein ganzer Körper von einer roten Schicht aus Schweiß und Sand überzogen war.

So kletterte er die Ehrentribüne hinauf, an Prinzessinnen, Politikern und Schauspielern vorbei, immer weiter das Stade Philippe Chatrier hoch, um alle Familienmitglieder einzeln zu umarmen, und schließlich waren alle dort oben rot eingefärbt, was man als Symbol verstehen darf.

Für Nadal, genannt "Sandplatzkönig", war es der 60.Sieg in Serie auf seinem Lieblingsbelag, das ist eine gewaltige Leistung von Körper und Geist für einen gerade mal 20-jährigen Tennisbuben aus Mallorca. Und wenn man bedenkt, dass diesen Montag schon die Rasensaison beginnt und Nadal im kommenden Frühjahr einfach bei 60 weiterzählen kann, dann wird das wohl ein Rekord für die Ewigkeit. Und doch ist es nichts im Vergleich zu den Ehren, die Roger Federer widerfahren wären, hätte er in Paris dieses eine Spiel gewonnen.

Nachdem der 24-jährige Schweizer im Jahr 2005 bereits im Halbfinale gegen Rafael Nadal verloren hatte, triumphierte er anschließend in Wimbledon, bei den US Open und bei den Australian Open. Er konnte an diesem Sonntag nicht nur seine ersten French-Open gewinnen. Das Spiel war weit mehr als nur ein Grand-Slam-Finale. Erst zwei Spieler haben bisher alle vier Grand-Slam-Titel gleichzeitig gehalten, der Amerikaner Don Budge 1938 und der Australier Rod Laver 1962 sowie 1969.

Federer wäre der dritte gewesen. Federer hatte mit seinem Erfolg im Halbfinale über David Nalbandian 27 Grand-Slam-Spiele in Serie gewonnen, der Rekord von Rod Laver liegt bei 29. Und so weiter und so fort - die Spielervereinigung ATP gab am Sonntag einen dicken Packen Papier heraus mit lauter Ranglisten, in denen Roger Federer nur noch einen Schritt davon entfernt war, sich unsterblich zu machen. Vielleicht erklärt das die Last, die nun seine Schultern hinunter presste.

Die Ausgangslage war klar in diesem seit Monaten herbeigesehnten Finale: Roger Federer würde Rafael Nadal bezwingen müssen, nicht umgekehrt. Nadal, der auf Sand die unfassbarsten Bälle erlaufen und dann immer noch gefährlich zurückschießen kann, hat das Niveau seiner Gegner immer noch ein bisschen überbieten können in den 60 gewonnenen Spielen auf Sand. Im Finale von Rom hatte Federer gegen den Spanier im fünften Satz zwei Matchbälle gehabt.

Seither sagt er, er habe ein Gefühl dafür bekommen, wie man Nadal bezwingen kann. Doch am Sonntag war er weit davon entfernt, dieses Gefühl auf dem Platz auch umsetzen zu können. Nur im ersten Satz spielte er instinktiv und konzentriert in jeder Situation den richtigen Ball. Dann wurde er von dieser rätselhaften Lähmung ergriffen. Seine Vorstöße ans Netz hatten nun häufig kein System mehr, und selten hat man Roger Federer so viele leichte Bälle irgendwo in die Landschaft dreschen sehen.

Manchmal schlug er zwei leichte Volleys hintereinander ins Netz, dann sprangen ihm die Bälle vom Rahmen, als habe er damals in den ersten Tennisstunden nicht richtig zugehört. "Rafael hat eine außergewöhnliche Saison gespielt, er hat es verdient", sagte Federer. "Ich habe zu viele Rückhandfehler gemacht. Vielleicht war die Hitze schuld, ich weiß es nicht. Ich werde es einfach wieder versuchen."

Roger Federer zieht seine Motivation nicht aus Rekorden. Aber es ist schon ein bisschen tragisch, wie nahe er dran war. Wie wenn einer ein Kartenhaus errichtet, und ganz am Ende, wenn nur noch die letzte Karte obendrauf gesetzt werden muss, hat er nicht mehr die Kraft. Und nun muss er wieder bei Null anfangen, denn das ganze Gebilde ist natürlich eingestürzt. Seine Rekordjagd muss Federer er in zwei Wochen in Wimbledon noch einmal ganz von vorne beginnen. Mit dem Fundament.

© SZ vom 12.6.2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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