SZ-Serie: Wechsel und Wandel (1):Sternzeichen Feuerpferd

Lesezeit: 5 min

Benedikt Huß aus Sachsenkam wechselte die Sportarten, bisweilen mehrmals täglich: Er war Eishockeyprofi, hat sich als Trap-Schütze mit Olympiasiegern gemessen und als Judoka das Kämpfen gelernt.

Von Johannes Schnitzler

Ob ein Sportler den Verein wechselt, das Land, seine Ausrüstung, gleich die ganze Sportart oder einfach nur die Perspektive: Wechsel prägen den Sport, und immer bedeuten sie auch einen Wandel. In dieser Serie erzählt die SZ gewöhnliche und außergewöhnliche Wechselgeschichten.

Sachsenkam sieht in diesen Dezembertagen so aus, wie man sich ein oberbayerisches Dorf zur Weihnachtszeit vorstellt. Flache Häuser, von Holzzäunen umfriedet, ducken sich in die Voralpenlandschaft. Auf den Dächern liegt eine feine weiße Schneeschicht. Aus den Fenstern fließt warmes Licht. Auf ein Klingelzeichen hin öffnet Benedikt Huß die Tür, sagt "Servus" und bittet den Besucher ins Haus. Ein Kleiner Münsterländer, ein Jagdhund, kommt neugierig schnüffelnd an den Zaun und beschließt, dass das in Ordnung geht.

Drinnen sieht es aus, wie es in einem Haus in den bayerischen Voralpen auszusehen hat. Viel Holz. Huß ist von Beruf Schreiner. Im Kamin lodert behaglich ein Feuer, an den Wänden hängen Farbdrucke von Cezanne. Huß bittet an die schwere Eckbank. Im Herrgottswinkel hängt vorschriftsmäßig ein Kruzifix.

Huß ist immer nur für einen Verein angetreten. Aber er hat die Sportarten gewechselt wie andere Menschen die Garderobe: bisweilen mehrmals täglich. Huss hat in der zweiten Liga Eishockey gespielt, er war Kapitän des EC Bad Tölz. Als Judoka ist er für den SV Sachsenkam auf die Matte gegangen, war Dritter der bayerischen Meisterschaften. Er hat Fußball gespielt und Biathlon-Wettkämpfe bestritten. 1980 war er Erster beim Kreissportfest in der Leichtathletik. Im Motocross fehlte ihm nur ein einziger Punkt zur DM-Endrunde. Mit 17 fuhr er beim Münchner Hallen-Cross mit. "Ich wollt's immer wissen", sagt Huß.

Im Schießen war er dagegen fast ein wenig flatterhaft. Angefangen hat er, als es in Tölz noch die US-Kaserne gab, im "Rod & Gun Club" und beim Tölzer Wurftaubenklub. Aktuell geht er für die Feuerschützengesellschaft Isen (Erding) im olympischen Trap an den Stand.

Aus einem schmucklosen weißen Plastikcontainer fischt Huß Urkunden, Medaillen und Zeitungsartikel: 1. Platz Deutsche Mannschaftsmeisterschaft, Wurfscheibe Doppeltrap. 1. Platz Bayerische Mannschaftsmeisterschaft Trap. 1. Platz Bayerische Mannschaftsmeisterschaft, Wurfscheibe Doppeltrap. Alles 2017. Erstmals Meister mit der Mannschaft war er 1990. Auf einem roten Wachsteller steht: "Ehrengabe der Gemeinde Sachsenkam an Herrn Benedikt Huß für seine hervorragenden Leistungen im Judo." Da war er gerade 15. Zehn Jahre später, 1992, stand er in der Auswahl zum "Sportler des Landkreises", neben den Skistars Michaela Gerg und Martina Ertl. Da spielte er längst in der zweiten Liga für den EC Bad Tölz.

Klare Ansagen, klare Ziele: Benedikt Huß, als Co-Trainer der Tölzer Löwen. Der 51-Jährige war außerdem: Trap-Schütze, Biathlet, Leichtathlet, Motocross-Fahrer, Fußballer und Judoka. (Foto: Manfred Neubauer)

Den meisten ist Huß, 51, als Eishockeyspieler im Gedächtnis geblieben. Einer, für den das Wort "kernig" erfunden worden ist. "Ich war schnell, nicht ganz dünn - heute würde man sagen: Von der Athletik her hat's gepasst." Damals, mit 15, galt er im Judo bei den Junioren B mit seinen 64 Kilo als Schwergewicht. Fürs Eishockey legte er ein paar Kilo zu, 93 waren es zu seiner aktiven Zeit, bei einer Größe von 1,77 Meter. Ein Kraftpaket. Seine Spielweise war entsprechend.

Dazu kam, dass er, der Multisportler, im Eishockey ein Spätentwickler war. "Mit 14 Jahren und zehn Monaten", er weiß es noch genau, "an Allerheiligen war's", habe er ein paar Schlittschuhe bekommen und ausprobiert. In seiner Schulklasse saßen die Eishockeyspieler Peter Harrer und Andreas Brockmann, der spätere Nationalstürmer und DEL-Trainer. "Mir hat das Spaß gemacht, das Training, das Zusammensein mit der Mannschaft", sagt Huß. Kurz nach Weihnachten bestritt er die ersten Punktspiele für den ECT.

