Team-EM im Tischtennis:Hungriger Ersatz

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Doppelter deutscher Meister: Benedikt Duda vom TTC Schwalbe Bergneustadt errang 2021 die nationalen Titel im Einzel und Doppel. Nun zählt er zum deutschen Team bei der EM. (Foto: Juergen Kessler via www.imago-images.de/Imago/Kessler-Sportfotografie)

Die deutschen Tischtennis-Männer treten bei der Team-EM ohne Dimitrij Ovtcharov und Timo Boll an - die zweite Reihe will das als Chance sehen, um aus dem Schatten der beiden Topspieler zu treten.

Von Ulrich Hartmann, Cluj-Napoca/München

Es ist 62 Tage her, dass Dimitrij Ovtcharov zwei Punkte gefehlt haben zur größten Sensation in der Geschichte des deutschen Tischtennis. Mit 9:11 im siebten Satz verlor er Ende Juli im olympischen Halbfinale in Tokio gegen den Chinesen Ma Long, den derzeit besten Spieler auf diesem Planeten. Hätte Ovtcharov gewonnen, dann wäre er im Finale womöglich sogar Olympiasieger geworden gegen den nicht ganz so starken Fan Zhendong. Olympiasieger Ovtcharov - das wäre eine Schlagzeile gewesen, die das deutsche Tischtennis, nein, den ganzen deutschen Sport für immer geprägt hätte.

Ovtcharov, 33, misst sich mittlerweile also mit den besten Chinesen auf Augenhöhe. Dass ist auch ein Grund dafür, warum er in dieser Woche mit der deutschen Nationalmannschaft nicht bei der Europameisterschaft in Cluj-Napoca in Rumänien antritt. Mit Arroganz hat das nichts zu tun. Diese Team-EM ist nach der Einzel-EM im Juni und nach Olympia im August das dritte große Event binnen vier Monaten, Ende November folgt auch noch die wichtige Einzel-Weltmeisterschaft in Houston/USA. Um einen Start in Topform und eine mögliche Revanche gegen Ma Long dort nicht zu gefährden, verzichtet Ovtcharov auf die Team-EM. Weil Timo Boll es genauso macht, spielt die deutsche Mannschaft mit dem frischgebackenen Europe-Top-16-Sieger Patrick Franziska an der Spitze sowie mit Akteuren namens Ruwen Filus, Benedikt Duda, Dang Qiu und Kay Stumper (18 Jahre), die sonst alle im Schatten von Boll und Ovtcharov verschwinden. "Wir sind hungrig und wollen aus diesem Schatten heraustreten", sagt Duda.

Es ist 25 Jahre her, dass zuletzt 1996 in Bratislava weder Boll noch Ovtcharov zur deutschen EM-Mannschaft gehörten haben. Mit beiden zusammen gewann Deutschland hingegen sieben Mal den Titel und war für die Konkurrenz genauso unbezwingbar wie auf globaler Ebene für die Deutschen das chinesische Team. "Mit zwei Granaten wie Timo Boll und Dima Ovtcharov ist es natürlich einfacher", sagte der Männer-Bundestrainer Jörg Roßkopf. "Umso wichtiger ist, dass die anderen Spieler auch mal die Chance bekommen, unter Druck zu spielen."

Nina Mittelham, Sabine Winter, Chantal Mantz und Annett Kaufmann bilden das Frauen-Team

Duda, 27, ist vor einem Monat in Abwesenheit von Boll und Ovtcharov erstmals deutscher Einzel-Meister geworden. "Der Pokal steht im Wohnzimmer neben dem Fernseher, und immer, wenn ich abends auf der Couch liege, sehe ich ihn, das ist ein super Gefühl." Mit diesem zugewonnenen Selbstvertrauen will der für Bergneustadt in der Bundesliga spielende Gummersbacher auch auf europäischer Ebene reüssieren. "Wir wollen zeigen, dass wir es auch ohne Timo und Dimitrij weit nach oben schaffen können", sagt Duda. Absolutes Minimalziel muss der Einzug ins Viertelfinale sein, denn der wäre gleichbedeutend mit der Qualifikation für die Mannschafts-WM 2022 in Chengdu/China.

Der Titelgewinn hat vor diesem Hintergrund ausnahmsweise mal nicht die höchste Priorität. "Wenn wir die Entwicklung der weniger Erfahreneren fördern wollen, dann müssen wir ihnen häufiger die Möglichkeit geben, Verantwortung zu übernehmen", sagt der Sportdirektor Richard Prause. "Damit stellen wir das Gerüst unserer Nationalmannschaft neben den Olympioniken auf ein solideres Fundament."

Auch bei den Frauen fehlen in Petrissa Solja, Han Ying und Shan Xiaona die drei besten deutschen Spielerinnen. Nina Mittelham, Sabine Winter, Chantal Mantz und Annett Kaufmann (15 Jahre) bilden hier das Team. Die deutschen Frauen starten in ihre Dreiergruppe an diesem Mittwoch gegen die Slowakei, die Männer gegen die Ukraine. Ovtcharov hat nach seinem Höhenflug in Tokio mit Bronze im Einzel und Silber im Team zuletzt übrigens gleich einen Dämpfer erhalten. In Doha unterlag er direkt gegen den 73 Weltranglistenränge tiefer platzierten Südkoreaner Cho Seungmin. "Ich hoffe, dass ich bis zur WM wieder in Topform bin", sagte er hinterher. "Dafür werde ich in den nächsten Wochen alles geben."

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