Ski Alpin:Pokal statt Spital

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Hatte vor zwei Jahren so viel Spaß am Schnellfahren, dass er auf Riesenslalom verzichtete: Dominik Schwaiger. (Foto: Sean M. Haffey/AFP)

Skirennfahrer Dominik Schwaiger beeindruckte oft mit Mut, aber manchmal an den falschen Stellen.

Von Johannes Knuth

Das Rennen war schon fast beendet, als es noch einmal eine neue Wendung nahm.

Kitzbühel 2017, die berüchtigte Streif-Abfahrt, Dominik Schwaiger trug die Startnummer 60. Die Promis waren längst wieder in ihrem Promi-Zelt oder beim Eisstockschießen auf dem Schwarzsee, aber Schwaiger hatte an diesem Januartag noch was vor. Und seine Zwischenzeiten waren prächtig, an der Hausbergkante sah es so aus, als könnte er tatsächlich unter die besten 20 vorstoßen. Jetzt wartete nur noch die Traverse, wo der Hang nach rechts wegkippt und die Fahrer mit ihren müden Beinen die Balance halten müssen, irgendwie. Schwaiger war dort im Training mutig gefahren, "im Rennen musst du noch eine Schippe drauflegen", dachte er, und das tat er dann auch. Nur: Mit dem Drauflegen ist das so eine Sache auf der Streif, auf der manche einst so schwer stürzten, dass sie später das Gehen und Sprechen neu lernen mussten. Schwaiger verlor die Kontrolle, schied aus, rauschte beinahe ins Fangnetz - als sitze er in einem Auto, das knapp an einer Betonwand vorbeischleudert.

Später, im Ziel, flachsten sie noch, aber als Mathias Berthold dazustieß, der Cheftrainer der deutschen Skirennfahrer, war der Spaß vorbei. "Jungs", sagte Berthold, "das kann ein schlimmes Ende nehmen." So eine Fahrt, das wusste Schwaiger nun, kann Karrieren in neue Bahnen lenken - sie kann sie aber auch zertrümmern.

Knapp zwei Jahre später sitzt Dominik Schwaiger vom WSV Königssee im Teamhotel in Südtirol, braune Augen, Drei-Tage-Bart, Berchtesgadener Idiom. Der 27-Jährige redet wie ein Abfahrer, der aus seinem Erlebnis von Kitzbühel gelernt hat und der zwei Tage später sein bislang bestes Resultat in der Abfahrt schaffen wird, Platz 21 auf der tückischen Saslong-Piste. Schwaigers Geschichte ist auch deshalb interessant, weil sie vom Spannungsfeld eines Abfahrers erzählt, der es noch nicht ganz in die erste Reihe seines Sports geschafft hat. Sie handelt von Besonnenheit und Mut, Stürzen und Comebacks, "du musst immer ein bisschen ans Limit gehen", sagt Schwaiger, "sonst gewinnst du nichts". Das ist eine weitere Facette, die seine Geschichte irgendwann bereichern soll: dass man auch über ein paar Umwege ans Ziel findet.

Schwaiger ist der Sohn des ehemaligen Skirennfahrers Michael Eder, er debütierte im Oktober 2011 im Weltcup, da hatte er schon einen Schienbeinbruch hinter sich. Er fuhr zunächst im Riesenslalom, wurde 2015 Vierter im Parallelslalom von Alta Badia, verpasste ansonsten meist das Finale der besten 30. Bei den deutschen Meisterschaften startete er auch in den schnellen Disziplinen, Super-G und Abfahrt, "und dafür, dass ich das nie trainiert habe, war ich immer relativ schnell", erinnert er sich. Der Cheftrainer riet ihm, in der Abfahrtsgruppe zu hospitieren, Schwaiger verfügte ja bereits über ein "extrem gutes Skigefühl" (Berthold) - das Gespür also, die Kante so ins Eis zu pressen, dass er in den Kurven wenig Tempo verlor. Vor zwei Jahren hatte er dann so viel Freude am Schnellfahren, dass er den Riesenslalom stilllegte. "Es macht einfach Spaß mit den Sprüngen, da ist ein bisschen mehr Action dabei", sagt er heute. Ob er damals eher einer war aus dem Ressort: Pokal oder Spital? Schwaiger lächelt, dann sagt er: "Ja."

Ganz so simpel war es zunächst ja nicht, in seiner zweiten Karriere. Schwaiger beeindruckte mit seinem Mut, aber manchmal, wie in Kitzbühel, "an der falschen Stelle". Er lernte aus seinen Fehlern, stürzte vor einem Jahr in Bormio dann aber doch so schwer, dass seine Saison vorzeitig beendet war. Er ist finanziell abgesichert, in der Sportfördergruppe der Bundeswehr, doch für die Fläche auf seinem Helm - die lukrativste für die Skiprofis - fand er keinen Werbepartner. Schwaiger klebte sich also ein Fragezeichen darauf. Manchmal, wenn die Bedingungen zu schwer waren, wie vor zwei Jahren in Val d'Isère, nahm Berthold ihn kurz vor dem Start aus dem Rennen.

Schwaiger ist mittlerweile 27, wer sich da noch nicht ganz in seinem Sport etabliert hat, hat es nicht immer leicht in einem Sportfördersystem mit Kadernormen und hohen Erwartungen. Aber Berthold, sein Vorgesetzter, denkt nicht in diesen Mustern, er gewährt seinen Fahrern immer ihre Chancen. Auch, weil er weiß, dass man im Abfahrtssport oft erst nach langen Lehrjahren eine Chance hat.

Bei Schwaiger scheint sich die Geduld jedenfalls auszuzahlen, so wie beim Rest der Abfahrtssparte, die vor vier Jahren noch am Boden lag. Er gewann in der Saison-Vorbereitung ein Rennen in Südamerika, fand einen Sponsor, einen Geschirrspülmittelhersteller aus Österreich. "Er hat schon Respekt, aber er traut sich nach wie vor viel, auch nach seinem schweren Sturz", sagt Berthold. Schwaiger sei auch "professioneller geworden", fahre etwas besonnener, übernehme mehr Verantwortung für sich, hat Berthold beobachtet, er habe sich da viel abgeschaut von den Etablierten wie Andreas Sander und Josef Ferstl. Er wolle sich erst mal unter den besten 30 der Welt etablieren, sagt Schwaiger, vielleicht klappe es ja sogar mit der WM im Februar. Dafür müsste er sich zwei Mal unter den besten 15 einfinden, die nächste Chance bietet sich vor dem Jahreswechsel in Bormio. Und dann? Wenn Schwaiger seinen Weg konsequent weiter verfolge, sagt Berthold, könnte er irgendwann schon zu seinen gestandenen Teamkollegen aufschließen.

Das wäre dann also das nächste Kapitel in Schwaigers Geschichte: Pokal statt Spital.

© SZ vom 22.12.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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