Neben dem Tisch liegt ein Hund: Jari, sagt Huß, "wie Jari Kurri", Wayne Gretzkys Flügelmann

Irgendwann musste er sich entscheiden: Schießen oder Eishockey? Der Trainingsaufwand war gleich hoch, aber Eishockey entwickelte sich immer mehr zum Ganzjahressport. Die athletischen Grundlagen dafür werden im Sommer gelegt, dann, wenn im Schießen die großen Wettkämpfe sind. Huß entschied sich für Eishockey. Und erwarb sich schnell den Status als Publikumsliebling. "Damals gab es nur zwei Ausländer pro Mannschaft", erzählt Huß. "Meine Aufgabe war: Du deckst einen davon." Und das tat er, immer nach dem Motto: "Der Gegner muss merken, dass es für ihn hier nicht leicht wird."

417 Mal stand Huß für den ECT auf dem Eis, schoss für einen Stürmer überschaubare 58 Tore und sammelte 755 Strafminuten - mehr als jeder andere in der Geschichte des Eisclubs. Seine Checks waren berühmt und bei den Gegenspielern berüchtigt. "Damals wurde noch ganz anders gespielt", sagt Huß heute und grinst: "Es waren auch noch ganz andere Sachen erlaubt." Sein Sternzeichen ist der Steinbock, im fernöstlichen Tierkreis ist er ein japanisches Feuerpferd, sagt Huß: "Sehr selten, sehr extrem." Die Gegner merkten extrem oft, dass es weh tut.

Benedikt Huß als Trap-Schütze. An den Schießstand geht er immer noch. (Foto: Liebmann)

Während Huß erzählt, hat sich der Kleine Münsterländer, der ihn immer begleitet, in seinem Körbchen zusammengerollt. "Er heißt Jari", sagt Huß. "Jari wie Jari Kurri." Kurri war der legendäre Flügelmann des legendärsten Eishockeyspielers der Geschichte, Wayne Gretzky.

1997, mit nur 30 Jahren, beendete Huß nach elf Spielzeiten seine Karriere. Die Bandscheiben. Bereut hat er seine Entscheidung für das Eishockey nie. Sein jüngerer Sohn Johannes ist Profi geworden, er spielt für die Düsseldorfer EG. Im Schießen aber, glaubt Huß, "wäre ich vielleicht ganz vorne dabei gewesen". Das ist nicht die übliche Fast wäre ich Profi geworden-Geschichte. Huß hat sich mit der nationalen und der internationalen Spitze gemessen - und hielt trotz geringeren Trainingsumfangs mit. 2002 stand er in der deutschen Rangliste auf Platz vier.

Er hat gegen Olympioniken geschossen wie den Briten Ian Peel, manchmal ohne es zu merken. Bei einem Einladungswettkampf begegnete er einem arabisch aussehenden Mann, und kam, wie es seine zupackende Art ist, mit dem Fremden ins Gespräch. "Ich mit meinem super Englisch", sagt Huß und lacht. Beide erreichten das Finale der besten Sechs, man schoss ein gemeinsames Foto und verabschiedete sich freundschaftlich. Der neue Bekannte ließ sich noch ein paar Dutzend Weißwürste schicken.

"Etwas später sehe ich im Fernsehen ein Pferderennen, da heißt es: ,Besitzer: Scheich Al Maktoum'. Aber da habe ich noch immer nicht kapiert, wer das ist", sagt Huß. Bis er den freundlichen Herrn mit den teuren Gewehren als Teilnehmer bei den Olympischen Spielen in Sydney sah. 2004 gewann Sheikh Ahmed Al Maktoum, Mitglied der königlichen Familie der Vereinigten Arabischen Emirate, in Athen die Goldmedaille im Doppeltrap.

Huß' Verbindung zum Schießen ist immer noch eng. 2017 fragte ihn der Bayerische Sportschützenbund, ob er die Olympiaschießanlage in Garching-Hochbrück betreiben und als Trainer am Stützpunkt arbeiten wolle. "Das wäre ein Traumjob gewesen", sagt Huß. Aber er hätte dann ja noch weniger Zeit gehabt für die Familie zwischen seiner Arbeit als Schreiner, seinen wiederholten Einsätzen als Co-Trainer bei den Tölzer Löwen und seinem vielleicht größten Hobby, der Jagd. Wobei es ihm da mehr um die Ruhe im Wald geht: "Das ist für mich die größte Befriedigung." Die Familie besitzt ein Revier, auch da gehört das Schießen dazu. "Das wäre, wie wenn man einen Ponyhof hat und nicht reiten kann", sagt Huß.

Er zeigt ein Geweih, ein 14-Ender, den er vor einigen Wochen erlegt hat. "Der war noch jung, aber krank und ganz abgemagert", sagt Huß. Der Hirsch habe ihm leidgetan, aber es hilft ja nichts. Und bevor ein anderer anlegt, tut er es dann lieber selbst. Weil er weiß, dass er trifft.

© SZ vom 27.12.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: