Super-G der Männer:Wie einst die Crazy Canucks

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Sechs Jahre nach seinem Abfahrts-Gold in Garmisch gewinnt Erik Guay seinen zweiten WM-Titel, diesmal in St. Moritz. Der Kanadier, kürzlich schwer gestürzt, ist mit 35 der älteste Weltmeister der Skisport-Geschichte.

Von Johannes Knuth, St. Moritz

Das Rennen auf der Corviglia lief noch, als die Zuschauer im Zielraum schon mal ein Ständchen anstimmten. Wenn auch nicht zu dem Anlass, den sie sich erhofft hatten: eine Schweizer Medaille. Der Besungene am Mittwoch war Manuel Osborne-Paradis, er hatte Geburtstag, der nun auch nicht dadurch schlechter wurde, dass der Kanadier den Super-G gerade als Dritter beendet hatte. Einer der ersten Gratulanten war ein Teamkollege, Erik Guay, der Führende, er begeht seinen Ehrentag zwar erst im kommenden August, aber Guay befand: "Fühlt sich an, als hätte ich heute auch Geburtstag." Er sei erleichtert, glücklich, was man eben so sagt als frisch inthronisierter Weltmeister. Vor allem, ergänzte er, "bin ich froh, dass ich gesund bin". Älter als er war bislang noch kein alpiner Skiweltmeister gewesen, Erik Guay, geboren 1981 in Québec, wird demnächst 36.

Auch beim Super-G der Männer fand sich am Ende eine Festgesellschaft auf dem Podium ein, die man nicht unbedingt erwartet hatte; wie tags zuvor bei den Frauen. Guay gewann, sechs Jahre, nachdem er in Garmisch Weltmeister in der Abfahrt geworden war; dazwischen lagen diverse Vermerke in der Krankenakte. Kjetil Jansrud wurde Zweiter, im zarten Alter von 31 Jahren, er schrieb die norwegische Erfolgsgeschichte bei Großereignissen fort. Dritter wurde Geburtstagskind Osborne-Paradis, 33, der den jungen Aleksander Aamodt Kilde vom Podest und Andreas Sander aus Ennepetal auf Rang sieben stieß. "Unglaublich", bilanzierte Guay, "die ganzen Geschichten und Verletzungen kommen wieder in den Sinn, der Sturz vor eineinhalb Wochen in Garmisch".

Zweimal Kanada auf dem Podest

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(Foto: imago/GEPA pictures)

Ergebnisse der Weltmeisterschaft im Super-G der Männer: Gold: Erik Guay (Kanada, Foto: Imago) 1:25,38 Minuten Silber: Kjetil Jansrud (Norwegen) 0,45 Sekunden zurück Bronze: Manuel Osborne-Paradis (Kanada) 0,51 Sekunden zurück 4. Kilde (Norwegen) 0,54, 5. Kriechmayr (Österreich) 0,88, 6. Pinturault (Frankreich) 0,90, 7. Sander (Ennepetal) 0,97, 8. Janka (Schweiz) 0,99, 9. Paris (Italien) 1,02, 10. Reichelt (Österreich) 1,09; 26. Ferstl (Hammer) 2,84. - ausgeschieden: Dreßen (Mittenwald). Programm am Donnerstag 10.30 Uhr: Frauen, Abfahrtstraining 12.30 Uhr: Männer, Abfahrtstraining

Vor eineinhalb Wochen war Guay quer durch die Luft gerauscht wie Hermann Maier 1998 in Nagano, der Airbag verhinderte wohl Schlimmeres. "Recht emotional" seien die Tage danach gewesen, gestand Guay am Mittwoch, und das war vermutlich noch recht untertrieben.

Der Weg zu einem WM-Titel bei den Schnellfahrern ist gespickt mit Verletzungen und Tiefs, wie das nun mal so ist, wenn Fahrer mit Kräften ringen, für die sie nicht immer gemacht sind. Die ersten WM-Tage in St. Moritz erinnerten den Skizirkus verlässlich an dieses Geschäftsmodell, die Stürze des Monegassen Olivier Jenot oder von Österreichs Abfahrerin Mirjam Puchner schockierten. Guay war insofern nicht unbedingt ein überraschender Weltmeister, er war einer, der alles verkörpert, für das die schnellen Disziplinen stehen: die Lust am Risiko und Erfolg, mit allen Risiken und schmerzhaften Nebenwirkungen.

