Sportschützen:Der Sturm nach Winnenden

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1,5 Millionen Schützen in 15.000 Vereinen sehen sich seit dem Amoklauf mit einer entgleisten Debatte konfrontiert. Und hoffen auf die Heim-WM 2010 als Chance.

Thomas Hahn

In die Rede des bayerischen Landessportleiters Gerhard Furnier schleicht sich manchmal so ein leiser Spott. Als wolle er sagen, dass es die Gesellschaft zeitweise doch etwas sehr genau nehme mit seinem Sport, dem Schießen. Diese Auflagen! Aber im Grunde ist er stolz darauf, dass sein Bayerischer Schützenbund (BSSB) die Vorgaben von außen akkurat umgesetzt hat bei der drei Millionen Euro teuren Erweiterung der Olympiaschießanlage in Garching/Hochbrück.

Hoffnung eines umstrittenen Sports: Christian Reitz, 22, Olympia-Dritter mit der Schnellfeuerpistole. (Foto: Foto: imago)

Den Lärmschutz mit einem 18 Meter hohen Wall für die neue Wurfscheibenanlage, das Bleischrotrecycling, die Forderungen der Umweltschützer beim Bau mit Rücksicht auf die Flugwege seltener Libellenarten und die Lebensplanung der Fröttmaninger Wechselkröte usw. Für Furnier ist dieser Aufwand in gewisser Weise auch Teil eines größer angelegten Prestigeprojekts. Nächstes Jahr findet in Garching die WM statt, da sollen die Leute erleben, dass Schützen keine rücksichtslosen Ballermänner sind. Dass bei ihnen eine Ordnung herrscht.

Die Schützen haben lebhafte Wochen hinter sich. Der Amoklauf von Winnenden am 11. März, bei dem der 17-Jährige Tim K. an seiner früheren Schule und auf der Flucht 15 Menschen erschoss, hat sie wieder einer gesellschaftlichen Debatte um den Sinn und das Risiko ihres Sports ausgesetzt. Tim K. beging die Bluttat mit der Beretta seines Vaters, dem Mitglied eines Schützenvereins, und war selbst einige Male bei Schießübungen dabei. Das hat gereicht für einen Sturm von Anfragen und Vorwürfen, den Birger Tiemann, Pressesprecher des Deutschen Schützenbundes (DSB), schon kurz nach der Katastrophe zu verwalten hatte und dessen Ausläufer auch diese Woche, beim Weltcup in Garching, noch zu spüren waren.

Tiemann ist keiner dieser lauten Sportmarketender, die alles abbügeln, was dem Image schadet, und er hat zuletzt erlebt, wie die Diskussion auf beiden Seiten entgleiste. "Schämen Sie sich, dass Sie ein Schütze sind?", fragte ihn ein Reporter. Gleichzeitig bekam er wilde Briefe zur Kenntnis, welche Schützen an Bundestagsabgeordnete schickten, auf dass bloß niemand die Waffengesetze verschärfe. "Es ist heftig", sagt Tiemann.

Rückgang beim Nachwuchs

In der Öffentlichkeit wiederum bemühen sich die Schützen um Sachlichkeit. Sie wollen die Tragödie nicht kleinreden, aber auch nicht verantworten, was sie nicht verantworten können. Und ihren Sport abschaffen, wie Extremkritiker es fordern, natürlich erst recht nicht, was allerdings ohnehin kaum ginge: 1,5 Millionen Mitglieder in 15.000 Vereinen gibt es beim DSB, der Verband selbst besteht seit 1861, der älteste Verein ist die "Karlsschützengilde vor 1198 Aachen".

Schützenvereine sind ein gewachsener Teil deutscher Heimatkultur, und wenn man bedenkt, dass dort auch die Lehre daheim ist, nie, nie, nie auf Menschen zu zielen, trägt dieser Umstand wohl eher mehr zum Bewusstsein für die Gefahr bei, die von einer Waffe ausgeht, als zu einer rettungslos schießwütigen Jugend.

Ein bisschen schimpfen die Schützen darüber, dass in den Medien Leute zu Wort kämen, die "vom Schießen null Dunst" hätten, wie der Trainer Hubert Bichler sagt. DSB-Sportdirektor Heiner Gabelmann berichtet von Talenten, die sich in der Schule nicht mehr zu ihrem Sport bekennen, weil sie Vorurteile von Lehrern und Mitschülern spüren. Seit dem Amoklauf des Schützenvereinsmitglieds Robert Steinhäuser in Erfurt 2002 mit 17 Toten stellt er einen Rückgang beim Nachwuchs fest und klagt: "Die Sportart wird kriminalisiert."

Vor allem aber sind die Schützen um ein differenzierteres Bild bemüht, das sie allerdings ausschmücken mit dem etwas hilflosen Vergleich, dass Baseballer oder Judoka mit ihren Fertigkeiten auch gefährlich werden könnten. Sie berichten von den Waffengesetzen, die ihnen vorschreiben, dass sie mit ihrer Waffe nur direkt von zu Hause zum Schießstand und zurück fahren dürfen oder kein Zweiter wissen darf, wo sich der Schlüssel zum Waffenschrank befindet. Die Auflagen tragen sie vor sich her wie den Schutz gegen die Vorurteile. BSSB-Sportdirektor Ralf Horneber zum Beispiel verweist auf die deutschen Standards für Schießanlagen: "Die sind so, dass kein Schuss die Anlage verlassen kann."

Bei der WM 2010 werden sie das wohl nochmal erzählen müssen, und das wollen sie auch, wenn man DSB-Geschäftsführer Jörg Brokamp richtig versteht, der sich von dem Ereignis "ein freundliches Bild des Schießsports" verspricht. Vor allem die Sportler tragen dabei eine Verantwortung. Etwa Christian Reitz, 22, Olympia-Dritter mit der Schnellfeuerpistole und in Garching Weltcup-Gewinner. Reitz ist ein aufgeweckter Mensch mit einem runden Bubengesicht. Fröhlich erzählt er, wie ihm seine Mutter einst das Vereinsschießen erlaubte: "Sie dachte: Alles besser, als auf der Straße rumzulungern." Er spricht von Konzentration und Disziplin, und ohne, dass er etwas dazu sagt, erweckt Christian Reitz den Eindruck, als wäre seine Pistole bei ihm in sicheren Händen.

© SZ vom 20.05.2009 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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