Sport & Politik:Betten unter Sprossenwänden

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Wo Sportler trainieren sollen, leben jetzt Flüchtlinge. Über ein Zugeständnis, das keinem gefällt.

Von Thomas Hahn

Bremen, Stadtteil Walle, gegenüber den Schrebergärten. Dort, wo der Hohweg einen Knick macht, steht vor einem Wäldchen ein Schild. Darauf ist das Wappen des TV Bremen-Walle 1875 zu sehen, das Emblem des Waller Sportcafés und der Schriftzug: "Hohweg Sporthalle u. Sportplatz." Aber wenn man dem Hohweg folgt und auf das Gelände biegt, auf welchem der TV Walle sein "Zentrum für Sport und Freizeit" betreibt, ist da keine Sporthalle mehr. Die Fenster im Café, die sonst ins Innere der Dreifachturnhalle zeigten, sind zugemauert. Am Eingang des schmucklosen Baus stehen Dixie-Klos und ein Container des Deutschen Roten Kreuzes. Den Eingang zur Halle bewachen Sicherheitsleute, die keine Auskünfte geben dürfen. Und wenn man einen Blick hinter die schmale Tür wirft, sieht man Holzverschläge und Menschen mit matten Augen. Das große Gebäude, in dem mal das Leben des TV Walle pulsierte, hat sich in eine Festung verwandelt, in der sich die Hoffnungen von fast 250 Flüchtlingen stauen.

Seit Monaten dienen Sporthallen in Deutschland als Unterkünfte für Menschen, die vor Krieg und Unterdrückung geflohen sind. Es ist eines dieser Zugeständnisse an die humanitäre Mission der Bundesregierung, das keinem gefällt, das aber mancherorts die vorerst einzige Lösung ist, um den vielen Flüchtlingen ein Dach über den Kopf zu geben. Wer unter der Situation am meisten leidet, dürfte klar sein. Auf engstem Raum in eine ungewisse Zukunft hineinleben zu müssen, nachdem man seine Heimat zurücklassen musste, ist nicht lustig. Betreuern und Sicherheitsleuten könnte es auch besser gehen, weil sie immer wieder den Schwierigkeiten ausgesetzt sind, die in der Enge und im babylonischen Sprachgewirr aufkommen. So gesehen ist es ein Luxusproblem, dass auch der Sport die Flüchtlingskrise spürt. Oder?

Turnhallen sind so etwas wie die Maschinenräume der Bewegungskultur, Spielplätze, Fitnessstudios, Lehranstalten, Talentschuppen, Gesundheitsforen, Biotope für die größte deutsche Bürgerbewegung mit über 90 000 Vereinen. Turnhallen sind oft unscheinbare Gebäude, aber gerade für Kinder aus schwierigen sozialen Verhältnissen können sie Paläste der Freude und Inspiration sein. Vor allem in der kalten Jahreszeit sind Vereine und Schulen auf Turnhallen angewiesen, um ihrem gesellschaftlichen Auftrag gerecht zu werden. Hallenzeiten sind begehrt und kostbar. Und die Ausstattung des Landes mit neuen oder zumindest sanierten Sportstätten ist ein ewiger Anspruch verantwortungsvoller Gesellschaftspolitik.

Insofern ist es keine Bagatelle, wenn Turnhallen nicht mehr als solche zur Verfügung stehen. Erst recht in Zeiten der Flüchtlingskrise. Alfons Hörmann, Präsident des Deutschen Olympische Sportbundes (DOSB), hat längst darauf hingewiesen, wie widersprüchlich eine Flüchtlingspolitik ist, die Turnhallen kassiert. Denn in Turnhallen kann Integration stattfinden. Hörmann sagt: "Der Sport ist besonders gut geeignet, Brücken zu bauen."

3900 Vereine waren 2015 laut DOSB davon betroffen, dass Hallen Flüchtlingsunterkünfte wurden. Wie viele Trainingseinheiten, Kurse und Schulsportstunden deshalb genau ausgefallen sind, darüber gibt es keine Erkenntnisse. Manche Hallen waren nur in den Ferien besetzt, andere wurden so kurzfristig umfunktioniert, dass es böse Überraschungen gab. Und der DOSB weiß, "dass an einzelnen Standorten auch universitäre Sporthallen für den Sportbetrieb geschlossen werden. Davon sind Hochschulsport und die sportwissenschaftliche Ausbildung betroffen."

