Spanien:"Die Deutschen sind die Deutschen!"

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Die vermutlich schlechteste Turniernation der Welt zieht nach 24 Jahren wieder ins Finale eines großen Fußballturniers ein. Dort wartet ausgerechnet die wohl beste Turniernation der Welt. Das bereitet den Spaniern selbst nach der formidablen Vorstellung Sorgen.

Jürgen Schmieder, Wien

Luis Aragonés hat in seiner langen Karriere als Fußballtrainer eine Menge Spieler kennengelernt. Nach dem 3:0-Sieg gegen Russland, der die erste Finalteilnahme für Spanien seit 24 Jahren bedeutete, erinnerte sich Aragones jedoch ausgerechnet an Gary Lineker: "Den hatte ich mal beim FC Barcelona, ein toller Spieler und guter Freund." Aragones erinnerte sich jedoch nicht an den ehemaligen Torjäger, weil er ein toller Spieler und guter Freund ist - sondern weil er einmal einen Satz gesagt hat, der so lautet: "Fußball ist ein Spiel, bei dem 22 Menschen dem Ball hinterherjagen, und am Ende gewinnen immer die Deutschen."

Der Heber zum 2:0 für Spanien durch Daniel Güiza (rechts) war die Krönung einer tollen zweiten Halbzeit. (Foto: Foto: Reuters)

Aragonés gab das Zitat gleich zwei Mal wieder, danach sagte er: "Die Deutschen sind die Deutschen." Ja, durch den Sieg der Spanier ergibt sich eine interessante Finalpaarung. Die vermutlich schlechteste Turniernation der Welt spielt gegen die wohl beste Turniernation der Welt. Genau das bereitet Aragonés Sorgen, obwohl er behauptet, dass seine Mannschaft "überhaupt kein Problem mit der Psyche" habe.

Müde gemacht und eiskalt zugeschlagen

Die schlechte Statistik bei Turnieren ist allerdings die einzige Sorge, die der spanische Trainer haben muss. Zu spielstark, zu kombinationssicher und zu perfekt im Stellungsspiel präsentierte sich seine Mannschaft beim 3:0-Erfolg über die bislang so grandios aufspielenden Russen, als dass sie wirklich ein anderes Team fürchten müsste. Es war eine Demonstration fußballerischer Kunst gepaart mit diszipliniertem Auftreten. Der Defensive gelang, dass der vielgepriesene Andrej Arschawin auf gerade einmal 15 erfolgreiche Pässe und einen Schuss in Richtung Tor kam. "Wir wussten um die Stärke von Arschawin und auch, dass er überall auf dem Platz zu finden ist. Also haben wir für jeden Sektor einen Gegenspieler für ihn abgestellt", sagte Aragonés.

Die Offensive kombinierte mit noch weniger als den in modernen Trainerlaptops geforderten 1,8 Ballkontakten. "Zuerst wollten wir es den Russen nachmachen und haben lange Bälle gespielt. Danach sind wir zu unserem One-Touch-Football zurückgekehrt und schon hatte wir Torchancen", sagte Aragonés. "So haben wir die russischen Spieler müde gemacht, danach konnten wir eiskalt zuschlagen."

Dabei fing es nicht gut an für die spanische Elf. Stürmer David Villa - mit vier Treffern immer noch führend in der Liste der erfolgreichsten Torschützen - musste nach 35 Minuten vom Platz und wird wohl auch im Finale fehlen. "Er fällt vermutlich aus, er hat sich wohl etwas gezerrt", sagte Aragonés nach dem Spiel. Der Trainer ersetzte seinen Stürmer durch den Mittelfeldspieler Cesc Fàbregas. "So konnten wir das Mittelfeld noch stärker kontrollieren", sagte Aragonés. "So grotesk es klingt: Es ist manchmal wirklich so, dass man mit einem Stürmer weniger noch offensiver spielen kann." Die Mittelfeldspieler könnten so ständig an Angriffen teilnehmen, es sei so unmöglich, einen Spielzug vorherzusehen.

Kreislauftabletten für deutsche Verteidiger

In der Tat spielte die spanische Elf die wohl beste Halbzeit einer Mannschaft bei diesem Turnier. "Das ist unglaublich, phantastisch. Die zweite Halbzeit war das beste, was wir bisher gespielt haben", sagte Andrés Iniesta. Trotz Villas Ausfall spielte die Mannschaft weiter nach vorne und stellte die russische Defensive vor immer größere Probleme. "Wir wussten, dass wir den Russen weh tun können, wenn wir das erste Tor erzielen", sagte Aragonés. Xavi schaffte diesen ersten Treffer, er und seine Kollegen führten dann einen internen Wettkampf um den schönsten Spielzug des Turniers aus. Einer dieser Versuche mündete im 2:0 durch Güiza, ein anderer führte zum Treffer von David Silva. "Diese zweite Halbzeit hat einfach nur Spaß gemacht", sagte Iniesta.

Zwei Sätze diktierten die spanischen Spieler außerdem in die Mikrofone. Satz Nummer eins: "Das Finale ist das Spiel meines Lebens, das wollen wir auf jeden Fall gewinnen, dafür sind wir hier." Satz Nummer zwei: "Aber wir spielen gegen Deutschland." Es ist erstaunlich, dass diese spanische Mannschaft nach dieser unfasslichen Leistung derart viel Angst vor dem Finalgegner hat. Besucher des Halbfinals wollten den deutschen Innenverteidigern Mertesacker und Metzelder schon zu Kreislauftabletten raten, weil akute Schwindelgefahr besteht.

Es ist eben nicht nur so, dass die bisher überzeugendste Mannschaft des Turniers gegen ein Team spielt, das sich vor allem mit ihrem nicht zu brechenden Willen ins Endspiel gekämpft hat. Es spielt eben auch die vermutlich schlechteste Turniernation der Welt gegen die wohl beste Turniernation der Welt. Und Aragonés bezeichnete Gary Lineker nicht nur als tollen Spieler und guten Freund - sondern auch als Menschen, der viel Ahnung von Fußball und sehr oft recht hat.

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