Surf-Weltcup auf Tahiti:"Eine furchterregendere Welle habe ich noch nicht gesehen"

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Die Riesen von Teahupoo: Beim "Billabongpro Tahiti" reiten legendäre Surfer über monströse Wellen - Stoff für viele Heldengeschichten.

Thomas Becker

Teahupoo - Sie kennen sie alle. Müssen nur kurz ein Foto sehen und wissen sofort: "Ah, 17. August 2000 - das war vielleicht ein Ding!" Die besten Surfer der Welt kennen sich aus mit ihren Wellen. Neun Monate im Jahr sind sie überall dort unterwegs, wo sich das Meer besonders spektakulär bricht. Doch aus all den Monsterwellen ragt eine nochmal heraus: Die Welle am Ende der Straße in Teahupoo, Tahiti.

(Foto: Foto: Tim Mc Kenna)

In dem 15-Familien-Dorf im Südosten der Insel geht es wirklich nicht mehr weiter. In einem Kreisel endet die Straße. Wer ein Auto mietet, muss unterschreiben, dass er nicht durch den Fluss weiterfährt. Der Rest der Insel ist nicht erschlossen. Ähnlich ergeht es Menschen, die an einem der raren "big days" am Riff gesurft sind: Danach kommt nicht mehr viel.

Der Hawaianer Andy Irons, dreimaliger Weltmeister, beschreibt die Welle, die mit tausend Kilometern Anlauf auf ein 50 Meter fast senkrecht abfallendes Riff trifft: "Du merkst sofort, wann Teahupoo groß ist: Wenn keiner von den Jungs mehr redet, keiner mehr flachst, wenn es still wird." Schon Captain Cook zeigte sich 1769 beeindruckt: "Eine furchterregendere Welle habe ich noch nicht gesehen." Der Einheimische, der Anfang der 80er die als unsurfbar geltende Welle bezwang, hieß "camion" - weil durch die entstehende Röhre ein Lastwagen gepasst hätte. Fotografen, die schon jahrelang die Tour begleiteten, fragten beim ersten Teahupoo-Besuch ungläubig: "Was ist das denn?" Es soll gestandene Profis gegeben haben, die heil aus dem lärmenden Monster rauskamen und am Boot nur noch geheult haben. Manche legen vor dem Wettkampf eine Blume aufs Meer, um das Ungetüm zu besänftigen. Ein Brasilianer kam nach einem Sturz jahrelang nicht wieder. 1997 war die Welle so stark, dass sie eine Fähre, auf der die Punktrichter saßen, aufs Riff kippen ließ. Ein anderes Mal traute sich nur die Hälfte der Profis raus; der 17-jährige Sieger sagte später: "Ich wusste, dass ich gewinnen kann, weil ich keine Angst hatte zu sterben - und davon gab es heute nicht viele."

Martialische Töne, die Geschichte von Teahupoo ist voll davon. Der Ortsname bedeutet "Mauer aus Köpfen, die in der Sonne trocknen". Zwei Stämme hatten sich bekriegt und der Sieger Trophäen mitgebracht. Ihr Schlachtruf: Kämpfe wie der tobende Ozean! Ein anderer Mythos erzählt vom wunderschönen Mädchen Vehiatua, das als Erste die Riesenwelle bezwang. Das machte den Stammes-Chef so wütend, dass er sie umbrachte, in der Hoffnung, ihr Können möge sich auf ihn übertragen. Es übertrug sich aber nur der Zorn von Vehiatuas Freund auf ihn: Er tötete den Stammes-Chef.

Auch in der Gegenwart sind Blut und Schmerzen noch präsent: Wenn sich ein Surfer an den scharfen Kanten des Riffs verletzt und mit Limettensaft und zusammengebissenen Zähnen desinfizieren muss. Ansonsten geht es selbst in den zehn Tagen, wenn der Billabong Pro Tahiti Weltcup zu Gast ist, sehr ruhig zu. Die Fotos von weißen Traumstränden und Bungalows auf Stelzen im Meer werden woanders geschossen. Tahitis Sand ist vulkanschwarz. In Teahupoo gibt es einen einzigen Laden, keine Hotels, man wohnt in Gastfamilien. In einem Bretterverschlag jenseits des Flusses wird Bier verkauft - aber erst nach acht, da liegen viele schon im Bett. Um sechs Uhr ist es stockfinster, der Billardtisch an der Saft-Bar ist so malade, dass alle Kugeln in der Mitte zusammenlaufen. Sagen wir mal so: Es gibt wenig, was die Surfer von der Arbeit ablenkt.

