Sportpolitik:Vor der Tiefenreinigung

Lesezeit: 3 min

Schweres Erbe: IBU-Präsident Olle Dahlin. (Foto: Stefan Adelsberger/AFP)

Wie der neue IBU-Chef die Biathlon-Skandale aufarbeiten will: Der Schwede Olle Dahlin stellt sich und seine Ideen in Hochfilzen vor.

Von Saskia Aleythe

Die Pflaumen im Speckmantel kreisten auf Tabletts zwischen den Tischen; ein drei Meter großer Weihnachtsbaum; Lichterkette. Roter Filz war auf den Boden getackert als improvisierter Teppich im VIP-Zelt von Hochfilzen. Die Veranstalter des Rennes und Funktionäre des Weltverbandes (IBU) feierten sich selbst und den Sport am Freitagabend am Rande des Biathlon-Weltcups. Ein gewöhnlicher Abend in diesen Kreisen, aber eines war neu: Olle Dahlin, 64, gab seinen ersten Auftritt als neuer Präsident der IBU.

Auf Krücken humpelte der Schwede hinein, er hatte sich vor dem Saisonstart das Bein gebrochen und den ersten Weltcup in Pokljuka verpasst. Hinsetzen bitte, zuerst kam eine Band auf die Bühne und die sang nach einigen mehr oder weniger vieldeutigen Songs ("In the jungle") tatsächlich diesen einen von Tracy Chapman: "Talking about a revolution".

Es dauerte dann noch eine gegrillte Jakobsmuschel und eine gebratene Entenbrust lang, bis Dahlin endlich das Mikrofon halten durfte.

Eine Revolution, die darf es gerne werden bei der IBU, "wir müssen den Laden aufräumen", sagte der neue Präsident später noch. Wobei das ja eine Sache ist, die nicht mit ein paar Lichterketten und Schleifchen getan ist: Diese Aufräumarbeiten kommen der Entkernung eines Hauses gleich. Korruptionsvorwürfe und der Verdacht auf die Vertuschung von Dopingfällen haben Dahlins Vorgänger Anders Besseberg den Job gekostet, die Staatsanwaltschaft Wien ermittelt seit Ende 2017 gegen Besseberg, dessen Ex-Generalsekretärin Nicole Resch und acht weitere Personen. Beide bestreiten die Vorwürfe. Bei Besseberg kommen pikante Noten hinzu, er wird mit Vergünstigen wie teuren Jagd-Ausflügen in Verbindung gebracht, auch der Begriff "Prostituierte" findet sich in einem Ermittlungsdossier, das die Forensiker der Welt-Anti-Dogping-Agentur erstellt und an die Wiener Behörden geschickt haben. Und im Kontext fällt auf, dass ein ehemaliger, langjähriger IBU-Pressesprecher im Nebenjob einen Escort-Service betrieben hatte, was er nicht bestreitet; wohl aber, dass er dem Chef damit zu Diensten war.

Russlands Biathlon-Union darf bis 2022 keine Wettkämpfe ausrichten

Nachfolger Dahlin also tritt am Freitagabend fast verhalten vor die rund 400 Gäste, er ruft keine Appelle aus wie Besseberg, er war einst Manager in der Papierindustrie. Die Krücken hat er zur Seite gelegt, er steht auf dem eingegipsten rechten Fuß, die linke Hand hält die Rede und zittert ein wenig. "Wir haben die Reise in eine neue Ära begonnen", sagt Dahlin. Neue Ära, das ist bei Funktionären eine gern benutzte Floskel im Bausatz für öffentliche Reden, immerhin kann man dem Präsidenten dann aber bescheinigen: Kaum eine Minute dauert es, bis er selber auf die Vorgänge zu sprechen kommt, die in diesem Jahr so unrühmliches Licht auf den Verband geworfen haben. "Es gibt viel zu tun", erklärt er und benennt das öffentliche Misstrauen in die Anti-Doping-Arbeit der IBU, "wir müssen uns verbessern". Den "russischen Freunden" habe er gesagt, es gebe ein Problem zu lösen. Und auch das sagt Dahlin: "Wir müssen Vertrauen zurückgewinnen." Er spricht gebrochenes Englisch, das im Gemurmel der Gäste untergeht. Als er am Sonntagmorgen bei seiner ersten Pressekonferenz besser zu verstehen ist, wiederholt er das noch einmal, Vertrauen zurückgewinnen also, "nicht zuletzt bei den Athleten".

Dass er für neue Transparenz und einen harten Anti-Doping-Kampf stehen will, hatte Dahlin schon mit seiner Bewerbung als sein großes Plus verkauft. Seit 2014 war er als Vizepräsident mittendrin in der IBU, aber natürlich will Dahlin glaubhaft machen, dass er von all der Unordnung nichts mitbekommen hat, die ihn umgeben hat. Nach seiner Wahl hat sich auch schon einiges bewegt, worauf er gerne verweist: Der russischen Biathlon-Union (RBU) wurde ein Zwölfpunkteplan übergeben, der zu erfüllen ist, um wieder vollständiges Mitglied zu werden; bis mindestens 2022 darf die Nation keine Wettkämpfe ausrichten.

Vier russische Athleten wurden im November von der IBU verklagt wegen ehemaliger Dopingvergehen, neun Kasachen suspendiert. Dem Athletenkomitee wurde durch einen Sitz im Exekutivkomitee mehr Mitspracherecht versprochen, und auf zwei Sachen ist man besonders stolz: Dass der Verband nun mit der "International Testing Agency" kooperiert, einer Prüfkommission in Sachen Dopingvergehen. Diese soll als unabhängig gelten - sie wurde aber vom Internationalen Olympischen Komitee (IOC) initiiert und hat ihren Sitz wie jenes in Lausanne. Auch die Aufarbeitung der Vorwürfe gegen Besseberg und Resch soll weitergehen, die Angelegenheit wurde an eine externe Kommission übergeben.

Dahlin tut, was er muss: symbolisieren, dass sich was tut. Die erste Entrümplung ist erledigt, Hinweise auf Tiefenreinigung muss aber die Zeit bringen. "Time after time" von Cyndi Lauper singt die Band schließlich noch, nachdem Dahlin das Mikrofon wieder abgegeben hat. Ausgeschenkt wird ein 2017er-Riesling, Name "Prestige". Gedanken an die WM 2017, ebenfalls in Hochfilzen, kommen auf: Fünf russischen Athleten werden Dopingvergehen vorgeworfen, gegen sie laufen Ermittlungen in Österreich, drei von ihnen waren auch jetzt wieder im Weltcup dabei. Es stimmt ja, was Lauper auch singt: Confusion is nothing new.

© SZ vom 17.12.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: