Sportjournalismus:Wer zahlt, schafft an

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Eine Chronik der Skandale zeigt, dass sich die Grenze zwischen Bericht und Kommerz auflöst.

Hans Leyendecker

Wenn früher die Staatsmacht, zumeist im Morgengrauen, einen Journalisten heimsuchte, geriet regelmäßig die Pressefreiheit in Gefahr: Ein Staatsanwalt samt Gefolge stand in der Tür und präsentierte einen Durchsuchungsbeschluss, um an vertrauliche Unterlagen des Journalisten zu gelangen.

Wenn Kicker auf Schreiber treffen: Ein Problem von Distanz und Nähe (Foto: Foto: ddp)

Wenn in diesen Tagen frühmorgens ein Strafverfolger bei einem Medien-Vertreter klingelt, hat er nicht selten einen Haftbefehl dabei. Der Journalist ist nicht der Held, sondern der Schurke im Stück - und muss in die Untersuchungshaft einrücken.

Wer ist nach den ehemaligen Sportchefs Jürgen Emig (Hessischer Rundfunk) und Wilfried Mohren (Mitteldeutscher Rundfunk) der Nächste? Warum trifft es überhaupt so oft Sportjournalisten? Am Freitag beginnt die neue Saison in der Fußball-Bundesliga, und zumindest ein Teil der Branche steht unter Generalverdacht. Sind Sportjournalisten anders? Sind sie gedankenloser oder korrupter als die Kollegen?

Wer Parasit ist, bleibt unklar

Einerseits: In keinem anderen Journalismusbereich sind die Unterschiede zwischen den Sparten - Fernsehen, Radio, Boulevard, lokale, regionale, überregionale Zeitungen, Fachzeitschriften - so groß wie im Sportjournalismus. Andererseits: In keinem anderen Journalismusbereich haben sich so symbiotische Verhältnisse zwischen Akteuren und Beobachtern entwickelt. Man kennt sich, man duzt sich, und in aller Regel schützt man sich auch. In dieser Journalistensparte gibt es "Fairplay-Preise": Wer wessen Parasit ist, bleibt oft unklar.

Professionelle Beobachter der Szene machen eine Richtung aus, die ins Seichte, ins Flockige führt. "Der Trend zur Unterhaltung ist im Sport mittlerweile noch stärker als in anderen Bereichen des Journalismus ausgeprägt", sagt der Kommunikationswissenschaftler Siegfried Weischenberg, Geschäftsführender Direktor des Instituts für Journalistik und Kommunikationswissenschaft in Hamburg. Das sei auch deshalb von Bedeutung, weil Sportjournalismus "der Seismograph des Journalismus ist".

4500 bis 5000 Sportjournalisten gibt es nach Schätzungen von Ute Maag, der Geschäftsführerin des Verbandes Deutscher Sportjournalisten (VDS), in der Bundesrepublik. "Unter den Kollegen arbeiten Duzmaschinen, Promoter, Lokalpatrioten, Schwärmer, Verniedlicher, Schönfärber - und die, die ihren Job ernst nehmen", stellte Jens Weinreich, Sportchef der Berliner Zeitung, in einem Aufsatz für das Fachblatt Message fest.

"Spielzeug-Abteilung für Männer"

"Viele Sportjournalisten klammern sich verzweifelt an den Glauben, Sport sei eine Art Elysium, in dem Erwachsene wie Kinder spielen", schrieb der BBC-Reporter Declan Hill. Toy Department for Men - Eine empirische Studie zum internationalen Sportjournalismus ist der Titel einer Dissertation von Sybille Frütel, die in diesem Jahr in einem kleinen Pulheimer Verlag erschien. "Spielzeug-Abteilung für Männer" ist kein schlechter Titel für eine Doktorarbeit: Insbesondere auf den Pressetribünen in den Fußball-Stadien sitzen eine Menge Jubler, die es, anders als die anderen Fans, über die Absperrung geschafft haben - so berichten sie denn auch.

Es geht ihnen buchstäblich um Sieg oder Niederlage, Triumph oder Desaster. Der Verein ist ihre Welt. Wer kritisch fragt, kann rasch zum Außenseiter werden. Wer kritisch schreibt, gilt manchem als Nestbeschmutzer. Denn angeblich sitzen doch alle in einem Boot. Wer den Kurs vorgibt, ist egal. Bei Spielen der Fußball-Nationalmannschaft kann es passieren, dass ältere Kollegen die Jüngeren bei der Hymne auffordern, aufzustehen. Heile Fußballwelt.

Der Sportsektor ist aber auch längst zur Werbemaschinerie für die Sport-Unterhaltungsindustrie geworden. Dass einer wie Franz Beckenbauer, die Fleischwerdung des totalen Sponsorings, als Kolumnist zum Griffel greifen darf, ist Zustandsbeschreibung. Dass mancherorts Sportjournalisten die Vergabe von Eintrittskarten für Bundesligaspiele an Kollegen übernommen haben, zeigt die Provinzialität.

Die Sportberichterstattung weitet sich immer mehr aus, und die journalistischen Grenzverletzungen nehmen zu. Der Einzug des Kommerz-Fernsehens hat den Sportjournalismus gewaltig verändert und oft - wie Boxen, Fußball oder Motorsport zur Ware gemacht.

Vielen Sportjournalisten bei kleineren Blättern fehlt es weniger an Fach-, sondern mehr an Medienkompetenz. Sie sind oft Quereinsteiger, kommen meist aus dem Sport und verstehen wenig von Wirtschaft, Gesellschaft, Politik und Recht.

