Tennis:Die Wand passiert

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Sloane Stephens war ein freches Talent. Eine lange Verletzungspause hat sie demütig werden lassen - kaum gesundet schreibt sie die Wohlfühl-Geschichte der US Open. Im Halbfinale fordert sie nun Venus Williams heraus.

Von Jürgen Schmieder, New York

Es gibt kaum ein schöneres Wort in der englischen Sprache als humbled. Man kann es je nach Kontext mit "erniedrigt" übersetzen, aber auch mit "bescheiden" oder "demütig". Amerikanische Sportler verwenden den Begriff inflationär, zumal nach formidablen Leistungen, wenn sie Stolz und bisweilen auch Arroganz verbergen wollen. Wenn einer zum wertvollsten Akteur gewählt wird, dann sagt er, wie humbled er doch sei, von nun an in einer Reihe mit all den anderen großartigen Athleten geführt zu werden.

Sloane Stephens benutzte viele schöne Worte der englischen Sprache nach ihrem 6:3, 3:6, 7:6 (4)-Erfolg gegen Anastasija Sevastova (Lettland), es waren auch schreckliche Sportlerfloskeln dabei, die sich mit "unglaublich", "überwältigend" und "grandios" übersetzen lassen. Irgendwann flüchtete sie kurz vor einem herumschwirrenden Käfer ("Der sieht wie ein Drache aus! Ist das ekelhaft!") unter den Tisch, gegen Ende sagte sie noch, wie humbled sie von dieser Erfahrung bei den US Open sei, als Nummer 83 der Weltrangliste das Halbfinale zu erreichen. Vor fünf Wochen, da war sie noch die 934 der Welt.

Um zu verstehen, warum Sloane Stephens gerade die Wohlfühlgeschichte dieses Turniers erzählt, sollte man wissen, was vor vier Jahren in den Katakomben im Arthur Ashe Stadium los war. Da saß eine ungehobelte Göre auf der Bühne, für die der Begriff humbled ungefähr so zutreffend war wie für Muhammad Ali. Sie schoss Fotos von sich selbst ("Sehe ich nicht großartig aus?") und zeigte sie jedem, der sich nicht rechtzeitig unterm Tisch versteckte. Sie prahlte über die Größe der Diamanten in ihren Ohrringen und verkündete: "Ich werde nun jeden Tag ein anderes NY-Shirt tragen. Warum? Weil ich cool bin." Zwei Tage später schied sie aus. In der zweiten Runde. Sie war erniedrigt.

US-Showdown am Donnerstag: Sloane Stephens, 24, steht zum zweiten Mal in einem Grand-Slam-Halbfinale. (Foto: Jason Decrow/AP)

Stephens galt als Versprechen auf eine großartige Zukunft für das amerikanische Frauentennis: athletisch, aggressiv, kreativ - dazu frech, forsch, fordernd. So was lieben sie in den USA, wenn jemand die Klappe ganz weit aufreißt und dann all die Sachen, die er aus seinem Mund plumpsen lässt, mit grandiosen Leistungen unterfüttert. Im Jahr 2013 erreichte sie mit einem Sieg gegen Serena Williams das Halbfinale der Australian Open, in Wimbledon stand sie im Viertelfinale. Am Ende des Jahre wurde sie, gerade mal 20 Jahre alt, auf Platz zwölf der Weltrangliste geführt.

Wer zählen kann, wie viele Teenager im Tennis als kommende Weltstars gefeiert werden, der kann auch alle Streichhölzer in einer halb vollen Packung mit nur einem Blick zählen. Was oft vergessen wird: Die Entwicklung junger Sportler verläuft nicht linear, sondern in Wellen. Es gibt Verletzungen, Rückschläge und Rückentwicklungen. Die erfahrenen Gegner überlegen sich rasche eine Strategie gegen den frechen Neuling. Bei zahlreichen Niederlagen nacheinander, da gelten rotzige Aussagen nicht mehr als erfrischend, sondern als nervig. Etwas Demut, heißt es dann, täte gut.

Stephens verlor häufig früh, in der Weltrangliste lag sie drei Jahre lang auf einem Platz um 35 herum. Das ist ordentlich, gewiss, aber eben kein Star. Ein junger Sportler läuft hin und wieder gegen eine Wand, und dann wird die karrieredefinierende Frage gestellt: Findet er beim nächsten Versuch einen Weg darüber oder drumherum, oder läuft er stur und mit dem Kopf voraus dagegen? Stephens lief dagegen, immer wieder, bis sie sich im Juli vergangenen Jahres eine komplizierte Stressfraktur im rechten Fuß zuzog. "Ich konnte elf Monate lang kein Tennis spielen, das hat mir die Augen geöffnet", sagt sie nun: "Ich habe gelernt, wie glücklich ich mich schätzen darf, dass ich mit Sport meinen Lebensunterhalt verdienen darf. Ich bin dadurch bescheiden geworden."

Die 37-jährige Venus Williams steht schon zum 23. Mal in einem Grand-Slam-Finale - sieben dieser Turniere gewann sie. (Foto: Matthew Stockman/AFP)

Der amerikanische Fernsehsender Tennis Channel verpflichtete sie als Expertin, Stephens lernte eine andere Perspektive auf ihren Beruf kennen. "Ich weiß jetzt, warum Kommentatoren manche Situationen anders beurteilen als aktive Spielerinnen", sagt sie: "Sie begleiten uns nicht 24 Stunden lang und wissen daher nicht, wie es uns geht. Sie sehen, was auf dem Spielfeld passiert. Als ich kommentierte, konnte ich auch nur bewerten, was ich sah - und bemerkte: Wow, so muss ich manchmal rübergekommen sein."

Es heißt ja oft, dass Weisheit an die Jugend verschwendet würde. Wer Stephens beobachtet bei den US Open, der erkennt, dass sie nicht nur um diese Mauer gelaufen ist, sondern auf dem Weg auch noch bescheidener geworden ist. Das bedeutet freilich nicht, dass sie sich nicht ein bisschen Frechheit bewahrt hat. Sie ist noch immer selbstbewusst ("Seht Euch meine Ergebnisse zuletzt an: Halbfinale, Halbfinale, Halbfinale. Ich könnte mir kaum ein besseres Comeback vorstellen") und legt sich mit Reportern an ("Keiner von Euch weiß, wie viele Amerikanerinnen in den Top 100 stehen? Das ist doch lächerlich") - doch wirkt es nun wieder spielerisch, auch aufgrund des Erfolgs. So eine Geschichte lieben sie ja noch viel mehr in den USA: Wenn der zunächst arrogante Held erniedrigt wird, geläutert zurückkehrt und nach dem Sieg erklärt, wie humbled er doch sei.

Sie erzählen diese Geschichte nun mit dem entsprechenden Pathos und setzen sie in einen anderen, gesellschaftlich größeren Zusammenhang. Serena Williams fehlt wegen der Geburt ihres Kindes, und doch haben vier Amerikanerinnen das Viertelfinale erreicht. Weil Venus Williams und Coco Vandeweghe sogar ebenfalls das Halbfinale erreichten (die Partie von Madison Keys war bei Redaktionsschluss dieser Ausgabe noch nicht beendet), könnten zum ersten Mal seit 1981 vier Amerikanerinnen im Halbfinale ihres Heim-Grand-Slams stehen. Stephens wurde also gefragt, welche Bedeutung sie dem beimessen würde. Sie sagte: "Amazing." Noch so ein schönes englisches Wort, das Angelique Kerber 2016 oft verwendete. Man kann es mit "erstaunlich" übersetzen, aber auch mit "verdammt geil".

© SZ vom 07.09.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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