Snooker:Die Bürde einer Galionsfigur

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Schwierige Sache: Ronnie O'Sullivan (vorne) und sein Bezwinger Barry Hawkins sondieren die Lage bei der Snooker-WM in Sheffield. (Foto: China Foto Press/imago)

Der fünfmalige Weltmeister und große Favorit Ronnie O'Sullivan scheitert bei der Snooker-WM bereits in der zweiten Runde.

Von Carsten Eberts, Sheffield/München

Als die WM für ihn beendet war, fand Ronnie O'Sullivan seine Sprache wieder. Nach seinem Erstrundensieg hatte er vertraglich fixierte Medientermine geschwänzt und war vom Snooker-Weltverband offiziell verwarnt worden. Doch nun, mit freiem Terminkalender, redete es sich leichter. Er sei "einfach nicht in der Verfassung gewesen", um sich vor die Fernsehkameras zu stellen, entschuldigte sich O'Sullivan nachträglich. Wie es ihm aktuell ging, nach seinem frühen Aus beim wichtigsten Turnier des Jahres, ließ er zumindest erahnen: "Es ist nicht leicht, die Galionsfigur dieser Sportart zu sein."

Es ist das Dilemma des besten Bällelochers des Planeten. An guten Tagen ist er kaum zu besiegen, dann lässt er die Kugeln wie an einer Schnur gezogen in die Taschen flitzen, eine nach der anderen. An schlechteren Tagen allerdings ist er durchaus zu bezwingen. Dafür reicht es, wenn der Snookerprofi mit dem Hang zum Perfektionismus den Druck um seine Person spürt, der bei der WM in Sheffield traditionell am größten ist. Seit 25 Jahren ist O'Sullivan dabei, fünfmal errang er den WM-Titel, jeweils dann, wenn er mental auf der Höhe war. Auf seinen sechsten wartet er bereits seit drei Jahren. "Schon bevor ich angereist bin, hieß es, ich hätte das Turnier gewonnen", klagte O'Sullivan. Er verlor in der zweiten Runde gegen Barry Hawkins.

Schon oft hat O'Sullivan die eigene Psyche einen Strich durch die Rechnung gemacht. Kaum auszumalen, wäre der Brite mental so gefestigt wie einst Stephen Hendry, der große Dominator der Neunziger, O'Sullivans Idol: Wie oft wäre er schon Weltmeister geworden, zehnmal, zwölfmal? Niemand hatte damit gerechnet, dass O'Sullivan diesmal so früh ausscheidet. Zu gut hatte er seit dem Jahreswechsel gespielt, überlegen das Masters gewonnen, das wichtigste Einladungsturnier der Tour, anschließend die Welsh Open, wo er sich sogar das Mätzchen erlaubte, ein Maximum Break auszulassen, weil ihm das Preisgeld für diesen perfekt abgeräumten Tisch in einem Rutsch, nämlich 10 000 Pfund, zu gering erschien. Die Teilnahme an Turnieren in Asien hatte er danach abgesagt, um sich auf die WM zu fokussieren. Sein sechster Titel sollte her, ein weiterer hätte ihm dann zu Hendrys Rekord gefehlt.

Dieses Ziel verfehlte er, und es war nicht einmal so, als hätte O'Sullivan gegen Hawkins grottenschlechtes Snooker gezeigt. Zehn Breaks von mehr als 70 Punkten, eine Lochquote von mehr als 90 Prozent - das sind herausragende Werte. Doch Hawkins, den manche als WM-Geheimfavoriten handeln (bis er am Dienstag im Viertelfinale gegen Marco Fu mit 1:7 in Rückstand geriet), stach O'Sullivan in den entscheidenden Situationen aus. 12:9 hatte Hawkins bereits geführt, er brauchte noch einen Frame, um ins Viertelfinale einzuziehen. Doch da kam O'Sullivans beste Phase, mit Breaks von 124, 88 und 63 Punkten schaffte er den vom Publikum im Crucible Theatre umjubelten Ausgleich, 12:12.

O'Sullivan pustete durch, ja, er spürte den Druck. Es folgte ein Entscheidungsframe, wie man ihn selten sieht im Profisnooker. Ein wildes Bild auf dem Tisch, zahlreiche rote Kugeln waren ins obere Drittel des Tisches gewandert. O'Sullivan und Hawkins versuchten, den Spielball taktisch klug abzulegen, etliche Male gelang beiden eine "Safety", es war ein Spiel, das einem Münzwurf gleich kam. Dann schaffte Hawkins den komplizierten Einsteiger. Er habe "nur noch gezittert", erklärte Hawkins, so groß war auch der Druck für ihn. O'Sullivan hingegen verkündete trotzig, er wolle im nächsten Jahr wiederkommen - und dann mit 41 den Titel holen. Die Bürde, eine Galionsfigur zu sein, wird er bis dahin aber kaum abschütteln können.

© SZ vom 27.04.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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