Guay hat im Dezember 2000 im Weltcup debütiert. Er machte sich in Deutschland Richtung Weltspitze auf, die chronisch unterschätzte, schwere Kandahar-Abfahrt in Garmisch-Partenkirchen war schon immer sein Ding, warum, weiß er bis heute nicht so recht. Es ist jedenfalls der Ort, an dem alles begann: Guay gewann dort zwei seiner ersten drei Weltcups, 2011 wurde er Weltmeister in der Königsdisziplin, von der Feier in der Diskothek "Peaches" erzählen sie in Garmisch noch heute Geschichten. Kanada, das Land der Eishockeyspieler, horchte auf, Menschen interessieren sich nun mal für Sieger. Als Guay nach der WM am Flughafen landete, fuhren sie ihn sofort zu einem Heimspiel der Montréal Canadiens in der National Hockey League, 21 000 Zuschauer bedachten ihn mit Applaus. Und dann?

Bester im Blindflug: Keiner meisterte die kniffligen Passagen der WM-Strecke im Super-G so gut wie Erik Guay. (Foto: Alessandro Trovati/AP)

Guay hatte sich 2003 zum ersten Mal am Knie operieren lassen, ein Kreuzbandriss, und als er aufwachte, sagte ihm der Arzt: Dein Bein wird stärker sein als vor der Operation. "Warum haben sie dann das andere nicht gleich auch operiert?", entgegnete Guay. Er fand wieder hinein in seinen Sport, doch die Spätfolgen holten ihn immer wieder ein. Fünf Mal ließ er sich operieren, mal am linken Knie, mal am rechten, mal war es der Meniskus, mal ein Teil des Knochens, der von den jahrelangen Fahrten über die Eisautobahnen im Weltcup zerschlissen war. Vor eineinhalb Wochen wäre es dann fast vorbei gewesen, als Guay Maiers Abflug plagiierte. Er kam mit Prellungen davon. "Ich hatte Glück", sagte er in St. Moritz, und: "Als Skifahrer lernst du, diese Erinnerungen schnell zu entsorgen."

Anstatt erneut in den Krankenstand zu treten, schrieb Guay also die Geschichte seiner Vorfahren fort: Kanadas "Crazy Canucks", die in den 70er und 80er Jahren an der Dominanz der Europäer im Skizirkus rüttelten und manche Medaille gewannen, WM-Bronze 1980 in der Abfahrt durch Steve Podborski zum Beispiel. Guay ist ein Nachfahre dieser nordamerikanischen Sportlerspezies, die sich für Großanlässe in einen Adrenalinrausch versetzen können. Er ist aber auch dann gut, wenn die Abfahrt einem Geschicklichkeitsspiel gleicht, wie St. Moritz mit all seinen Gleitpassagen, Hügel und Wellen. Die Fahrer steuern oft auf eine Kuppe zu, ohne das Tor zu erspähen, das dahinter gesteckt ist. Diesen Blindflug meisterte Guay besser als alle Favoriten, Reichelt, Paris, Feuz; die große Schweizer Hoffnung wurde Elfter. Und jetzt?

"Es gibt drei Dinge, die man in diesem Sport gewinnen sollte", hat Guay einmal gesagt, "eine Kristallkugel, eine WM und eine Olympiamedaille." Die Kristallkugel bekam er 2009/10, da war er der Weltcup-Gesamtsieger im Super-G, die WM-Titel 2011 und 2017. Er hat über dem Kamin in seinem Haus eine Vitrine aufgebaut, wer das Haus betritt, sieht als erstes die Medaillen und die Kugel, und er sieht auch, was noch fehlt: die Olympiamedaille. Sie ist im kommenden Jahr in Südkorea eingeplant.

© SZ vom 09.02.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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