Sportlerin des Jahres:Braves Mädchen war früher

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Angelique Kerber stieg mit zwei Grand-Slam-Titeln zur Nummer eins der Tennis-Weltrangliste auf.

Von Gerald Kleffmann

In dem Spielfilm "Big" steht ein Junge vor einem Jahrmarktautomaten mit dem Namen "Zoltar Speaks" und wünscht sich, groß zu sein. Er ist es natürlich am nächsten Morgen, und dann passieren viele wundersame Wendungen, ehe das Happy End erfolgt. So darf man sich das Jahr der Angelique Kerber, 28, vorstellen. Sie hat, Ende 2015, flehentlich gehofft: Ich will richtig erfolgreich sein. Und nicht mehr das brave Mädchen. Angie Speaks, so trat sie auf. Das war mutig. Vier Jahre war die Kielerin ja schon Mitglied im Klub der zehn besten Tennisspielerinnen. Doch irgendwie flog sie stets unter dem Radar. Eine Mitläuferin auf höchstem Niveau. "Das soll nicht klappen mit mir, oder?", textete sie einmal als SMS an Bundestrainerin Barbara Rittner. Dieser Satz verdient die Auszeichnung als gelungenste Fehleinschätzung für 2016.

Zurzeit bereitet sich Kerber auf 2017 vor, in ihrer zweiten Heimat Puszczykowo in Polen, wo sie nun wohnt. Sie versucht, alles im Fluss zu lassen, sie will ihre Routinen nicht ändern. Sie haben ja funktioniert. Die Bilanz von zwölf Monaten: ihre ersten Grand-Slam-Triumphe, bei den Australian Open und US Open, Wimbledon- und Olympia-Finalistin, Nummer eins der Weltrangliste, ein Preisgeld von mehr als zehn Millionen Dollar - so viel hatte sie seit 2003 insgesamt erwirtschaftet. Angela Merkel gratulierte ihr, mit Barack Obama plauderte sie. Der Tennis-Weltverband ehrte sie als Beste. Am Armgelenk trägt sie nun eine teure Uhr eines Sponsors. In manchen Hochglanzmagazinen lächelt sie aufwendig frisiert die Leser an. Natürlich musste ein neuer Manager her, ihr Leben hat jetzt eine andere Dimension. Kerber ist eine nationale Angelegenheit geworden, sie kommt jetzt in der Tagesschau. Ihre größte Leistung nebenbei: Mit ihr kamen schöne Erinnerungen an die Zeiten mit Becker, Stich & Graf zurück.

Januar, Melbourne: Angelique Kerber glückt bei den Australian Open der erste Grand-Slam-Triumph. (Foto: Daniel Pockett/Getty)

Nur Thorsten Legat kennt die beste Deutsche seit Steffi Graf, die erste Deutsche an der Tennisspitze seit 20 Jahren noch nicht. Aber das ist eine andere Geschichte, die nicht das erstaunliche Jahr der Tennisspielerin Angelique Kerber widerspiegelt.

© SZ vom 19.12.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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