Talentierter MultiTasker:Er muss wieder raus

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Günter Netzer verkauft Spiele an die ARD, über die er selbst richtet. Auch sonst geht er ungewöhnliche Wege

Klaus Ott

Nach der WM will Günter Netzer, um seine Lebensqualität zu steigern, beruflich etwas verändern. Allerdings nicht bei der ARD, für die der ehemalige Nationalspieler in diesen Wochen das Turnier analysiert. "Ich werde nicht mehr Tag für Tag ins Büro gehen", sagt er. Netzer wohnt mit Familie in Zürich, von dort hat er es nicht weit bis nach Zug am gleichnamigen See. In Zug sitzt die Agentur Infront, ein Unternehmen mit 250 Beschäftigten, das TV-Übertragungsrechte für Fußball, Handball, Eishockey, Bob und andere Sportarten verkauft. Im Hauptberuf ist Netzer Direktor und Teilhaber der Firma, und das will er auch bleiben, allerdings mit weniger Arbeit.

Der frühere Mittelfeldstar (Borussia Mönchengladbach, Real Madrid, Grashoppers Zürich) und Klubmanager (Hamburger SV) wollte sich den beruflichen Stressabbau eigentlich schon viel früher verordnen. Zur Erinnerung: 1988 hatte er trotz großer Erfolge (Meistertitel, Europacup der Landesmeister) seinen Managerjob in Hamburg niedergelegt. "Ich muss raus hier, der Job tötet die Lebensfreude", lautete damals seine Erkenntnis.

Es folgte die dritte Laufbahn, als Sportrechtehändler in der Schweiz, bei einer kleinen Firma, die einzelne Vereine und Verbände vermarktete. Daraus wurde später infolge allerlei ungeplanter Umstände eine große Aufgabe, die Tätigkeit als Fernseh-Fußballexperte kam hinzu. Die ungewöhnliche Karriere bringt es mit sich, dass Netzer in diesen Wochen mehr gefordert ist als früher auf dem Fußballplatz - wenn man seine Auftritte jetzt mit den Auftritten als Mitglied der deutschen Elf vergleicht. 1972 genügten in den Finalrunden vier Partien, um mit der bundesdeutschen Elf Europameister zu werden. Und 1974, bei der ersten WM in Deutschland, reichte es für den Spielmacher nur zu einem Kurzeinsatz - beim 0:1 gegen die DDR.

Insgesamt kam der Mann aus Mönchengladbach auf 37 Partien im Nationalteam. Im Fernsehen, der vierten Karriere-Station, hat Netzer die deutsche Mannschaft inzwischen öfter begleitet. Seit der WM 1998 in Frankreich begutachtet er mit Moderator Gerhard Delling alle großen Turniere für die ARD, und zwischendrin die Freundschafts- und Qualifikationsspiele der Nationalelf, die das Erste zeigt. Die ARD hat ihren prominentesten und teuersten Experten kürzlich bis 2008 an sich gebunden. Zehn Jahre sind dann voll.

Ebenso ungewöhnlich wie der Weg des einstigen Spielmachers sind auch dessen Geschäfte. Mit seiner Firma Infront verkauft er Fußballspiele an die ARD, über die er anschließend richtet. Dazu zählt auch das wertvollste Gut der Agentur, die WM 2006. Ein weiterer bemerkenswerter Umstand erlaubt es, bei Infront kürzer zu treten. Philippe Blatter, ein Verwandter von Joseph Blatter, dem Präsidenten des Weltverbandes Fifa, ist seit August 2005 CEO (Chief Executive Officer) von Infront, eine Art Vorstandschef. Netzer will sich künftig auf die Rolle eines "Botschafters" konzentrieren, der Türen öffnet.

Dass da einer als TV-Experte an der eigenen Ware noch einmal verdient und dass seine Firma Geschäfte unter prominenten Verwandten macht - über solche Verquickungen wären andere Leute längst gestolpert. Nicht so Günter Netzer. Der hat, so weit das ersichtlich ist, in solchen Fällen immer mit offenen Karten gespielt. Der Rechtehändler und TV-Kommentator schafft sogar das Kunststück, der ARD Konkurrenz zu machen, ohne dass es deswegen zu Zerwürfnissen käme. Vor einem Jahr, am Rande des Confederation Cup in Deutschland, einer Art Mini-WM, kamen sich Netzer und das Erste persönlich ins Gehege.

Die Fifa verkaufte damals die Übertragungsrechte für die WM 2010 in Südafrika. In Frankfurt am Main tagte die Fifa-Exekutive unter dem Vorsitz von Präsident Blatter, vor der entscheidenden Sitzung gab es viele Gespräche bis tief in die Nacht. Netzer war für Infront vor Ort, und natürlich auch, weil er für die ARD den Confederations Cup kommentierte. Die Schweizer Agentur wollte, nachdem sie im Auftrag der Fifa die WM 2006 vermarktete, auch die weltweiten TV-Rechte für das Turnier in Südafrika haben.