Der TV Walle hat seine Beiträge ausgesetzt. Trotzdem schwinden die Mitglieder

Den Sport im Stadtstaat Bremen hat es am schlimmsten erwischt (siehe Info-Kasten). Diesen Umstand kann auch die zuständige Sozialbehörde der grünen Senatorin Anja Stahmann nicht leugnen. 30 Dreifachhallen gibt es im kleinsten deutschen Bundesland. "In der Spitze waren 20 für den Sport gesperrt", schreibt Sprecher Bernd Schneider auf Anfrage via Email. Seit September bringt Bremen Flüchtlinge in Turnhallen unter. Es ging nicht anders. Der Flüchtlingsstrom war zu groß für die 550 000-Einwohner-Stadt. "Es mussten innerhalb von Tagen Kapazitäten zur Aufnahme von täglich rund 150 Menschen geschaffen werden, an Wochenenden zeitweise für 300 und mehr." Nach dem Vorbild Hamburgs verabschiedete Bremens rot-grüne Regierung im Oktober ein Gesetz, wonach das Land leer stehende Gewerbegebäude gegen Miete für Flüchtlinge beschlagnahmen darf. Aber das änderte nichts an der Platznot. Der Sport musste herhalten. Und zwar plötzlich.

"Wir haben das damals am Morgen in der Zeitung gelesen", sagt Ulla Becker, die Sportleiterin des TV Walle 1875. Es begann ein kleiner Telefonier-Marathon, bis am Abend doch ein Vertreter der Sozialbehörde erschien. Eine Woche dauerte es dann noch, bis die Sportstätte in eine Massenunterkunft umgebaut war und die Flüchtlinge kamen. Für Ulla Becker und den TV Walle begann damit der nächste Marathon: die Suche nach Ersatzsportstätten, auf die sich zeitgleich auch andere Bremer Vereine machen mussten. "Die Zeit der Umstellung war extrem", sagt Becker.

Maschinenräume der Bewegungskultur - ohne Platz zum Bewegen: 3900 Vereine waren 2015 davon betroffen, dass Hallen Flüchtlingsunterkünfte wurden. (Foto: Peter Kneffel/dpa)

Aber es hilft nichts, die Flüchtlinge sind nun mal in Not. Ulla Becker steht zu den Hilfsaktionen, genauso wie Andreas Vroom, Präsident des Landessportbundes Bremen (LSB). Auch er fühlte sich anfangs von der Politik übergangen, mittlerweile gibt es wöchentliche Zustandsberichte aus der Sozialbehörde, und der LSB versucht, die Krise sachlich mitzuverwalten. Wenn auch mit Bedenken. "Wir befürchten, dass wir Mitglieder verlieren", sagt Vroom.

Schon geschehen - davon kann Ulla Becker berichten. Trotz aller Anstrengungen hat der TV Walle nicht alle Angebote seiner Abteilungen retten können. Der Verein hat Beiträge ausgesetzt und mit den Betroffenen seiner rund 2000 Mitglieder diskutiert. Trotzdem sind Leute abgesprungen. Die ganze Zukunft liegt für Ulla Becker gerade im Nebel. Die Sozialbehörde sagt, 6300 neue Wohnplätze seien für das kommende erste Halbjahr geplant; zwei Hallen sind zuletzt wieder frei geworden. Aber die Behörde sagt auch: "Alle Planungen zum Freiziehen der Hallen hängen davon ab, wie viele Flüchtlinge nach Bremen kommen werden."

Ulla Becker hat nicht den Eindruck, als stünde der Auszug der Flüchtlinge unmittelbar bevor. Und wenn sie weg sind, muss die Halle erst mal saniert werden. Immerhin: Sie findet, dass die Krise das Zusammengehörigkeitsgefühl unter den Herzens-TVlern gestärkt hat. Die Hilfsbereitschaft ist groß. Und natürlich macht der Verein auch ein Angebot für die Flüchtlinge, die seit Monaten in seiner Halle leben. Jeden Freitag spielen sie beim TV Walle Fußball.

© SZ vom 30.01.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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