Sportförderung:Die Besten taugen selten zum Vorbild

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Der beste Sprinter, aber schon zweimal wegen Dopings gesperrt: Der US-Amerikaner Justin Gatlin. (Foto: AFP)

Ganz oben wird im Sport oft getrickst, geschluckt und betrogen. Deshalb ist es wichtig, in Deutschland Athleten zu fördern, die nicht um jeden Preis für den Erfolg leben.

Kommentar von Johannes Knuth

Von den Gescheiterten lernt man ja oft mehr als von den Siegern, und deshalb war es interessant, was der deutsche Hürdenläufer Matthias Bühler jetzt bei den Leichtathletik-Weltmeisterschaften zu sagen hatte. Bühler forderte, nachdem er im Halbfinale in London gestrandet war, dass olympische Athleten jenseits der Medaillenränge besser gefördert gehören, vom Staat. Er erntete Verständnis, aber auch die Aufmerksamkeit jener, die etwa im digitalen Debattenplenum der SZ von einer, nun ja, leicht abweichenden Haltung beseelt wurden. Zum Beispiel der hier: "Leistungssport ist Unterhaltung. Der Staat sollte Steuergelder lieber auf vernünftige Dinge nutzen: wie Forschung, Bildung."

Oder hier: "Die Welt wird dadurch, ob Matthias Bühler eine Zehntel schneller ist, kein besserer Ort. Wenn er nicht genug Aufmerksamkeit und Sponsoren generieren kann, muss er eben arbeiten."

Oder, einfühlsam: "Diese Heulsusen."

Oder, aufgeschlossen: "Hürdenläufe interessieren doch echt niemanden."

Abgesehen davon, dass Hürdenläufe durchaus ein paar Heulsusen interessieren und noch einige tausend Zuschauer mehr, kann man sich tatsächlich fragen, warum der Staat noch mehr Bundesolympioniken anstellen sollte, zu Land, Wasser und Schnee. Was bringt es der Nation, wenn ein Hürdenläufer eine Zehntel schneller rennt, in ein WM-Finale vordringt? Nun, er könnte später erzählen, wie er den Weg in den Erfolg fand, trotz Widerständen und Rückschlägen, dass in seinem Verein wieder Kinder trainieren, weil sie Spaß an der Bewegung haben, anstatt in ihre Schlautelefone zu starren.

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Kaum ein Sport schult motorische Fertigkeiten so umfassend wie die Leichtathletik, kaum ein Sport fasziniert so sehr. Weil er so klar ist: Der Mensch allein ist das Maß, er springt, läuft, wirft, hebt sich aus dem Gewöhnlichen. Wenn die Leichtathletik ihre Vielfalt mit ihrer gesellschaftspolitischen Kraft paart, sind sie und ihre Sportler ein Kulturgut, förderungswürdig wie ein staatliches Orchester. Auch wenn diese Vielfalt im eventgetrimmten Mediensport immer seltener verfängt. Was wiederum dazu führt, dass sich immer weniger Menschen bewegen.

Ganz oben wird oft verschoben und betrogen

Es muss also keine schlechte Idee sein, wenn ein Staat sich ein paar Bundesleichtathleten hält. Aber wie? Bis zuletzt wurden sie weniger gefördert, sondern belohnt, sobald sie gut waren. Immerhin waren Medaillen nicht die einzig akzeptierte Währung. Doch das ändert sich gerade. Wer künftig in der ersten Förderklasse einchecken will, muss Plaketten sammeln. Damit sendet der Förderer nicht zuletzt die Botschaft: Wir schätzen die, die es nach ganz oben schaffen. Ganz oben? Ganz oben wird oft verschoben und betrogen, man muss nur die Meldungen der vergangenen Wochen studieren. Ganz oben wird getrickst, geschluckt, gespritzt, gedeckt von den Autoritäten. Der Leichtathletik-Weltverband beschäftigt in London laut einem ARD-Bericht wieder den Anti-Doping-Experten Giuseppe Fischetto; der Italiener ist tief in einen Sportkrimi um den Geher Alex Schwazer verstrickt (SZ vom 3.8.). Ganz oben thronen nicht selten diejenigen, die sich zu vielem eignen. Nur nicht zum Vorbild.

Auch deshalb war Bühlers Kritik wichtig, trotz mancher Unschärfe. Sie erinnerte daran, warum es wichtig ist zu fördern. Und zwar alle, die den Erfolg leben, aber eben nicht um jeden Preis. Sprinter, Marathonläufer, Mittelstreckler wie Hanna Klein, 24, die ins Finale über 1500 Meter vorstieß, oder Alina Reh, 20, die bei ihrem Vorlauf-Aus über 5000 Meter eine neue Bestzeit schaffte. Medaillen bei WM und Olympia werden sie in ihrem Gewerbe wohl nicht erstehen. Aber damit taugen sie womöglich eher zum Vorbild als viele Siegerinnen, hinter deren Erfolgen längst andere Wahrheiten hervorkamen.

© SZ vom 12.08.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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