Das war allerdings nicht im Sinne von ARD und ZDF. Die gebührenfinanzierten Anstalten hatten sich vorgenommen, wie früher direkt bei der Fifa einzukaufen und nicht erneut über den Zwischenhändler Infront. Es soll heftig verhandelt worden sein. Am Ende erhielten die Fernsehanstalten in den wichtigsten fünf europäischen Medienmärkten (Deutschland, Frankreich, England, Italien, Spanien) sowie in Skandinavien für knapp eine Milliarde Euro den Zuschlag von der Fifa. Beide Seiten profitierten davon, sagt ein Hierarch aus dem ARD-Sport. Weil die Provision von Infront wegfalle, bekomme die Fifa für Südafrika mehr Geld als bei der WM 2006, obwohl die Anstalten weniger zahlten.

Ärger in der Schweiz

Netzer soll sichtlich enttäuscht gewesen sein. Schließlich hatte Infront dazu beigetragen, die Fifa vor schweren Turbulenzen zu bewahren. Im April 2002 war der damalige TV-Partner des Weltverbandes, der Münchner Medienhändler Leo Kirch, pleite gegangen. Dessen Kirch Sport AG in der Schweiz hatte die TV-Rechte für die Weltmeisterschaften 2002 und 2006 besessen, alles musste neu geordnet werden. Unter Mitwirkung Netzers ging aus der Kirch Sport die Infront hervor. Fortan liefen die Geschäfte reibungsloser als unter dem früheren Inhaber. Netzer war Ende der neunziger Jahre Direktor bei Kirch Sport geworden. Der Münchner Medienhändler hatte damals jene Sportrechtefirma in der Schweiz geschluckt, zu der Netzer nach seinem Abschied aus Hamburg gewechselt war, um ein angenehmeres Leben zu führen. Damals konnte er nicht ahnen, welche Turbulenzen ihm noch bevorstehen sollten in was für ungewöhnlichen Konstellationen.

Mit der ARD hat Netzer wegen solcher Scharmützel wie um die WM 2010 keinen Ärger. Er vergleicht das mit seinen Fußballkünsten. "Wenn ich mit Real gegen Gladbach gespielt habe, dann habe ich mich 90 Minuten lang für Real eingesetzt, obwohl meine Wurzeln und mein Herz in Gladbach waren." Seine verschiedenen Rollen habe die ARD immer akzeptiert. Ob er fürs Erste noch während der WM 2010 im Einsatz sein wird, ist derzeit noch offen.

Zuvor muss der talentierte MultiTasker und vielseitige Geschäftsmann versuchen, als Infront-Botschafter möglichst viele attraktive Sportrechte zu besorgen. Vor allem beim Fußball. Von der WM 2010 hat Infront bislang nur die asiatischen Rechte, und diese nicht einmal allein, sondern zusammen mit dem Werbekonzern Dentsu. Vielleicht würden Seilschaften, wie sie sonst bei der Fifa zu beobachten sind, bei Philippe und Joseph Blatter gar nicht funktionieren, weil das viel zu auffällig wäre. Netzer sagt, es gebe "keine privaten Absprachen und keinen Bonus". Umso mehr wird es an ihm liegen, dass Infront den Fernsehsendern mehr bieten kann als die weniger lukrativen Europa- und Weltmeisterschaften bei Handball oder Eishockey.

Netzers Agentur will groß im Geschäft bleiben, gerade hat sie Ärger im Heimatland. Die Schweizerische Radio- und Fernsehgesellschaft SRG moniert, dass sie entgegen den Versprechungen von Infront die Bilder von den 64 WM-Spielen in Deutschland nicht exklusiv zeigen könne - und fordert Schadensersatz. Es geht um die Schweizer Fensterprogramme der Bertelsmann-Sender RTL und M 6, die über Kabel und Satellit zehn beziehungsweise 31 Partien live zeigen. Die Sache liege bei den Anwälten, sagt Günter Netzer. Mehr nicht.

Beim Fernsehen in der Schweiz hat Netzers TV-Karriere begonnen. Diese Auftritte im Studio seien für ihn "kein Stress, das ist Freude", sagt er. Ob er auch die EM 2008 in seiner Wahlheimat Schweiz und Österreich für die ARD kommentieren kann, liegt nicht in seiner Hand. Die Übertragungsrechte gehören nicht Infront, sondern Sportfive, einer konkurrierenden Agentur - und die hat bisher noch keine EM-Spiele an die ARD verkauft.

© SZ vom 27.6.2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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