Sommermärchen-Affäre:Wenn einer auf den anderen wartet

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Wolfgang Niersbach war bis 9. November 2015 DFB-Präsident. Dann stürzte er über die WM-Affäre. (Foto: Ralph Orlowski/Reuters)

Weitere Fragen an den Deutschen Fußball-Bund im Umgang mit der WM-Vergabe 2006 tauchen auf.

Von Johannes Aumüller und Thomas Kistner, Frankfurt/München

Der Fußball-Weltverband hält Eile für geboten. In gut einer Woche jährt sich ein wichtiges Datum in der WM-2006-Affäre: Am 4. März 2016 legte die vom Deutschen Fußball-Bund mit Ermittlungen beauftragte Kanzlei Freshfields ihren Schlussreport zum Skandal vor - und dokumentierte ihre Erkenntnisse über den verschlungenen Weg jener zehn Millionen Franken, die im Jahr 2002 bei der Firma Kemco in Katar landeten. Diese gehört dem mittlerweile wegen Korruption lebenslang gesperrten Fifa-Spitzenfunktionär Mohammed Bin Hammam.

Bis heute ist der Verwendungszweck unklar, Strafbehörden in Bern und Frankfurt ermitteln. Bei der Fifa, sagen kundige Quellen, gehen sie nicht davon aus, dass diese nach Katar geflossenen Millionen ihnen zuzurechnen seien. Trotzdem wolle man sich für alle Eventualitäten wappnen und eine Rückforderung prüfen. Hier sei Dringlichkeit geboten, gemäß Schweizer Recht könne die Rückforderungsfrist verjähren - ein Jahr nach Bekanntwerden des Sachverhalts durch den Freshfields-Report.

Verfährt der Deutsche Fußball-Bund (DFB) genau so? Auf die konkrete SZ-Nachfrage, ob der Verband über die Rückforderung der zehn Millionen Franken aus Katar entschieden habe oder das prüfe, teilte er mit, dass er dazu keine Antwort gebe. Es scheint allerdings angebracht zu sein, ähnliches zu tun, wie es die Fifa nun anstrebt. Der DFB war offenkundig der finanziell Leidtragende jener ominösen Millionen-Schiebereien vor mehr als einem Jahrzehnt. 2002 flossen gemäß Freshfields zehn Millionen Franken vom früheren Adidas-Eigner Robert Louis-Dreyfus via Schweiz auf ein Konto der Firma Kemco in Katar. Im April 2005 überwies das WM-Organisationskomitee (OK) das Darlehen des Franzosen zurück: 6,7 Millionen Euro gingen an die Fifa, deklariert als Beitrag für eine WM-Gala. Doch die Fifa transferierte es gleich weiter an Louis-Dreyfus. DFB-Vize Rainer Koch fasste das im Vorjahr unter Weglassung der Zwischenschritte so zusammen: "Der DFB hat zehn Millionen Franken an eine im Einflussbereich von Mohamad bin Hammam stehende Firma in Katar gezahlt."

Aber welche Maßnahmen folgen aus dieser Erkenntnis? Der DFB betonte bisher, alle nötigen Schritte eingeleitet zu haben. Gegen die damaligen Verantwortlichen des WM-OK um Beckenbauer sowie Wolfgang Niersbach, Fedor Radmann, Horst R. Schmidt und Theo Zwanziger behielt er sich Schadenersatzforderungen vor. Bereits Ende 2015 wandte er sich daher an die Hamburger Schlichtungsstelle Öra, um eine mögliche Verjährung von Ansprüchen zu stoppen. Zudem stieg der DFB im Rahmen der Schweizer Ermittlungen gegen Beckenbauer & Co. in ein sogenanntes Adhäsionsverfahren ein; auch so ließen sich zivilrechtliche Ansprüche wohl sichern.

Daneben ist aber die Frage, ob der DFB nicht auch an den Empfänger in Katar gehen und das Geld bei Bin Hammams Kemco einfordern müsste. Mehrere Juristen, die mit dem Sachverhalt beschäftigt sind, sehen da eine Verpflichtung. Neben der juristischen Bewertung gäbe es auch den Weg, sportpolitisch Druck in der Millionenfrage aufzubauen: Ohnehin steht Katar als WM-Ausrichter 2022 massiv in der Kritik.

