Spiel gegen Südafrika:Die These vom kleinen Krach

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Als Werder Bremen neulich den Vorverkauf für das Europapokal-Spiel gegen den FC Barcelona eröffnete, rückten die Anhänger tags zuvor mit Zelten und Schlafsäcken an, um sich einen vorderen Platz in der Schlange zu sichern.

Philipp Selldorf

Solcher Mühe musste sich niemand unterziehen, der eine Karte für das Testspiel am Mittwoch der Nationalmannschaft gegen Südafrika erwerben wollte. 23.500 Besucher plus Kurzentschlossene sowie ein aktueller und ein ehemaliger Bundespräsident (Horst Köhler, Richard von Weizsäcker) werden laut der letzten Zählung Einlass finden; Bremen, so heißt es, sei für die Nationalelf "immer schon ein ungünstiges Pflaster gewesen", was womöglich einer der Gründe ist, warum die Stadt bei der WM zuschauen muss.

Vielleicht sollten sich die Bremer fragen, ob sie nicht doch etwas verpassen. Weniger vom Gegner aus Afrika, dessen trübe seelische Verfassung nach dem Verpassen der WM-Qualifikation keine gewaltigen Taten erwarten lässt und über den folgerichtig in der gestrigen Pressekonferenz der Deutschen kein Satz - sogar: keine Silbe - verloren wurde; als vielmehr vom Team des DFB, das in diesen Tagen ein interessantes Bild aufgewühlter Selbstbeschäftigung bietet.

Zur Abschlussbetrachtung vor den Journalisten erschien entgegen den üblichen Gepflogenheiten anstelle des Bundestrainers Jürgen Klinsmann dessen Assistent Joachim Löw, was die zuständige DFB-Stelle zwar als "Ausdruck der Arbeitsteilung" erklärte, empfindsame Beobachter aber als Zeichen der Verstimmung deuteten. Klinsmann bestätigte die These vom kleinen Krach, als er in Fernsehinterviews ebenfalls Empfindsamkeit unter Beweis stellte.

Die nächste Kehrtwende?

Die Bewertungen der 0:2-Niederlage in der Slowakei interpretierte er als bösartigen Akt und verwies darauf, dass die Mannschaft schon vor dem Konföderationen-Pokal "zu Unrecht kritisiert" worden sei: "Dann" - im Laufe des Turniers - "mussten diese Leute erkennen, dass die Fans das nicht mehr sehen und hören wollen und mussten umschwenken." Nun die nächste Kehrtwende? "Wir lassen uns nicht nervös machen und vom eingeschlagenen Kurs abbringen", sagt Jürgen Klinsmann, was zornig klingt.

Solche atmosphärischen Schwingungen lassen sich allerdings auch gelassener interpretieren, wie es Michael Ballack gelingt. Der Kapitän der Nationalelf, abgehärtet durch weit wildere Empörungsepisoden unter den Trainern Vogts, Ribbeck und Völler, findet es "normal, dass es in dieser Phase Gegenwind gibt, der ein bisschen heftiger ist - weil es bisher ja noch keinen gab". Unter dieser Voraussetzung fühlt sich ein Lüftchen wie ein Sturm an. Auch andere Spieler, Fabian Ernst zum Beispiel, erzählten amüsiert, dass ihre Erwartungen an die Schmähungen nach dem Slowakei-Spiel voll erfüllt wurden. Als "Tiefseetaucher" fand sich Ernst angemessen karikiert.

Gleichwohl will sich die Mannschaft weitere Betriebsstörungen ersparen. "Wir möchten dem Publikum wieder etwas bieten", sagt Per Mertesacker, dessen jüngstes, immerhin schon 14. Länderspiel zweifellos das am wenigsten geglückte war. Mertesacker, der in knapp vier Wochen 21 Jahre alt wird, ist immer noch ein verdammt junger Spieler, aber im Vergleich mit seinen heutigen Nebenleuten, den 19-jährigen Lukas Sinkiewicz und Marcell Jansen, ist er ein Routinier.

Strategie des Hurra-Stil

Der Einsatz der beiden Junioren ist versprochen. Sie sollen neue Möglichkeiten in den Notstandsgebieten Innenverteidigung und linke Außenbahn erschließen, was für die bisherigen Kandidaten Christian Wörns und vor allem Thomas Hitzlsperger nichts Gutes bedeutet. Löw erläuterte, dass in der Sicherung des eigenen Tores Nachhilfe vonnöten sei, "jetzt sprechen wir vermehrt von Defensivarbeit". Die Strategiereform, die den zögerlichen Deutschen den Hurra-Stil beibringen sollte, wird unter dem Eindruck der seit Monaten grassierenden Abwehrschwächen ein wenig zurückreformiert, "es ist normal, dass dann auch die Offensivkraft ein bisschen schwächer wird", sagt Löw, ohne jedoch geschlossenen Rückzug anordnen zu wollen.

Das neue deutsche Modell soll sich irgendwo zwischen Real Madrid ("haben hinten immer Probleme") und Juventus Turin ("defensiv stark, offensiv nicht vorhanden") einpendeln. Zwecks besserer Abstimmung wünscht sich Löw außerdem mehr Kommunikation; "Discolautstärke" fordert er unter den Beteiligten im Abwehrverbund.

Da fällt einem natürlich sofort Oliver Kahn ein, der jedoch zur Zeit die Stille der bayrischen Golfplätze genießen soll, damit er seinen Widersacher Jens Lehmann bei der Torwartarbeit nicht aus der Ruhe bringt. Ballack bedauert das: "Wir haben ein Spiel verloren, und es gibt Kritik. Da wäre es sicherlich optimal, wenn er da wäre." Nicht dass Ballack Sehnsucht hätte, aber er glaubt, dass die jungen Spieler in schwerer Zeit an Kahn Orientierung fänden. Ob Klinsmann diese Anregung seines Kapitäns zu schätzen weiß? Falls wider Erwarten ja: Es ist noch genügend Platz für Kahn im Weserstadion.

(SZ vom 7.9.2005)

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