Tennis:37 Jahre und 31 Tage

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Venus Williams steht mit 37 im Finale von Wimbledon: Sie könnte zur ältesten Siegerin der Profi-Ära avancieren.

Von Barbara Klimke, London

Wenn sich Garbiñe Muguruza im All England Club im Süden Londons auf den Weg zum Centre Court begibt, dann bleibt sie oft vor einer grünen Ehrentafel stehen. Dort, im Wandelgang des Stadions, hängen in einem Holzrahmen die Namen der Siegerinnen. Sie wünschte, ihrer wäre auch darunter, hat sie erzählt, als feststand, dass sie am Samstag das Finale bestreiten darf. Aber was sie wirklich stets aufs Neue erstaunt, ist Folgendes: "Wie oft sich manche Namen wiederholen."

Da sind zum Beispiel die Williams-Schwestern, Miss V. und Miss. S., die vom Jahr 2000 an nicht weniger als zwölf Mal abwechselnd aufgelistet sind. Insofern wäre es nicht verwunderlich, würden Garbine Muguruza angesichts solcher Dominanz vor dem ersten Aufschlag die Hände zittern, da ihr nun wieder eine Williams gegenübersteht - Venus. Aber Muguruza könnte sich auch an einem anderen Namen orientieren, beispielsweise an Miss L. Dod, 1887 bis 1893.

Vier Jahre nachdem der All England Club 1884 einen Frauen-Bewerb ausgerufen hatte, kam Charlotte "Lottie" Dod aus Cheshire nach Wimbledon an die Worple Road, wo die Rasenplätze damals noch beheimatet waren. Sie war das, was man heute ein Wunderkind nennen würde: 15 Jahre und zehn Monate alt, und sie schlug dank ihrer bemerkenswerten Athletik alle Mitbewerberinnen aus dem Feld. Tatsächlich war Lottie Dod noch so jung, dass das Klub-Komitee ihr ausnahmsweise gestattete, in einem wadenlangen, schlichtweißen Schulkleid zu spielen. Von den älteren Teilnehmerinnen wurde erwartet, dass sie den Bällen in züchtigen, Knöchel bedeckenden Röcken nachjagten. Lottie gewann die Championships fünfmal. Dann wandte sie sich, ungeschlagen, anderen sportlichen Aktivitäten zu. Sie trat einer Hockey-Mannschaft bei, gewann Golfturniere, übte sich im Bogenschießen und ist, wie es heißt, eine vorzügliche Bridge-Spielerin gewesen.

2017 steht Venus Williams mit 37 wieder im Finale. (Foto: AP)

So viel aus dem Kapitel der Rasenfolklore von Wimbledon. Was Lottie Dod und Garbiñe Muguruza über die absurde Differenz von 130 Jahren Turniergeschichte hinweg zu verbinden scheint, ist zweierlei: ihre Vorliebe für Volleys, die am Anfang bei den Damen noch verpönt waren. Und der auffällige Altersunterschied: Wie damals Dod, so muss sich die Spanierin Muguruza heute, trotz ihrer 23 Jahre, als Küken im Kreis der Finalisten und Finalistinnen vorkommen. Das ist deshalb erstaunlich, weil sie sich in einem Alter befindet, in dem manche ihrer Vorgängerinnen, etwa die Schweizerin Martina Hingis, ihre Karriere bereits vorübergehend beendeten.

Venus Williams, Muguruzas Finalgegnerin aus den USA, ist 37 Jahre und 31 Tage alt. Sie hat das Turnier bereits fünfmal für sich entschieden (2000, '01, '05, '07, '08), und falls sie erneut triumphiert, würde sie Martina Navratilova übertreffen und dürfte sich die betagteste Siegerin in der Open- Ära nennen. Nur Charlotte Sterry hatte 1908, in der Amateurzeit, ein paar Tage mehr auf dem Buckel. Das Bild bei den Männern ist ähnlich: Die vier Besten, die seit 2005 die Grand Slams dominieren - Roger Federer, Rafael Nadal, Novak Djokovic und Andy Murray - haben alle die 30 überschritten.

Nicht, dass die Jahre für Venus Williams, eine Minimalistin mit Powerschlägen, eine geringe Rolle spielten: Es interessiere sie nicht, wann eine Gegnerin geboren sei, sagte sie in Wimbledon; auch ihre eigenen 37 Jahre sind für sie kein Thema. Wichtig sei nur, dass sie sich selbst weiter verbessere, "um relevant zu bleiben". Ansonsten gelte: Siege haben kein Alter.

Das ist auch das Motto ihrer Schwester Serena, die im Januar bei den Australian Open mit 35 Jahren ihren 23. Grand-Slam-Titel gewann und jetzt nur pausiert, weil sie schwanger ist. Generell ist zu beobachten, dass sich die Karrieredauer im Tennis derzeit fast wie im Golf nach hinten verschiebt: Auch Angelique Kerber stieg zur Nummer eins der Weltrangliste erst auf, als sie bereits 28 Jahre alt war.

1997 war Williams erstmals in Wimbledon. (Foto: imago)

Diesen Trend hat die WTA gefördert, indem sie vor Jahren das Mindestalter für den Eintritt in die Profikarriere anhob. Dass Teenager wie einst Steffi Graf oder Hingis im Alter von 14 Jahren Berufsspielerinnen werden, ist undenkbar geworden. Vierzehnjährige dürfen heute nur bei unterklassigen ITF-Wettbewerben antreten und maximal drei Wildcards bei Profiturnieren annehmen. Martina Hingis ist übrigens bis heute die zweitjüngste Wimbledon-Siegerin nach Lottie Dod.

Und damit zurück zu Garbiñe Muguruza, die mit ihren 23 Jahren alles andere als eine Wimbledon-Novizin ist. Sie hat schon 2015 ein Finale auf dem Centre Court gespielt und gegen Serena Williams verloren. Und sie ist die French-Open-Siegerin des vorigen Jahres. Zur Unterstützung vertraut sie in diesem Jahr auf die frühere spanische Weltklassespielerin Conchita Martínez als Trainerin. Eine Frau, die sich auskennt, wie sie sagt. Und deren Name ebenfalls auf der grünen Ehrentafel steht: als Siegerin von 1994.

© SZ vom 15.07.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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