Leichtathletik:Sein letzter Lauf

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„Ich habe gezeigt, dass man ohne Doping schnell sein kann“: Usain Bolt über sein Vermächtnis. (Foto: Frank Augstein/AP)

Superstar Usain Bolt verabschiedet sich mit einem Sturz von der großen Bühne. Muss man ihn als Helden rühmen? Glaubenssache. Über das Erbe des Boltismus in einer von Dopingskandalen belasteten Sportart.

Von Saskia Aleythe

Sport ist längst eine Sache des Glaubens. Insofern hat Usain Bolt alles richtig gemacht: Als er im Londoner Herbstwind zum letzten Mal nach 100 Metern die Ziellinie überquert hatte, kreischte das Publikum. Bolt drehte seine Runde durchs Olympiastadion, posierte hier für ein Selfie, gab dort ein Autogramm, Bob Marley dröhnte aus den Lautsprechern. So weit, so gewöhnlich, entscheidend ist Folgendes: Bolt hatte gar nicht gewonnen. Dritter war er geworden hinter den US-Amerikanern Justin Gatlin (vom Publikum ausgebuht) und Christian Coleman (vom Publikum ignoriert). Als Sieger gefeiert werden, obwohl man keiner ist: Das schafft nur ein Usain Bolt. Wie die 56 000 Menschen im Londoner Stadion reagierten, war Ausdruck einer Religion, die sich seit 2008 in der Leichtathletik ausgebreitet hatte: Die Rede ist vom Boltismus. 2008, Olympia-Stadion in Peking: Usain St. Leo Bolt aus Kingston, Jamaika, sprintet die 100 Meter, er trudelt noch vor der Ziellinie aus und trommelt sich mit den Fäusten auf die Brust. Weltrekord bei offenen Schnürsenkeln. 100 Chicken Nuggets will er während der Spiele verdrückt haben, so viel Gelassenheit bei gleichzeitiger Dominanz, das gefällt dem Sportfan. Ein Jahr später die WM in Berlin: Bolt läuft Weltrekord über 100 Meter (mit Höchsttempo 44,72 km/h!), Bolt läuft Weltrekord über 200 Meter. 9,58 und 19,19 Sekunden. Zeiten, die bis heute unerreicht sind. "Wir werden seine Persönlichkeit vermissen", ruft ihm Weltverbandspräsident Sebastian Coe schon vor seiner letzten WM in London zu, man kann davon ausgehen: Der Spaßbringer, der vom Schmutz der Leichtathletik ablenkte, wird dem Sport fehlen.

"Auch Muhammad Ali hat seinen letzten Kampf verloren", habe ihm jemand in London zugerufen, erzählte Bolt, als er seine letzte Pressekonferenz als Sprinter abhielt. Nicht nur, dass der 31-Jährige sein letztes Einzelfinale geschlagen beendete - in der Staffel fuhr ihm ein Krampf in die Beine. Der Mann, der so oft triumphierend die Tartanbahn geküsst hatte, lag mit dem Gesicht zum Boden. "Ich glaube nicht, dass eine einzige Weltmeisterschaft etwas daran ändert, was ich geleistet habe", sagte Bolt. Das steht nun in den Geschichtsbüchern: achtfacher Olympiasieger, elfmaliger Weltmeister , Weltrekordhalter in den Sprints und mit der Staffel. Dass er schon in London als erfolgreichster WM-Athlet der Leichtathletik von der US-Sprinterin Allyson Felix abgelöst wurde, spielt im Boltismus keine Rolle.

Bei einer anderen Statistik müssen seine Jünger ebenfalls glaubensstark sein: Von den zehn schnellsten Männern der Geschichte sind neun mit positiven Dopingproben oder anderen belastenden Indizien aufgefallen - alle außer Bolt. "Ich habe gezeigt, dass man ohne Doping gut sein kann", sagte Bolt, bevor er das Londoner Stadion verließ. Sein Vater hatte 2008 erklärt, woher die schnellen Beinchen des Sohnes kommen. "Yams", antwortete dieser, jamaikanisches Wurzelgemüse sei die Geheimwaffe. Na dann.

© SZ vom 27.11.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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