Skispringen:Jünglinge fliegen besser

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Ein 16-jähriger Österreicher hat in dieser Saison schon zwei Weltcup-Skispringen gewonnen. Das Wunderkind ist Beleg eines erstaunlichen Trends zurück zur Jugend.

Thomas Hahn

Toni Innauer weiß, wie das ist, wenn man jung ist und etwas Besonderes im Skispringen, denn er war es selbst einmal. 1974 hat er als 15-Jähriger sein Debüt für Österreich bei der Vierschanzentournee gegeben, und heute, da er älter ist, klüger und Skisprungdirektor von Österreichs Skiverband, kann er alle jugendlichen Teilnehmer nur davor warnen, die Kräfte des Ereignisses zu unterschätzen.

Jüngste Wunderkind österreichischer Sprungkultur: Gregor Schlierenzauer. (Foto: Foto: AFP)

"Man hat die Bühne meistens im Griff, sprich: die Schanze", sagt Innauer, "aber an das Rundherum ist man nicht langsam gewöhnt worden, sondern das ist schlagartig da."

Ihn hat das damals strapaziert, und deswegen will er vorsichtig sein mit den Erwartungen in das jüngste Wunderkind der österreichischen Sprungkultur, den Stamser Internatsschüler Gregor Schlierenzauer, 16, der in dieser Saison zwei Weltcup-Springen gewonnen hat und nun zum Kreis der Tournee-Favoriten zählt.

Dieses Gefühl, diese Kraft

Die letzten Eindrücke vor der Tournee, die am 29. Dezember in Oberstdorf mit der Qualifikation beginnt, weisen darauf hin, dass es einen neuen Trend gibt in der Welt des Schanzensports. Vergangenes Jahr um die gleiche Zeit setzten die erfahrenen Kräfte der Szene die Maßstäbe.

Innauer erinnert sich an das Durchschnittsalter von 26,8 Jahren unter den 15 Besten im Weltcup. Und von den hochgewetteten Startern standen am Ende die End-Zwanziger Jakub Janda (Tschechien) und Janne Ahonen (Finnland) als punktgleiche Sieger oben.

Dieses Jahr aber lassen zwei Jünglinge aufmerken, Schlierenzauer eben, der nach Siegen in Lillehammer und Engelberg Dritter im Gesamtweltcup ist. Und der 21-jährige Norweger Anders Jacobsen aus Hönefoss auf Weltcup-Rang zwei hinter dem 25-jährigen Schweizer Simon Ammann.

"Alle staunen"

Überrascht ist davon niemand, Gregor Schlierenzauer und Anders Jacobsen waren schon im Sommer erstklassig. Aber die Art, wie sie sich in der Luft in Szene setzen, verblüfft das Establishment.

"Alle staunen", sagt der deutsche Springer Michael Uhrmann. Für ihn sind Schlierenzauer und Jacobsen die Botschafter einer neuen Ära. "Die haben die Art zu springen ein Stück weiterentwickelt", sagt er. "Da geht die Reise hin, da muss man dranbleiben."

Das Skispringen ist am Ende eines Reformprozesses angelangt. Es hat in den vergangenen Jahren neue Maße für Anzüge und Ski gegeben, damit sie den Springern weniger Tragfläche bieten, eine Gewichtsregel hat die schlimme Praxis unter Springern eingedämmt, sich aerodynamische Vorteile zu erhungern.

Und so haben sich auch die technischen Anforderungen an die Schanzensportler verändert. Mehr denn je gilt es als wichtig, Athletik mit Fluggefühl zu vereinen. Schlierenzauer und Jacobsen scheinen dabei einen neuen Weg gefunden zu haben, dem zuletzt nicht einmal der geniale Flugathlet Ahonen etwas entgegenzusetzen hatte. Ihr Stil ist unterschiedlich.

Wie einst Hannawald

Jacobsen steht etwas höher in der Luft, Schlierenzauers Verhalten am Schanzentisch dagegen erinnert Innauer an die kraftvolle Variante des flachen Absprungs, den der deutsche Tournee-Rekordler Sven Hannawald einst zeigte.

Aber gemeinsam haben sie eine seltene Virtuosität bei der Kunst, den Wind im Hang zu nutzen. ,,Da merkt man, dass sie sich nicht an irgendwelche Vorgaben halten, sondern nach dem eigenen Gefühl gehen, die Luftkräfte zu optimieren'', sagt Innauer.

Jacobsen ist Norwegens Nationaltrainer Mika Kojonkoski bei der Sommersichtung des Verbandes aufgefallen. Seitdem hat er seinen Beruf als Klempner aufgegeben und inspiriert jene, die er vorher nur aus dem Fernsehen kannte.

Und Schlierenzauer ist der Abkömmling einer Sprungschule, welche die Ansprüche des modernen Schanzensports mit besonderem Geschick aufgreift.

Trend gegen die Dominanz des Alters

Die Österreicher haben im Februar schon den Gegentrend zur Dominanz des Alters eingeleitet, als die Kaderkollegen Thomas Morgenstern, damals 19, und Andreas Kofler, damals 21, Gold und Silber bei Olympia gewannen.

In Österreichs Kader setzt die Jugend die Akzente, ältere Kollegen wie Martin Höllwarth oder Andreas Widhölzl haben Mühe, Schritt zu halten. So überzeugend ist Austrias Lehre sogar, dass sich der Deutsche Ski-Verband mittlerweile ein ganzes Team aus österreichischen Sprungtrainern eingekauft hat.

Andere Nationen suchen verzweifelt nach Talenten, die Österreicher haben das Luxusproblem, dass ihr Schlierenzauer nicht abheben darf. Aber die Gefahr scheint gering zu sein. Schlierenzauer wird als reif und bescheiden beschrieben.

Markus Prock, früherer Rodel-Weltmeister sowie Schlierenzauers Onkel und Mentor, hat ihn nach den ersten Erfolgen abgeschirmt und auf die sportliche Arbeit eingeschworen. "Das war gewissermaßen eine Vorsichtsmaßnahme", hat Schlierenzauer dazu gesagt.

Nationaltrainer Alexander Pointner komplimentierte den jungen Mann für den Weltcup-Auftakt in Kuusamo zur Schonung vorübergehend aus dem Team. Und auch Innauer ist unverdächtig, zu viel von frühen Verdiensten abzuleiten.

Die Tournee kommt, er muss den Jungen schützen. Er zählt viele andere Favoriten auf und erinnert an die bevorstehenden Strapazen für Gregor Schlierenzauer: "Es kann sein, dass die Batterie dann schon mal leer ist während der Tournee." Aber dass die älteren Gegner sich darauf verlassen können, kann Toni Innauer auch nicht versprechen.

© SZ vom 22. Dezember 2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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