Stabhochsprung:Schwer in der Höhe

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4,40 Meter geschafft: Stabhochsprung-Talent Leni Freyja Wildgrube zeigte ihr Potenzial. (Foto: Sebastian Priebe/imago)

Leni Freyja Wildgrube gilt als großes Talent im deutschen Stabhochspringen. Dennoch verzweifelte sie fast an einer unsichtbaren Barriere. Am Wochenende meldete sie sich eindrucksvoll zurück.

Von Jonas Kraus

Am Sonntag war für Leni Freyja Wildgrube Entspannen angesagt. Eigentlich wollte sie ganz gerne nochmal springen, nochmal den Stab rausholen und schauen, wie hoch sie kommt. Aber am Morgen merkte sie, wie sehr sie doch geschlaucht war vom Vortag. Deshalb suchte sie sich ein schattiges Plätzchen und schaute den anderen Stabhochspringern zu, die beim "Touch the Clouds" in Gräfelfing bei München um den Sieg kämpften. "Tut auch mal gut", sagte sie.

Sie hatte ihr Soll bereits am Samstag erfüllt, dem ersten Tag des Stabhochsprung-Treffens. Für die 4,35 Meter benötigte die 19-Jährige nur einen Versuch, an den 4,40 Metern scheiterte sie zunächst zweimal, ehe sie auch diese Marke überflog. Sieg und persönliche Bestleistung. Eine Woche vorher hätte diese Höhe noch zum Deutschen Meistertitel gereicht. Nun hat Wildgrube zumindest die Norm für die U23 Europameisterschaft im Juli in Tallinn gepackt. Überrascht vom Höhenflug? "Nein, eigentlich nicht. Aber mega happy", sagte die Stabhochspringerin vom SC Potsdam. Im Training habe sich bereits abgezeichnet, dass sie die Marke knacken kann. Als es dann endlich im Wettkampf klappte: "Pure Erleichterung."

Immer ging es beständig nach oben, dann war plötzlich Schluss

Eine riesige Last sei von ihr abgefallen, und das war am Tag danach noch anzusehen. Denn obwohl Wildgrube erst 19 Jahre alt ist, hat sie bereits eine durchwachsene Phase hinter sich. "Eine etwas schwierige Laufbahn", sagt ihr Trainer Stefan Ritter. 2017 überspringt Wildgrube in Nairobi mit 16 Jahren die 4,15 Meter und wird U18-Vizeweltmeisterin, im Jahr darauf gewinnt sie bei den Olympischen Jugendspielen in Buenos Aires mit 4,26 Metern Gold. Alles ist bereit für den nächsten Schritt, die nächste Höhe. Wildgrube gilt als Nachwuchshoffnung im deutschen Stabhochsprung.

Doch immer und immer wieder scheitert sie an den 4,30 Metern.

"So ganz kann ich mir das nicht erklären", sagt Wildgrube. "Das war wie eine unsichtbare Barriere." Und auch ihr Ritter weiß in dieser Zeit nicht so recht weiter. "Im Training hat sie regelmäßig ganz andere Höhen übersprungen." An Verletzungen hat es nicht gelegen, bis auf einen Muskelfaserriss im Oberschenkel kam die 19-Jährige gut durch die vergangenen Jahre. "Das war wohl eine Kopfsache", sagt Wildgrube. Nach ihren starken Leistungen in der Jugend sei der Druck gestiegen. "Alle haben erwartet, dass es immer so weitergeht, aber das ist nicht so." Eine Stagnation in der Leistung ist in dem Alter ganz normal. Dennoch wachsen bei der Nachwuchsathletin mit jedem misslungen Sprung die Selbstzweifel. Immer öfter läuft sie einfach durch, anstatt sich in die Höhe zu katapultieren.

Was also tun? "Nun", sagt Trainer Ritter, "viel haben wir nicht gemacht." Im Training immer mal höhere Höhen aufgelegt, 4,40 Meter, oder auch eine 4,50. "Dann hat sie gesehen, dass es klappt." Und wenn es dann im Wettkampf nicht gepasst hat? "Haben wir sie aufgezogen", sagt Ritter und lacht. "Leni ist tough, die hält das aus." Die Leistung komme dann ganz automatisch, sagt Ritter. Und außerdem: "Ein wenig Druck schadet nicht."

Sie kann Turnen und schnell Laufen - das hilft, um sich über die Stange zu schlängeln

Druck ist Wildgrube gewohnt, sie stammt aus einer Sportlerfamilie, hat fünf Geschwister. Seit sie acht Jahre alt ist geht sie zur Leichtathletik, springt und sprintet in dieser Zeit am liebsten. Nebenbei turnt sie. Zum Stabhochsprung kommt sie zufällig. "Ich bin einfach zu einer Sichtung gegangen und aufgefallen", erzählt sie. Ihr athletischer Laufstil und die turnerischen Fähigkeiten sind seien von großem Vorteil, um sich über die Stange zu schlängeln.

Bis Mai besuchte sie die Sportschule in Potsdam, vor einem Monat schrieb sie die letzte Abiturprüfung. Viele ihrer Klassenkameraden hörten jetzt auf mit dem Sport, das mache sie traurig. Aber klar: Aufwand und Ertrag gingen bei einer Randsportart weit auseinander. Wildgrube will jedenfalls weitermachen, sie habe nie daran gedacht, jetzt schon ihre kurze Karriere zu beenden.

Für die Zukunft hat sie konkrete Pläne. In Tallinn will sie im Falle einer Nominierung die 4,40 Meter bestätigen. "Wenn alles passt, ist auch eine Medaille drin", sagt Ritter. Ihr langfristiges Ziel sind die Olympischen Spiele 2024. "Ich glaube, es geht noch deutlich mehr bei mir", sagt sie. Wildgrube hofft, in der Sportfördergruppe der Bundeswehr aufgenommen zu werden, sie möchte gerne studieren. Was genau, weiß sie noch nicht. Zunächst habe sie noch eine Minihürde zu überwinden, erst am Freitag bekommt Wildgrube ihr Abiturzeugnis. Sie weiß, dass sie bestanden hat. Lernen falle ihr leicht, meint sie. Leichter auf jeden Fall als die 4,40 Meter.

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