Dass der DFB die Frage nach einer möglichen Rückforderung explizit nicht beantworten will, ergänzt das Bild, das er in der WM-Affäre inzwischen hinterlässt: Dass nämlich der Aufklärungseifer deutlich geringer erscheint, als der Verband öffentlich propagiert. Inzwischen offenbaren immer mehr Sachverhalte, die erst nach Vorlage des Freshfields-Reports publik wurden, eine merkwürdig defensive Verfahrensweise mit heiklen Themen, die für viel öffentlichen Wirbel hätten sorgen können.

Warum übersandte der DFB nicht zeitnah eine Stellungnahme an die Staatsanwaltschaft?

Da ist beispielsweise der Umgang mit der Schlüsselfigur, Fifa-Skandalfunktionär Jack Warner. Dass die deutschen WM-Bewerber mit Warner nur vier Tage vor der Vergabe einen anrüchigen Millionenvertrag besiegelten, handelte die DFB-Ermittlung ebenso beiläufig ab wie den Umgang mit diesem Vertrag, nachdem dieser im Herbst 2015 intern gefunden worden war. Der DFB hatte ihn der Frankfurter Staatsanwaltschaft, die wegen des Verdachts auf Steuerhinterziehung ermittelt, nicht bei einer Razzia am 3. November 2015 übergeben, sondern erst sechs Tage später. Ähnliches gilt für eine Datei mit dem pikanten Namen "Jack-Warner-Komplex": Die fand erst ein Jahr nach Auffinden den Weg zur Strafbehörde, auf öffentlichen Druck. Und dass eine Bezahlung des - angeblich ehrenamtlich tätigen - OK-Chefs Beckenbauer durch den DFB für eine Vereinbarung mit Oddset gar keinen Niederschlag im Report fand, brachte den DFB im Sommer 2016 sogar in öffentlichen Streit mit der Kanzlei.

Einer Klärung bedarf auch die Frage, wie der DFB nach Beginn der Affäre im Herbst 2015 reagiert hatte. Und jetzt thematisiert Bild eine neue Merkwürdigkeit: dass der Verband nach einem Gespräch zwischen Staatsanwaltschaft und einem DFB-Anwalt am 19. Oktober zirka zwei Wochen lang nicht die dabei erwünschte ausführliche Stellungnahme abgegeben habe. Am 29. Oktober leitete die Staatsanwaltschaft daraufhin ein Verfahren wegen Steuerhinterziehung gegen Niersbach, Zwanziger und Schmidt ein: Sie prüft den Verdacht, dass die 6,7 Millionen Euro zu Unrecht als Betriebsausgabe abgesetzt worden seien. Die DFB-Steueranwälte glauben, dass dies korrekt abgelaufen sei.

Der DFB teilt nun dazu mit, eine schriftliche Stellungnahme von der Staatsanwaltschaft sei weder im Gespräch am 19. Oktober noch bei späteren Kontakten erbeten oder eingefordert worden. Vielmehr habe der Behördenvertreter mitgeteilt, man werde auf den DFB-Anwalt zugehen, sobald neue Akten benötigt würden. Dass es am 3. November "statt der angekündigten Kontaktaufnahme doch zu einer Hausdurchsuchung kam", sei für DFB und Anwalt "völlig überraschend" gewesen.

Hingegen heißt es nach SZ-Informationen in einem internen Vermerk der Staatsanwaltschaft, sie habe bei jenem Gespräch durchaus darauf hingewiesen, dass sie die Einleitung von Ermittlungen wegen Steuerhinterziehung oder Untreue in Betracht ziehe. Dem DFB-Anwalt sei ins Ermessen gestellt worden, sich zu diesen Fragen zu äußern. Offenbar mit Nachdruck - nämlich zeitnah. Drei Tage später sollen Unterlagen des DFB eingegangen sei, aber nicht zur Steuerthematik. Weshalb am 29. Oktober Ermittlungen aufgenommen wurden. Bleibt die Frage: Wer hat hier Recht?

© SZ vom 23.02.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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