Strittige Torszenen:Chip oder nicht Chip

Lesezeit: 2 min

Forscher in Erlangen arbeiten an einem geheimen Projekt: Die Torlinien-Technologie soll bis zur WM 2010 ausgereift sein.

Olaf Przybilla

In Wellenbewegungen wird das jetzt wohl noch oft auf die Forscher vom Erlanger Fraunhofer-Institut zukommen. Fallen die Tore regulär, dann will keiner etwas wissen vom Chip im Ball - dann gilt der eher als modischer Fußball-Firlefanz aus der Technokratenecke.

Nun aber ist wieder die Tor-oder-nicht-Tor-Debatte entbrannt, und so sieht sich der Wissenschaftler René Dünkler abermals mit den Fragen nach der sofortigen Einsatzbereitschaft des Erlanger Systems konfrontiert.

Seine Antwort ist ähnlich, wie sie vor gut einem Jahr war, als die Affäre um den bestochenen Schiedsrichter Robert Hoyzer plötzlich sehr viele Menschen nach sofortigen elektronischen Hilfsmittelchen rufen ließ: Das System aus Franken, das ein Überschreiten der Torlinie durch einen Sender im Ball signalisieren soll, funktioniere zwar "grundsätzlich", sagt Dünkler. Es müsse aber noch daran gefeilt werden.

Bauchlandung

Ein Jahr vor der WM sah es so aus, als könnten sie in Erlangen das große Los gezogen haben. Im Fraunhofer-Institut für Integrierte Schaltungen, keine 15 Kilometer vom WM-Spielort Nürnberg entfernt, entwickeln 40 Forscher den "Chip im Ball", der künftig Wembley-Tore verhindern könnte.

Vor fünf Jahren haben die Erlanger im Auftrag des Karlsruher Technologie-Unternehmens Cairos damit begonnen - kein Mensch habe damals davon gesprochen, das System könnte schon zur WM 2006 benötigt werden. "Das konkrete Interesse der Fifa kam sehr kurzfristig", sagt Dünkler. Die Forscher erlebten eine mediale Bauchlandung: Erst wurde der Chip im Ball ideologisch bekämpft. Dann musste er plötzlich gleichsam über Nacht Serienreife unter Beweis stellen - entgegen allen Warnungen der Forscher.

Die Ergebnisse beim ersten Test unter Turnierbedingungen, bei der U-17-WM in Peru im Oktober 2005, versuchten sie bei der Fifa noch schön zu reden: "Wir haben sehr interessante Ergebnisse erhalten", sagte Fifa-Chef Joseph Blatter damals. So interessante Ergebnisse freilich, dass der Auftraggeber, die Cairos AG, und Ballhersteller Adidas bis heute Stillschweigen darüber vereinbart haben.

Falsch geklingelt

Offenbar schrillte das Signal auch dann, wenn der Ball die Torlatte überquerte - die Schiedsrichter fürchteten mehr Verwirrung als Aufklärung. Für größeres Aufsehen aber sorgte dies nicht: Bei den 32 Spielen der Junioren-WM war kein einziges der 111 Tore so strittig, dass der 15 Millimeter kleine, in den Ball eingebaute Chip seine Wettbewerbstauglichkeit hätte wirklich unter Beweis stellen müssen. Erst im März, nach weiteren Tests in Nürnberg, kam schließlich das Aus für den Chip im WM-Ball 2006.

Es ist ein vorläufiges Aus, beteuert Fifa-Sprecher Andreas Herren: "Wenn die Torlinien-Technologie ausgreift ist, werden wir sie bei der WM 2010 einsetzen." Dass dann allerdings die Erlanger Forscher zum Zug kommen werden, ist ungewisser denn je, denn in der kommenden Saison will der italienische Fußballverband ein Konkurrenzsystem im Stadion von Udine testen.

Die Überquerung der Torlinie wird dort nicht durch einen Chip im Ball angezeigt - sondern durch Digitalkameras, die auf Höhe der Torlinie angebracht werden. Auch hier soll das Torsignal direkt an den Schiedsrichter übermittelt werden.

Anders als beim Videobeweis müsste das Spiel nicht unterbrochen werden. Schiedsrichter, darunter Fifa-Referee Markus Merk, haben sich wiederholt für die Torlinien-Technologie ausgesprochen - egal, ob mit oder ohne Chip im Ball.

© SZ vom 20.6.2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: