Skispringen:Mehr Flügel für den Adler

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Ruhepol auf dem Trainerturm: Skisprung-Trainer Stefan Horngacher macht auch in schweren Zeiten einen ausgeglichenen Eindruck. (Foto: Wagner/Imago)

Skisprung-Trainer Stefan Horngacher legt Wert auf ein eingespieltes Team. Wie zunächst in Polen hat er damit auch in Deutschland als Chefcoach Erfolg.

Von Volker Kreisl, München

Wichtigste Voraussetzung ist ein Hang. Er sollte möglichst in der Nähe, gleich neben dem Elternhaus liegen, in einer Gegend, die im Winter lange und dick verschneit ist. Denn dann lohnt es sich, eine Schanze zu bauen.

Immer noch sind die Skisprung-Trainer aus Österreich weltweit gefragt. Eine Zeitlang hatten sie sämtliche große Nationen trainiert, und obwohl der Trend ein wenig zurückgegangen ist, zählen sie weiter zu den Besten der Welt. Das liegt an der speziellen Ausbildung in einer eigenen Skisprung-Schule, am Konkurrenzkampf in ihrer Heimat und auch an der Leidenschaft fürs Toben im Schnee, die zum Beispiel auch Stefan Horngacher dazu gebracht hatte, schon als Jugendlicher auf selbstgebauten Schanzen zumindest für ein, zwei Sekunden abzuheben.

Gut dreißig Jahre später baut der 51-Jährige aus Bad Häring in Tirol immer noch Jahr für Jahr ein Projekt auf, aber nicht mit Schaufel und Schnee, sondern mit seinen Skispringern. Seit zwei Jahren trainiert er die Männer des Deutschen Skiverbandes, und weil er schon lange davor in den Schwarzwald gezogen war, kommt er nun nach Hause, wenn am Wochenende in Titisee-Neustadt, drei Tage nach der Vierschanzentournee, schon wieder der nächste Weltcup gesprungen wird.

Nur weil Österreich serienweise Top-Trainer hervorbringt, heißt dies nicht, dass alle dieselbe Mentalität haben. Heinz Kuttin hat eine väterliche Art, Werner Schuster, elf Jahre lang DSV-Coach, versteht es zu kommunizieren, Alexander Stöckl hat Ideen, erfindet neues Material (etwa den "Stöckl-Schuh"), und Horngacher, so scheint es, legt weniger Wert auf die Außendarstellung als auf ein funktionierendes Team.

Das äußert sich im Alltag, aber auch in außergewöhnlichen Aktionen. In seinen Analysen, die er noch auf der Schanze vornimmt, hatte er zuletzt immer die komplette Gruppe im Blick. Auch über die Entwicklung von Formschwachen wie Constantin Schmid oder David Siegel hat er berichtet. Und das, obwohl er ja weiß, dass Medien und Zuschauer sich bei der Vierschanzentournee hauptsächlich für Skiflug-Weltmeister Karl Geiger und Markus Eisenbichler interessierten, die ihm in diesem Winter gerade den größten Erfolg als DSV-Chefcoach bringen. Doch auch für die besten Adler sind die anderen wichtig, sagte er einmal: "Die Chance auf eine Bestleistung ist höher, wenn ich ein Team im Hintergrund habe, das mich anspornt, als wenn ich nur ein Einzelspringer bin." Schon bei den Polen hat ihm diese Einstellung Erfolg gebracht.

Drei Jahre lang war er im Nachbarland Cheftrainer, und die Zeit war nicht nur eine Schule für die polnische Mannschaft, sondern auch eine Lehre für den Trainer Horngacher. Polens Anhänger sind die härtesten und am meisten begeisterten Skisprung-Fans, und Horngacher staunte. Ein bloßes Sommertraining habe sich in Windeseile herumgesprochen, und weil immer wieder Hunderte an die Schanze strömten, ließ Horngacher irgendwann die Schanzen beim Training schließen. Die Priorität war klar, sagt er: "Da machst du dich nicht beliebt, aber das war mir egal."

Horngacher geht es nicht um die Außendarstellung, sondern um die Sache. Er formuliert kurz und präzise, und wenn er mal aus dem Nähkästchen plaudert, dann berichtet er nicht über die Formkurven seiner Springer oder die Gründe von sportlichen Krisen, sondern über Unverfängliches, zum Beispiel damals die Pokerrunden von Kamil Stoch, Maciej Kot und den anderen, oder über das Hotel-Hobby von Piotr Zyla, der auf dem Zimmer gerne seine Gitarre "gemartert" habe. Überhaupt, Zyla hat ein sonniges Gemüt, aber manchmal war es Horngacher zu sonnig. "Jeder Journalist wusste, Interviews mit Piotr werden lustig", sagte er, und wenn Zyla dann zu sehr den "Kasper" gemacht hatte, dann schritt er auch hier irgendwann ein.

Die Konzentration schon im Sommer ist entscheidend, und für die Konzentration ist das ganze Team wichtig, weshalb nichts die gemeinsame Arbeit stören darf. Horngacher legt Wert auf Pläne und Regelmäßigkeit, weshalb er auch heute von seinen deutschen Skispringern eine gewisse Disziplin verlangt. Markus Eisenbichler findet es gut: "Er hat eine sehr ruhige Art. Ich fühle mich aufgehoben", sagte er. Das Ergebnis: Nach einer Saison und einem Sommer geriet der Siegsdorfer in die Form seines Lebens, auch wenn er den letzten Schritt zu einem Erfolg bei der Vierschanzentournee noch nicht geschafft hat.

Nun beginnt die zweite von drei Phasen des Skisprungwinters mit jenen Springen, die schon auf den Höhepunkt vorbereiten sollen, die Ski-Nordisch-Weltmeisterschaft in Oberstdorf. Die Tournee war wie immer eine lange und intensive Veranstaltung, eine Serie, in der die Teilnehmer mitunter nach dem Wettkampf abends noch weiterreisen und am nächsten Vormittag schon wieder auf einer anderen Schanze stehen. Man könnte meinen, dass danach ein paar Tage Erholung nützen. Doch Horngacher will den Rhythmus beibehalten.

Seine sechs Tourneespringer sind nun auch in Titisee dabei. Sie sollen nicht aus der Übung geraten. Aber wäre denn Training nicht auch eine gute Übung? Mag sein, sagte Horngacher der dpa, jedoch: "Die höchste Form des Training ist der Wettkampf."

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