Gute Geschichtenerzähler, hervorragende Schreiber

Bei großen Blättern gibt es mittlerweile ein paar Fachleute für Themen wie Doping, Sportrechte, Sportkriminalität oder IOC, was früher dasselbe war. Daneben beschäftigen sie gute Geschichtenerzähler und hervorragende Schreiber; die platte Ergebnisberichterstattung ist wegen der elektronischen Medien perdu.

Im Geschäft zählt zuerst das Fernsehen - erst dann kommt die Presse. Sender kaufen die Rechte an Sportereignissen, über die sie dann - meist in Form von Inszenierungen - berichten. Sie jazzen die Veranstaltungen hoch, über die ihre Sportjournalisten dann berichten. Man redet das eigene Produkt nicht kaputt.

Fast eine Selbstverständlichkeit ist es, dass Protagonisten wie Wolf-Dieter Poschmann (ZDF) schon mal als Stadionsprecher aktiv waren. ARD-Sportchef Hagen Boßdorf schrieb mit an der Biografie des Telekom-Radstars Jan Ullrich und moderierte in der VIP-Lounge des Münchner Olympia-Stadions vor Gästen des Telekom-Konzerns, bis die Konstellation öffentlich und untragbar wurde.

Randsportarten werden im modernen Sportfernsehen übertragen, wenn die Veranstalter den Sendern Geld zahlen. "Bereitstellung" heißt das im Fachjargon. "Stellen Sie sich das mal im Nachrichtenbereich vor", sagt Experte Weischenberg: "Sie haben drei Nachrichten, die Sie senden können - und der am meisten zahlt, dessen Nachricht kommt schließlich über den Schirm." Da würde in anderen Bereichen "doch jeder sagen, dass das hochgradig verlogen ist".

"Immer dabei sein - nie dazugehören"

Die Fälle Emig und Mohren sind womöglich nicht phänotypisch - aber es gibt höchst ungewöhnliche Usancen im Sportbetrieb. Eher durch Zufall kam raus, dass das Gehalt des NDR-Sport-Hauptabteilungsleiters Gerhard Delling hauptsächlich von der ARD-Werbetochter Sales & Services bezahlt wird. Delling ist ein kompetenter Journalist, und er nimmt nur, was die Hierarchen ihm bieten, damit er nicht zu den Privaten wechselt. Aber wäre es vorstellbar, dass sich einer der vielen ARD-Chefredakteure von einer Werbefirma bezahlen ließe?

"Immer dabei sein - nie dazugehören", dieser Satz von Hanns-Joachim Friedrichs ist die Binse auf Medienkongressen. Nicht so im Sport: "Wenn Sie heute nicht dazugehören, sind Sie auch nicht mehr dabei", sagt Sportreporter Waldemar Hartmann, der Abadei der ARD.

"Wer zahlt, schafft an", sagt Erich Laaser, Präsident des Sportjournalisten-Vervands VDS. Oft fehle es an der erforderlichen kritischen Distanz - "kritische Objektivität wird immer mehr zum Fremdwort". Laaser arbeitet für Sat1 und Premiere, von ihm stammen Klassiker wie: "Dortmund hat zwar einen Hitzfeld, aber keine Rasenheizung." Im Wettskandal schrieb er einen Aufruf an die Kollegen: "Der VDS bittet alle Sportjournalisten, wachsam und aufmerksam zu sein; aber er rät auch zur Vorsicht und warnt vor pauschalen Vorverurteilungen."

Lieber Knutschflecken als blaue Flecken

Übersetzt heißt das: Holt euch keine blauen Flecken, lieber Knutschflecken, aber nicht an einer auffälligen Stelle. "Es gibt im Sport viel emotionalere Bindungen als in anderen Bereichen des Journalismus", erklärt Harald Stenger, Pressesprecher des DFB.

Auf Pressekonferenzen der Fußball-Nationalelf werden von Berichterstattern Fragen gestellt, die Selbstentlarvungen sind. Es wird hemmungslos geduzt. Die Fragesteller bemühen sich meist um Servilität, die früher Kellner ausmachte. "Wenn die Frage positiv und konstruktiv ist", so Stenger, "schafft der Fragesteller eine Atmosphäre, in der etwa Jürgen Klinsmann ausführlicher als sonst antwortet."

Alle Bereiche des Journalismus haben mit Nähe und Distanz Probleme, aber am stärksten scheinen sie im Sport zu sein. Andererseits gibt es Hinweise, dass die Nähe oft nur vorgetäuscht ist. Im Fußball und Motorsport haben mittlerweile Berater das Sagen - und sie schirmen ihre Mandanten ab. Sogar Bild tut sich schwer, an Exklusives zu gelangen.

Das Boulevardblatt hat zwar weiter alle Telefonnummern der Spieler, ja selbst die der Spielerfrauen, doch die Leitung ist mittlerweile oft gestört. Nur beim Transfer-Poker kommt keiner an Bild vorbei. Fußball-Coach Klinsmann jongliert: Er will es nicht ganz verderben, signalisiert aber, dass er seriöse Objekte schätzt.

Auch im Sport-Journalismus bleibt nichts, wie es ist. Mittlerweile tummeln sich hier sogar kritische Rechercheure. Weinreich von der Berliner Zeitung erhielt in diesem Jahr den Wächter-Preis für seine Berichte über Leipzig und Olympia, und der SZ-Sportjournalist Freddie Röckenhaus bekam gemeinsam mit dem Kicker-Kollegen Thomas Hennecke den Henri-Nannen-Preis für Storys über den Finanzskandal von Borussia Dortmund.

Sie waren immer dabei, mittendrin, und gehörten doch nie dazu.

© SZ vom 5.8.2005 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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