Stasi-Vorwürfe gegen Skisprungtrainer Glaß:Ein dienstbarer Geist

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Skisprungtrainer Henry Glaß war laut Stasi-Akte ein "zuverlässiger IM" unter dem Decknamen Paul Hugo.

Thomas Hahn

Die erste Reaktion des Skisprungtrainers Henry Glaß ist Empörung. Keine laute Empörung, keine, wegen der er sofort auflegen würde, eher eine Empörung aus dem Unverständnis heraus, dass so etwas überhaupt sein kann, dass eine Zeitung bei ihm anruft und zu ihm sagt, sie habe seine Stasi-Akte, ob er dazu Stellung nehmen wolle.

"Ich weiß nicht, wer Ihnen das Recht gibt, die Akte einzusehen", sagt er. Der Staat gibt Journalisten das Recht, die Akten von Personen des öffentlichen Interesses einzusehen, nachzulesen in Paragraf 34 Stasi-Unterlagen-Gesetz, Bundesgesetzblatt I, Seite 2272. Glaß schweigt einen Augenblick, dann sagt er: "Das sehe ich trotzdem nicht ein, dass Sie mich jetzt damit konfrontieren, und ich werde im Moment dazu nichts sagen. Das ist jetzt meine Meinung dazu."

Die Nachfrage soll Ihnen entgegenkommen, Herr Glaß. "Da haben Sie sicherlich Recht", sagt Henry Glaß. "Ich weiß ja nicht, was drinne steht. Ich weiß es selbst nicht. Und dann kann ich mich dazu auch nicht äußern."

Man hätte es ihm sagen können, aber auch darauf hat sich Henry Glaß nicht eingelassen, der einer von zwei Trainern ist, die das Nationale Olympische Komitee (NOK) wegen ihrer Stasi-Kontakte auf Empfehlung der unabhängigen Stasi-Kommission von NOK und deutschem Sportbund nicht zu den Winterspielen nach Turin mitnimmt.

"Ich brauch mir nichts vorzuwerfen", sagt er, "ich hab' nichts Schlimmes getan, ich hab niemanden in Schwierigkeiten gebracht, und dabei bleibt es jetzt." Sie können sich erinnern an die Kontakte mit der Stasi? "Ja sicher", sagt Glaß, "das war im Prinzip in der Zeit...ich will nicht sagen normal, ... aber in dem Klub, in dem ich war, da war das... ich will nicht sagen normal,... aber da war das eine Sache, die man im Prinzip machen musste. Und dabei belasse ich's jetzt."

Das Schweigen ist Mission

Er hatte gleich zu Beginn des Gesprächs gesagt, dass er keinen Kommentar leisten werde zu seinen Akten, zu den Treffberichten, die sich darin finden, zum Kontakt mit einem gewissen Hauptmann Schmidt, der unter anderen die Informationen niederschrieb, die Glaß aus dem engeren Zirkel der DDR-Springer lieferte, zu dieser ganzen Vergangenheit, die ihn am 25. Januar bei der Anhörung durch die NOK/DSB-Kommission einholte. "Im Moment will ich dazu gar nichts sagen", sagt er.

Warum? "Weil ich das laufende Programm der Mannschaft nicht stören will. Und wenn man sieht, was da mit dem Ingo Steuer für ein Wirbel ist... und das will ich jetzt nicht der Mannschaft aufhalsen." Nach der Saison? "Ja, das werde ich mir überlegen."

Henry Glaß, 52, aus Rodewisch, einst selbst ein erstklassiger Skispringer, Bronze-Gewinner bei Olympia 1976 in Innsbruck, gilt seit Jahren als der stille dienstbare Geist der deutschen Skisprung-Nationalmannschaft. Er war Assistent des langjährigen Bundestrainers Reinhard Heß, unter dem die deutschen Springer ihre erfolgreichste und dank des jugendlichen Heldenduos Martin Schmitt/Sven Hannawald auch populärste Phase erlebten.

Nachdem Heß 2003 zurückgetreten war, leitete Glaß die B-Mannschaft, ehe er im Oktober 2004 an die Seite des neuen Bundestrainers Peter Rohwein rückte. Und auch jetzt tut er seinen Dienst. Bei Trainingseinheiten in Ruhpolding soll er dem früheren Weltmeister Schmitt aus der Krise helfen. Das Schweigen sieht Glaß als Teil seiner Mission.

"Vorkommnis bei Tetra-Pokal"

So wie er früher offenbar das Reden als Teil seiner Mission gesehen hat, wenn auch nur im Geheimen als IM "Paul Hugo". Seine Stasi-Akte ist unvollständig, sie enthält keine unterschriebene Verpflichtungserklärung und sie lässt auch nicht auf den gleichen Eifer schließen, den offensichtlich der damalige Eiskunstläufer Ingo Steuer als IM "Torsten" an den Tag legte bei seinen Spitzeldiensten.

Einige Treffberichte aus den Jahren 1984 bis 1989 liegen bei, Aufträge an den IM ("Weitere Kontrolle des Aktiven Name geschwärzt. Rechtzeitiges Erkennen von Aktivitäten des in Srebske Pleso gewählten wie schriftl. Mitteilungen usw."), Protokolle von mündlichen Berichten.

Einmal berichtet IM "Paul Hugo" davon, dass die Eltern eines Springers Antrag auf Übersiedlung gestellt hätten, dann wieder von einem "Familienbesuch".

Er gibt auch Inhalte aus Privatgesprächen weiter. Über einen Trainerkollegen oder Springer berichtet er: "Name geschwärzt ist seit der Trainer-Umbesetzung stark verärgert. Er war der Meinung er wird von der Leitung ins Spitzenkollektiv und somit auch für internationale Aufgaben eingesetzt. Er ist ein Selbstüberschätzer und ist der Meinung durch das Hochspielen von Teilerfolgen Eindruck zu machen, merkt aber gar nicht wie einige Trainer ihm immer wieder das Wasser abgraben."

Auf jeden Fall aber müssen die Offiziere mit "Paul Hugo" zufrieden gewesen sein. Dem Bericht zum "Vorkommnis bei Tetra-Pokal in Srebske Pleso" im April 1985, nämlich dem Vorschlag eines US-Springers, eine Athletenvertretung zu wählen, geht der Hinweis voraus: "Information eines zuverlässigen IM."

© SZ vom 2.2.2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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