Springreiten:Ruhe im Stall

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In Turnierlaune: Die deutsche Meisterin Finja Bormann mit ihrem Pferd namens A crazy son of Lavina. (Foto: Stefan Lafrentz/imago)

Die Springreiter versuchen, das Beste aus der Krise zu machen - mit einer Meisterschaft in der Halle und mehr Muße für die Pferde.

Von Gabriele Pochhammer, München

"Im nächsten Jahr, das könnte was werden", sagte Philipp Weishaupt, nachdem er am Sonntag in Riesenbeck zum zweiten Mal nach 2009 deutscher Meister im Springreiten geworden war. Quasi vor der eigenen Haustür im Münsterland, denn Weishaupt ist einer der Chefbereiter im Team von Ludger Beerbaum. Auf dessen Anlage wurde diese ungewöhnliche Meisterschaft ausgetragen, in der Halle, ohne Zuschauer, ohne Sponsoren, ohne Presse, Schnelltests für jeden, belegte Brötchen - bitte im Lkw zu essen - statt kleiner Köstlichkeiten im Sponsorenzelt. Aber die Meisterschaft fand statt, und das war wichtig, auch für Bundestrainer Otto Becker.

Der Blick des Bundestrainers geht bereits ins Jahr 2021, das ja ein olympisches werden soll. Alle Strukturen, nach denen er normalerweise seine Reiter prüfen und auswählen kann, hat die Pandemie in den vergangenen Monaten zerschlagen. Der Turnierkalender ist für die Wintersaison von Absagen und Verschiebungen durchlöchert. Auch in Riesenbeck konnte Becker seine Olympiakandidaten noch nicht begutachten - Christian Ahlmann, Daniel Deußer und Marcus Ehning waren mit Pferden aus der zweiten Reihe gekommen, Weltmeisterin Simone Blum gar nicht. Ihre "Wunderstute" Alice hatte sich im vergangenen Sommer im Rücken verletzt, eine Art Hexenschuss, wie die Reiterin sagte, die selbst Anfang 2020 Mutter einer Tochter wurde. Familienplanung ist übrigens auch für Alice, das Pferd, vorgesehen; ihr wurden mehrere Embryonen entnommen, die anderen sportlich weniger begabten Stuten eingepflanzt wurden, damit Alice ihre Karriere fortsetzen kann. Die damit verbundenen Hormoncocktails verkraftet nicht jede Stute gleich gut, aber Bundestrainer Otto Becker gibt sich zuversichtlich, dass mit Alice auch 2021 zu rechnen ist.

Andere nutzen die Gunst der Stunde, wie Philipp Weishaupt. Seine Stute Asathir sprang mühelos und schnell über alle drei Kurse. "Sie ist wirklich ein außergewöhnliches Pferd, das weiß die Fachwelt," sagte er. Bisher musste er sie zwischendurch immer wieder ihrem saudi-arabischen Besitzer überlassen, der selbst sein Glück versuchen wollte, jetzt steht sie Weishaupt für die nächste Zeit sicher zur Verfügung. Und eine lange Verletzungspause ist auch überstanden. "Ich habe sie nicht erst seit Riesenbeck im Blick", versichert Becker. Das könnte also tatsächlich was werden im nächsten Jahr in Tokio.

Der Unterhalt der Pferde ist auch während der Pandemie teuer, doch es gibt kaum Preisgeld zu gewinnen

Bis dahin versuchen die Reiter, das Beste aus der Krise zu machen. "Jedes Schlechte hat auch sein Gutes", sagt Christian Ahlmann. Eigentlich ist alles wie immer, und doch ist alles anders. Die Pferde müssen weiter gefüttert, getränkt, ausgemistet und bewegt werden, ihr Unterhalt kostet dasselbe Geld wie immer, aber das Preisgeld tröpfelt nur dürftig. Auch deswegen waren die Reiter froh, dass in Riesenbeck immerhin 230 000 Euro zu gewinnen waren. Noch können die meisten die Durststrecke überbrücken. "Aber die Angst und Sorge, wie man durchkommt, auch beruflich, bleibt natürlich", sagt Ahlmann. "Ich bin von Beruf Turnierreiter und lebe von den Preisgeldern. Und die sind fast zu 100 Prozent weggebrochen im letzten Jahr."

Er und viele seiner Kollegen entdecken dafür eine neue Qualität: Zeit. Sonst jedes Wochenende ab mittwochs unterwegs zu Turnieren, bleibt jetzt auf einmal Muße, sich mit den jungen Pferden zu beschäftigen und den älteren eine Ruhepause zu gönnen. Die verlernen eh nichts, dürfen viel spazieren gehen im Wald oder sich auf der Weide tummeln. Ahlmanns Olympiahoffnung Dominator widmet sich vermehrt seinen züchterischen Aufgaben, der Samen des Rapphengstes ist hochgefragt, und seine Kinder eifern ihrem Vater schon auf kleinen Turnieren nach. "Die erfahrenen Pferde in Form zu halten, ist nicht schwierig", sagt Daniel Deußer, "aber der Wettkampf ist dann noch mal was anderes. Da muss man schneller reiten, und es gibt Situationen, die man zu Hause nicht üben kann." Ob Pferde das Prickeln der Turnieratmosphäre vermissen, ist nicht bekannt. Aber die neue deutsche Meisterin der Springreiterinnen, Finja Bormann, ist fest davon überzeugt. "Unsere Pferde wollen nicht an die Seite gestellt werden, die wollen arbeiten. Manche kriegen sonst regelrecht Depressionen", sagt die 24-Jährige.

Zeit bleibt jetzt nicht nur für die jungen Pferde, viele Reiter freuen sich, dass sie ihre Familien häufiger sehen als nur an zwei Tagen in der Woche. "Ich habe so viel mehr Zeit für meine fünfjährige Tochter, doppelt so viel wie sonst", sagt Daniel Deußer. Diese Freuden hat der Weltranglistenerste, der Schweizer Steve Guerdat, noch vor sich. Sein erstes Kind soll Ende März zur Welt kommen. "Das ist natürlich eine Riesenfreude, ein ganz neues Kapitel in unserem Leben." Im Geiste sieht er sich schon mit Kind und Pony in der Führzügelklasse. "Dann fangen wir noch mal ganz von vorne an", sagt er. Es klingt, als ob er sich darauf freut.

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