Ski-Langlauf:Von ganzem Herzen

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Beim Weltcup von Kuusamo fällt Tobias Angerer als Sieg-Langläufer einer starken deutschen Mannschaft auf.

Thomas Hahn

Die beste Eigenschaft des Traunsteiner Langläufers Tobias Angerer könnte sein, dass er sich die Dinge zu Herzen nimmt. Dass er unendlich traurig sein kann und unbändig froh, und dass er vor allem niemals über seine Gefühle hinwegschauspielert, wie man das manchmal erlebt bei den Profis dieser Sportwelt.

Weltcup-Sieger in Finnland - wenn es nach Tobias Angerer geht, kann das in der Olympia-Saison gerne so weitergehen. (Foto: Foto: Reuters)

"Er ist sicher einer, der stimmungsunterlegen ist", sagt Jochen Behle, der Bundestrainer. Er kann sich noch gut daran erinnern, wie tief Angerer nach dem Staffel-Rennen bei der WM von Oberstdorf seinen Kopf hängen ließ, weil er der Mannschaft wegen eines Schwächeanfalls böse in Rückstand gebracht hatte. Und nun sieht Behle wieder, was passiert, wenn in Angerers Seele die Sonne scheint.

Vor einer Woche in Beitostölen führte Angerer die deutsche Staffel als Schlussläufer zum Sieg, jetzt steht er als großer Gewinner der Weltcup-Wochenendes von Kuusamo da mit seinem Sieg über 15 Kilometer in klassischer Technik am Samstag und seinem dritten Platz über 15 Kilometer Skating. Tobias Angerer strahlte, und er sagte: "So kann es weitergehen."

Ganz so wird es nicht weitergehen, aber das macht nichts, denn für den Moment war alles gut, und zwar nicht nur für Angerer. Es war ein gutes Wochenende für die Nordisch-Abteilung des Deutschen Skiverbandes (DSV).

Ronny Ackermann, der Kombinierer und Doppelweltmeister, musste zwar seinen schlechtesten Saisonauftakt seit sieben Jahren hinnehmen mit Platz 13 am Freitag und Platz 16 am Sonntag, und vor allem die Schutzsperre für Langläufer Jens Filbrich trübte die Stimmung. Aber sonst?

Zufriedenheit überall: Von der kleinen Kombinationskrise lenkte Georg Hettich ab, der im Sprint-Wettbewerb vom Sonntag auf Platz drei stürmte. Bei den Skispringern gefiel Michael Uhrmann mit den Rängen vier und drei. Und bei den Langläufern überzeugten neben Angerer noch Filbrich als Dritter im Klassisch-Rennen am Samstag sowie Claudia Künzel als Dritte über zehn Kilometer klassisch und Fünfte über zehn Kilometer Skating.

Tobias Angerer hat also sogar für sich beanspruchen können, in einem starken Team das beste Ergebnis eingeholt zu haben, und das wird er nicht wenig genossen haben. Erstens weil es nicht oft vorkommt, dass er die ganz großen Weihen empfängt; einmal hatte er immerhin schon im Weltcup gewonnen, 2004 beim Skiathlon von Falun/Schweden, ansonsten etablierte er sich als Mannschaftsläufer und stapfte teilweise etwas unglücklich aus den Einzelrennen bei Großereignissen, weil die Form nicht stimmte oder er Pech im Rennverlauf hatte.

Zweitens sind die Ergebnisse vom Wochenende die letzte Bestätigung dafür gewesen, dass es richtig war, sich im Sommer von seinem bisherigen Heimtrainer, dem Ruhpoldinger Stützpunktleiter Bernd Raupach, zu trennen und sich der Trainingsgruppe des Oberhofers Cuno Schreyl anzuschließen, die so viele Spitzenkräfte auf sich vereint, wie sonst keine in der Langlaufwelt.

Schreyl und Behle haben den Schritt angeregt, weil sie sahen, dass Angerer oft nicht die nötige Tempohärte aufbrachte. Angerer trainierte damals meistens allein, weil es im Chiemgau keinen Läufer seiner Klasse gab und sein früherer Trainingspartner, der Weltcup-Läufer Reto Burgermeister, in die Schweiz zurückgekehrt war.

Nun übt Angerer regelmäßig an der Seite von Axel Teichmann, dem Gesamtweltcup-Gewinner, den erfolgreichen Staffelläufern Jens Filbrich und Andreas Schlütter sowie dem Junioren-Weltmeister von 2004, Franz Göring, und hat in deren Sog ganz neue Belastungen erfahren können.

Das ist seiner Ausdauer zuträglich gewesen und auch seinem Denken im Rennen, das bisweilen ein paar Zweifel zu viel aufwarf, wenn es nicht gut lief. "Er ist ein hoch sensibler Läufer, der hoch motiviert reingeht, aber auch total deprimiert darüber ist, wenn es nicht funktioniert", sagt Schreyl. Sowas kann ein Nachteil sein im Wettkampf. Schreyl wollte mit Angerer daran arbeiten, indem er ihm das intensivere Training mit den anderen zumutete.

"Um den Moment zu beherrschen", sagt Schreyl, "zum Beispiel Ermüdung zu spüren und Dinge, die in der Vergangenheit abgelaufen sind, nicht immer wieder als Film ablaufen zu lassen, sondern ihnen aktiv zu begegnen." Das Training sollte ihn unempfindlicher machen gegen die Erschöpfung und gegen die Angst vor den Schmerzen, die er damit immer verband.

Offensichtlich hat es funktioniert, was allerdings nicht heißt, dass die Chiemgauer Seelenlandschaft des Tobias Angerer nun keine Berge und Täler mehr kennt. Seine Empfindsamkeit kann keiner ablegen wie einen alten Mantel, und deswegen wird Angerer wohl eines Tages wieder traurig sein müssen. Er wird es verwinden. Er ahnt: Man läuft nur mit dem Herzen gut.

© SZ vom 28.11.2005 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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