45 Profis, fast die Hälfte davon Australier, ziehen seit Ende der 70er Jahre auf der so genannten "Dream Tour" von März bis Dezember um die Welt: Australien, Tahiti, Chile, Südafrika, Kalifornien, Hossegor bei Biarritz, Mundaka im Baskenland, Brasilien, Hawaii. Zehn Wettkämpfe, drei Millionen Dollar Preisgeld. Nur ein Europäer ist dabei, der 18-jährige Franzose Jeremy Flores aus La Reunion. Der einzige Deutsche, der auf der Qualifikations-Tour - eine Art zweite Liga - mitfährt, heißt Marlon Lipke (22) und lebt in Portugal. Wer mit den Besten mithalten will, muss das Meer vor der Haustür haben.

Wie Manoa Drollet, neben Hira Teriinatoofa der einzige Tahitianer, der sich gegen 80 Konkurrenten für das Hauptfeld qualifizieren konnte. "The Boss" nennen sie das schmächtige Kerlchen, das mit dem braven Kurzhaarschnitt eher wie ein Ministrant ausssieht. Doch mit Mut und Geschicklichkeit hat er sich ein schönes Haus am Strand ersurft. Der junge Mann kommt gerade vom Speer-Fischen: "Das trainiert die Atmung und hilft mir, die großen Wellen zu überleben." Drollet taucht in keiner Weltcup-Statistik auf, obwohl er das Zeug dazu hätte. Jahrelang war er Wettkampfsurfer - kein Spaß, sagt er: unzählige Veranstaltungen in mediokren Wellen. Und wehe, die Kumpels rufen an und erzählen von "big waves"! Manoa hat den Job gewechselt: Statt mit skateboardmäßigen Tricks und Turns in kleinen Wellen ist er jetzt als "Freesurfer" unterwegs. Sind irgendwo auf der Welt massive Wellen angesagt, bekommt Manoa einen Anruf und fliegt los, rein in die Riesenwelle, ab auf die Covers der Surf-Magazine. Seit 1994 das erste Foto aus Tahiti in einem Surfmagazin gedruckt wurde, hat es Teahupoo gut 300 Mal auf Seite 1 geschafft.

Auch Manoas erster Versuch in Teahupoo - mit 14 - endete mit blutigem Rücken. Selbst die australische Surflegende Mark "Occy" Occhilupo zerlegte es dort beim ersten Mal gewaltig: "Mein Brett musste ich danach mit dem Jetski einsammeln. Es waren drei Teile." In ein paar Wochen wird Occy 41. Er ist der älteste Mann auf der Tour und erlebt gerade seine zweite Karriere. Nummer eins begann sehr früh, beinhaltete viele Siege, mit 21 auch einen Hollywood-Surf-Film. Mit 22 war er depressiv und fettsüchtig, verschwand sieben Jahre von der Bildfläche, irgendwo nach Indonesien. Er kam zurück - und wie: Vier Jahre nach dem Comeback war er Weltmeister. Nun schaukelt er die Söhne 1 und 2 auf den Knien, trifft sich später mit den Jungs auf ein Sundowner-Bier am Strand - ein Familienidyll, das so gar nicht zum Bild vom wilden Draufgänger passt. Es ist auch ein falsches Bild. Der Australier Joel Parkinson ließ unlängst den greifbaren Weltmeistertitel sausen, um bei seiner Frau zu sein, als ein Baby unterwegs war.

Immerhin tut Kelly Slater etwas für den Glamour-Faktor. Der achtmalige Weltmeister aus Florida hatte Affären mit Pamela Anderson und Cameron Diaz, im vergangenen Jahr war Gisele Bündchen zu Besuch in Teahupoo. Slater ist der unbestrittene "King of Surf", hält alle Rekorde. 2003 surfte er Teahupoo mit gebrochenem Fuß, ein anderes Mal kam er nach zweimaliger Höchstnote zehn mit einer Dose Bier an den Lippen aus der lebensgefährlichen Welle geschossen. Auch er hat seine Teahupoo-Geschichte: 1996 hatte der Dauersieger seine Karriere beendet, im Jahr darauf gehörte Tahiti erstmals zum Weltcup. Slater sah die Fotos - und war wieder dabei.

Der aktuelle Wettkampf meint es nicht so gut mit den Fotografen: der "swell", das Zusammenspiel von Meeresströmung, Wind, Wassertemperatur und anderen Faktoren, ist eher gering, produziert nicht diese mächtigen Kathedralen aus Salzwasser. "Die gibt es nur zwei, drei Mal im Jahr", erzählt Tim McKenna. Seit zehn Jahren fotografiert der Australier in Teahupoo "die Momente, in denen die Natur Kunst wird", wie es im Vorwort zu seinem Bildband heißt. Früher kam er angejettet, wenn die Vorhersage einen kräftigen "swell" versprach. Seit einer Weile lebt er auf Tahiti und verpasst keinen der "big days". Der kommende Mittwoch, zwei Tage nach dem Finale (viersprachiger Livestream am Montag ab 20 Uhr auf www.billabongpro.com), könnte wieder so einer werden. Und vielleicht wird man in ein paar Jahren sagen: "Wow, 16. Mai 2007 - ein Riese!"

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